Dieser befindet sich im Parterre des abgerissenen und neu errichteten Eckhauses, das an das 2012 erbaute Bäckereigebäude angrenzt. Große Fensterflächen dominieren den neuen „Laden“ und gewähren gute Einblicke in den Verkaufsraum und auf die Brot-Auswahl in den Vitrinen. Die Wandverkleidungen und die Regale aus naturbelassenem Fichten- und Lärchenholz wirken angenehm wärmend. Der helle Kunstharzboden ist unaufdringlich, pflegeleicht und trittsicher. An den Verkaufsraum grenzt ein Büroraum und die Backstube. Im Untergeschoss liegen die Kellerräume. Sie dienen als Lager für den Backbetrieb. Das Obergeschoss des Gebäudes bietet Platz für zwei Wohnungen.
Für den neuen Verkaufsraum benutzt Bäckermeister Günther Angerer ganz bewusst das Wort „Laden“. Es handelt sich dabei um die ursprüngliche Bezeichnung für ein Brett, auf dem einst die Brote oder sonstige Waren zum Verkauf angeboten wurden. Während die „Laden“ in den Geschäften anderswo meist verschwunden sind, tun sie in der Bäckerei Angerer nach wie vor ihren Dienst.
In der Backstube wird das frische Brot aus dem Holzofen tagtäglich auf die Bretter, sprich „Laden“, geschichtet und anschließend auf dem rollbaren Brotregal, dem „Wagen“ in den Verkaufsraum geschoben. Die Hitze des Backofens sorgt nicht nur in der Backstube für Wärme, sondern wärmt auch den „Brotladen“. Der unwiderstehliche Duft des frischen Brotes sorgt für die einzigartige wohlige Backstuben-Atmosphäre.
Bäckermeister Günther Angerer folgt der Philosophie, den Menschen eine Vielzahl an gesunden Brotsorten aus vollem Korn anzubieten, die aus naturnahem Vinschger Getreide bestehen. Chemische Zusätze sind tabu.
Nach dem Abschluss der Bäckermeisterschule in München übernahm Angerer die Bäckerei samt kleinem „Ladele“ vom Bäcker Josef Stecher. Dieser hatte den Bäckereibetrieb im Jahre 1969 von Bäcker Robert Plangger übernommen. Plangger war Gründer der Bäckerei und Großvater von Günther Angerer. Der Enkel und jetzige Inhaber der Bäckerei schreibt also die kurzzeitig unterbrochene Familiengeschichte weiter. Er fühlt sich der alten Bäckerei-Tradition in seiner Ursprünglichkeit verpflichtet. Sechs Bäcker, darunter Lehrlinge, stellen in der Backstube die unterschiedlichen Brotsorten in Handarbeit her. Sie mahlen, flocken, quetschen das Getreide, mischen das Mehl, bearbeiten den Teig, formen Brote und schieben diese in den Holzofen. Dieser wird mit Buchenholz befeuert.
Das Brot aus dem Holzofen hat das besondere Etwas. Es strahlt eine natürliche Energie aus. Davon ist nicht nur Angerer überzeugt, sondern auch viele seiner Kundinnen und Kunden. Diese kommen teilweise von weit her, weil sie das handwerklich hergestellte, im Holzofen gebackene, lebendige Brot aus der Obervinschgauer Bäckerei schätzen.
Beliebt ist das ofengedörrte Brot und das händisch in Form gebrachte Schüttelbrot, dessen geschmackvolle und knackig-fluffige Lebendigkeit den Gaumen bei jeden Bissen erfreut.
Getreidesorten wie Roggen und Dinkel baut Angerer auf den familieneigenen Äckern selbst an. Eine heimische Dinkelsorte, der zu verschwinden drohte, hat er in aufwändiger Kleinarbeit über Jahre hinweg sogar selbst vermehrt. Das Getreide mahlt er in der hauseigenen Mühle. Regelmäßig kauft Angerer auch Getreide von Bauern im Raum Vinschgau. Und er motiviert diese zu vermehrtem Getreideanbau aus dem Bewusstsein heraus, die regionalen Kreisläufe zu stärken.
Angerer ist überzeugt, dass die klein strukturierte Landwirtschaft im Berggebiet nur durch lokale Authentizität und Qualität überleben kann. Dazu gehört auch, alte Brotsorten in ihren ursprünglichen Rezepturen zu pflegen, wie zum Beispiel das Vinschger Paarl. Dieses soll seinen Ursprung in Langtaufers haben. Anlässlich einer Hochzeit soll das Paarl als bescheidene Gabe und Hommage an das Brautpaar gebacken worden sein. Das hat eine Recherche der Schülerin Vivienne Gapp aus Mals untermauert, die sich im Rahmen ihrer Matura-Facharbeit mit dem Paarl beschäftigt hat.
Das Backen von Paarlen hat auch praktische Gründe. Ein aufgestelltes „Paarl“ rollt im Gegensatz zum „Leabale“ nicht so schnell von der „Fleck“ (Holzbrett/Laden). Ofengedörrtes Brot hat ebenfalls seinen praktischen Ursprung. Zum Trocknen wurden die Paarlen ein zweites Mal in den sich abkühlenden Ofen geschoben. Da es einst keine Fühler gab, behalf man sich mit dem Arm. Hielt man die Hitze einen „Vaterunser lang“ aus, war die richtige Temperatur erreicht.
Besonders beliebt ist das luftige und knackige Schüttelbrot der Backstube Angerer, das viele Liebhaber findet. Das gilt auch für alle übrigen Brotsorten, mit denen der neue „Laden“ reichlich und übersichtlich bestückt ist.
INFO
Bäckerei Angerer
Hauptstraße 29, 39027 St. Valentin a.d.H.
Tel. 0039 0473 634644, info@backstube.it
Bau: Laden, Büro, Keller, Lager, Wohnungen
Bauzeit: April 2017 bis Mai 2018
Bauherr: Günther Angerer;
Architekt: Jürgen Wallnöfer