Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Kurz darauf sah sie die kleinen lebendigen Frösche, die für den Weihnachtsschmaus gedacht waren. „Miar hoobn si gmiaßt hinrichtn unt kochn“, beschreibt sie. Es gruselte sie. Als ihr beim Festmahl ein Teller mit Fröschen gereicht wurde, schlich sie sich damit in die Küche. „I hon di Weihnachts-Delikatesse pan Fenster ausigworfn“, verrät sie. Hungrig legte sie sich ins Bett und schlief lange nicht ein. Erna hielt sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit Oktober in der lombardischen Großstadt auf. Ihr Firmpate, ein Stammgast ihres Vaters, der Bergführer war, hatte sie dorthin eingeladen, damit sie Italienisch lernen konnte. Obwohl sie es gut hatte, und alle nett zu ihr waren, plagte sie das Heimweh. „I wear meine Kindr nia noch Mailand schickn“, schwor sie sich damals und hat es später auch so gehalten.
Erna wuchs als älteste von sechs Kindern in bescheidenen Verhältnissen in Außersulden auf. Dort besuchte sie zuerst die italienische Schule und erst 1942 die deutsche. In der Freizeit mistete sie den Stall aus, striegelte die Kühe, half bei der Heuarbeit auf den steilen Feldern, jätete den Kartoffelacker. Mit Kartoffeln backte ihre Mutter oft Brot. „Frischer isch deis guat, ober wenns hort isch, isches wia Beton, dass mas afn Hozstock drschlogn muaß“, lacht sie. Jeden Sonntag marschierte sie zu Fuß nach Sulden zum Gottesdienst. „Oa Stund long, pa jedn Wint unt Wettr“, sagt sie. „Unt onmol im Monat hots ghoaßn beichtn gean.“ Zwei Kirchgänge zu Kriegsende 1945 sind ihr besonders in Erinnerung. Einmal waren plötzlich die Motorengeräusche eines nahenden Tieffliegers zu hören, der sie und ihre Geschwister fürchterlich erschreckte. Sie versteckten sich im Dickicht und warteten, bis die Luft rein war. Ein anders Mal stießen sie auf einen Militärjeep, der kopfüber im Bachbett lag. Später holte der Vater die Reifen, aus denen der Schuster dann Schuhsohlen herausschnitt. „Mit meine Gummisohln hon i a mort Stolz kopp“, sagt Erna. Ihr Mailänder Pate kehrte oft daheim ein. Und so kam es, dass sie nach Mailand eingeladen wurde. Sechs Monate hielt sie es dort aus, dann kehrte sie heim. Acht Monate hätte sie bleiben sollen. Sie fand Arbeit in Sulden als Kindermädchen und später als Haushaltskraft in der Ferienwohnung eines Meraner Ehepaares, das die Sommermonate in Sulden verbrachten. „Mit di Herrschoftn bin i norr sechs Johr aa in di Kurstodt oi gongan“, erklärt sie. Ihren Monatslohn von 12.000 Lire gab sie daheim ab. Schließlich nahm sie eine Stelle als Zimmermädchen im „Hotel Eller“ an. Dort fühlte sie sich zum Hausmeister Hermann Grutsch hingezogen. Mit ihm tanzte sie im „Enzian“ zur Musik des legendären „Storchalois“ eine Samstagnacht durch. Um 23.00 Uhr hätte sie daheim sein sollen. Erst um 5.30 Uhr schlich sie sich ins Bett. Die erzürnte Mutter weckte sie schon kurz darauf und schickte sie zur Strafe wieder auf den langen Fußmarsch nach Sulden zur Sonntagsmesse.
Im Mai 1964 heiratete Erna ihren Hermann und zog mit ihm ins Haus ihrer Eltern. Sie schenkte ihm zwei Mädchen, war als Mutter und Hausfrau ausgelastet. Er arbeitete weiterhin als Hausmeister. Vom „Eller“ wechselte er ins „Marlet“. „Miar hoobm gonz bescheiden mit di Kindr in dr Holzschupf gwohnt“, verrät sie. Jede Lira legte das Paar auf die hohe Kante. Schließlich konnten sie sich ein Haus in Sulden bauen, wo sie auch Gästezimmer einrichteten. Erna verdiente sich damit etwas dazu. Das Familienglück war durch die Kränklichkeit der ältesten Tochter getrübt. Eine Blinddarmentzündung war im Krankenhaus nicht richtig erkannt worden und endete mit dem Blinddarmdurchbruch. „Dr Doktor hot pfuscht unt s Madl hot johrelong glittn“, sagt sie. „Mit ocht Johr hot si lei 11 Kilo gwougn unt war bold gstorbn.“
Heute geht es der Tochter wieder gut. Als gläubige Christin und fleißige Kirchengängerin dankt sie dem Herrgott dafür. Kerzen hat sie in den Wallfahrtorten Fatima, Lourdes und Medugorje angezündet. 28 Jahre lang war sie Mitglied des Pfarrgemeinderates. Noch heute trägt sie den Missionkalender „Werk des Erlösers“ aus und ist dabei einem herzhaften fröhlichen „Ratscherle“ nie abgeneigt. Zu Weihnachten genießt sie es, wenn sich alle Familienmitglieder um sie und ihren Mann versammeln. Und das „Wienerschnitzl“ darf dann auch nicht fehlen.
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