Daneben gab es noch viele weitere Mönche dieses Gebirgsklosters, die heute weitgehend vergessen sind. Dieser kurze biographische Abriss hat den Zweck einen kaum bis wenig bekannten Marienberger der Vergessenheit zu entreißen, der nach dem unmaßgeblichen Urteil des Verfassers mit zu den bedeutendsten Wissenschaftlern gehörte, die das Kloster im Oberen Vinschgau hervorgebracht hat. Den Anlass dazu liefert sein 100. Todestag.
P. Thomas Wieser wurde am 14. November 1872 in Mals als Johann Wieser geboren. Nach der Volksschule in Mals besuchte er den größten Teil seiner Gymnasialzeit das Vinzentinum in Brixen, den Abschluss machte er aber dann im Obergymnasium von Meran, das damals von den Marienbergern geführt wurde. Nach einer kurzen Zeit bei den Jesuiten entschloss sich Wieser in den Benediktinerorden einzutreten. Zu Jahresbeginn 1891 wurde er in Marienberg eingekleidet und erhielt den Ordensnamen Thomas (Aquinas). Schon als Novize hatte er ein besonderes Interesse an der Geschichte und begann die Urkundenschätze seines Klosters intensiv zu bearbeiten. Die theologischen Studien beendete er mit der Priesterweihe, die er am 4. Juni 1895 in Brixen empfing. Daraufhin schickte ihn Abt Leo Maria Treuinfels, der offenbar die Begabungen des jungen Mönchs erkannt hatte, zum Studium der Geschichte an die Universität nach Innsbruck. P. Thomas sollte dort vordergründig für ein entsprechendes Lehramt am Meraner Gymnasium ausgebildet werden, konnte das Studium aber auch mit einer Dissertation abschließen. Für diese finanzierte ihm der Abt auch eine ausgedehnte Archivreise, die ihn unter anderem nach Ludwigsburg und Stuttgart führte. Die eindrucksvolle und äußerst aufwendige Dissertation mit dem Titel „Bemühungen zur Restauration der Abtei Marienberg in Tirol (1556–1615)“ wurde von ihm auf einer sehr breiten Quellenbasis geschrieben, blieb aber bis heute ungedruckt. Die Promotion zum Dr. phil. erfolgte am 6. Juli 1901.
Daraufhin wurde er sogleich als Lehrer für Geographie und Geschichte an das Meraner Gymnasium geschickt, wo er bis Februar 1911 wirkte. Daneben war er rastlos für die Geschichte tätig. Er durchforschte in seiner Freizeit viele der lokalen Archive, immer mit einem besonderen Fokus auf sein Heimatkloster Marienberg. Frucht dieser Arbeit waren mehrere kleinere Aufsätze und auch drei größere Werke: Eine Geschichte des Meraner Gymnasiums, die „Familia Mariaemontana“, wo er alle Mönche Marienbergs seit dessen Gründung zu erfassen versuchte, und eine gründliche Biographie des Marienberger Abtes Matthias Lang (+1640). Daneben war P. Thomas unglaublich belesen. Eine Liste derjenigen Bücher, die in seinem Zimmer zum täglichen Gebrauch standen, füllt mehrere Seiten und weist neben Klassikern auch die damals aktuellste historische Literatur auf. Dass er ein durchaus kritischer Geist war, bezeugen die oft sehr drastischen Rezensionen über geschichtswissenschaftliche Werke aus seiner Feder. Für die ständigen Bemühungen um die Geschichte seiner Heimat und die Erhaltung der dortigen Denkmäler erhielt er aber auch öffentliche Anerkennung von höchsten Stellen. Im Dezember 1905 wurde er zum Korrespondenten der „Zentralkommission“, des damaligen staatlichen Denkmalamtes in Wien, ernannt. Als solcher setzte er sich etwa besonders für die Restaurierung der Benediktskirche in seiner Heimatgemeinde Mals und die Freilegung und Sicherung der gotischen Fresken in der Nikolauskapelle in Rojen ein. 1913 wurde er auch zum korrespondierenden Mitglied des k.k. Archivrats in Wien ernannt, da er sich auch auf dem Gebiet des Archivwesens manche Verdienste erworben hatte. Seit 1911 wirkte er nämlich als Stiftsarchivar in Marienberg. Dort begann er mit einer ambitionierten Sichtung, Ordnung und Neuaufstellung des gesamten Archivbestands. In den darauffolgenden Jahren scheint der unermüdliche Geschichtsforscher und Archivar immer wieder gekränkelt zu haben. Die Ursachen dafür könnten unter anderem in seinem strapazierenden Arbeitsalltag gesucht werden, der Körper und Geist sehr beanspruchte. Er saß oft doch schon vor der Vigil, dem ersten klösterlichen Stundengebet vor Tagesanbruch, über den Urkunden und Akten. Am 30. Jänner 1918 erlag P. Thomas Wieser doch eher plötzlich und unerwartet im Alter von 45 Jahren einem Lungenleiden, ohne dass er seine Archivordnung und viele andere historische Projekte zu einem Abschluss bringen hat können. Abt Leo Treuinfels antwortete dem Grafen Trapp auf dessen Kondolenzschreiben hin: „Für die Erforschung der Geschichte unseres Klosters und seiner Umgebung ist mit dem lieben Verstorbenen Vieles ins Grab gesunken. Gottes heiliger Wille geschehe!“
Welche Verdienste sich Wieser um die Geschichte seiner Heimat und insbesondere um die seines Klosters erworben hat, erkennt man nicht zuletzt auch an seinem umfangreichen Nachlass, der bis heute im Marienberger Archiv verwahrt wird.
Trotz all dieser Verdienste ist seine Person im Gegensatz zu anderen wichtigen Ordensmännern aus Marienberg der breiten Öffentlichkeit relativ unbekannt geblieben. Im Kloster selbst gedenkt man seiner aber noch immer alljährlich an seinem Todestag. Vielleicht gelingt es der Gemeinde Mals irgendwann einmal diesem ihrem berühmten Sohn in irgendeiner Form eine späte Würdigung zukommen zu lassen. Er wäre immerhin nicht der erste Malser, dem man beispielsweise mit einem Straßennamen ein „ewiges“ Denkmal gesetzt hat.
{jcomments on}