Er strandete bei Syrakus in Sizilien und kam in ein Auffanglager. Er war erschöpft und hungrig. Zwei Tage und zwei Nächte lang hatte er nichts gegessen, nur sparsam schluckweise Wasser aus seiner Plastikflasche getrunken. Die See war relativ ruhig, doch es war bitter kalt. Angst im Meer umzukommen hatte er nie. Er war sich sicher, dass er die Überfahrt zusammen mit den vielen anderen im Boot schaffen würde. Lamin freute sich auf Europa, auf ein Leben in Frieden, auf eine Arbeit, um seine Familie finanziell unterstützen zu können. Und er träumte von einer Fußballerkarriere. In die Flucht getrieben hatte ihn die menschenfeindliche politische Lage in seiner westafrikanischen Heimat Gambia. Menschenrechtsverletzungen, politische Verfolgung, Folter, Gesetzlosigkeit außergerichtliche Hinrichtungen, Repressalien gegen Andersdenkende waren an der Tagesordnung. Das befeuerte auch den wirtschaftlichen Niedergang und die Arbeitslosigkeit.
Lamin war bei seiner Ankunft in Sizilien mittellos, denn das Geld - gesammelt von Verwandten - hatten ihm die Schlepper abgenommen. Er war erstmals froh, alles hinter sich gelassen zu haben. Mit Wehmut dachte er jedoch an seine Eltern und die drei Geschwister, die er nun lange nicht mehr sehen würde. Ein Ball im Hof des Lagers erhellte sein Gemüt. Er begann damit zu spielen. Das lenkte ihn ab. Fußball spielt Lamin seit er laufen kann. Sein Vater, Mitglied einer Fußballakademie und selbst Fußballspieler, hatte ihm den ersten Ball gekauft und mit ihm fast täglich trainiert. Nach zwei Tagen in Sirakus kam Lamin zusammen mit 30 anderen jungen Männern in das Erstaufnahmelager nach Bozen, wo er auch seinen Asylantrag stellte. Nach zwei Monaten wechselte er dort ins „Haus Aaron“ der Caritas. Er besuchte Italienischkurse, leistete Freiwilligendienste zum Beispiel bei unterschiedlichen Veranstaltungen, und er spielte Fußball. „Giocare a palla mi piace tanto“, meint er. Überglücklich war er, als er in der Fußballmannschaft „Excelsior“ von La Strada – Der Weg als Stürmer spielen durfte. Hier lernte er viele Freunde kennen, mit denen er bis heute in Kontakt ist.
2017 erfolgte seine Überstellung ins „Haus Rubens“ der Caritas in Mals. Lamin war zwar nicht glücklich darüber, nahm es aber hin. Sofort erkundigte er sich, ob er dort auch Fußball spielen könne. Es bot sich die Freizeitmannschaft „Amatori“ der Spielgemeinschaft Schluderns/Glurns an, wo er dann eine Meisterschaft lang spielte. Bei den „Amatori“ vermisste Lamin die Herausforderung, und er bat um Aufnahme in ein stärkeres Team. Die Verantwortlichen im Sportverein kamen dem Wunsch nach, und er bekam seinen Platz in der Schludernser A-Mannschaft. Dort zeigt er nun seine technischen und läuferischen Qualitäten. Lamin spielt meist gezielte Pässe, ist Meister im Einwurf und schießt entscheidende Tore, die lautstark umjubelt werden. In diesen Momenten vergisst er sein Heimweh, seine Angst vor einer möglichen Abschiebung, und er fühlt sich integriert. Mit seinen Mannschaftkollegen verständigt er sich in Italienisch oder Englisch. In der Schule hat er neben seiner Muttersprache Jola und zwei weiteren afrikanischen Sprachen auch Englisch gelernt. Die Fußballkollegen wollen ihm nun auch Deutsch beibringen. Die Siege feiert Lamin als bekennender Moslem ohne alkoholische Getränke. Eine Beschäftigung hat er in der Malser Sozialgenossenschaft gefunden, wo er bei verschiedenen Dienstleistungen wie zum Beispiel beim Fensterputzen eingesetzt wird. Wenn er nicht arbeitet und nicht Fußball spielt, verbringt er jede freie Minute beim Joggen oder auf dem Laufrad. Er ist ehrgeizig und will konditionell immer besser werden. Sein großes Vorbild ist Cristiano Ronaldo.
Hie und da telefoniert er mit den Seinen daheim. Vor zwei Jahre hat er dabei vom Tod des Vaters erfahren. Seine Mutter fragt jedes Mal, ob er Asyl bekommen hat. Doch das dauert, ist für ihn zermürbend. Seit vier Jahren hofft er darauf. Im November wird er vom Richter angehört. Oft ist er traurig. Er vermisst seine Familie aber nicht sein Heimatland.
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