Die Enttäuschung der Bauern
Die Wolf- und Bärenrisse in Südtirol während des Almsommers 2017 haben sich gehäuft. Von einigen Almen im Wolfsgebiet sind die gesömmerten Weidetiere vorzeitig abgetrieben worden. Der Almabtrieb in Hinterulten ist zu einem, von den Medien vielbeachteten Protest der Viehhalter gegen die in ihren Augen zögerliche Langsamkeit der Politik und zur Aufforderung nach mehr Entschlossenheit geworden. An einigen Orten im Zentralalpenraum sind Bergfeuer entzündet worden, um auf die Bedrohung der Almwirtschaft durch Bär und Wolf aufmerksam zu machen und die Forderung nach einem aktiven Management der beiden Tierarten zu unterstreichen.
Die Schritte der Politik
Der Bayrische Landwirtschaftsminister Helmut Brunner hat sich vorausschauend solidarisch mit dem Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft und mit den Bergbauern erklärt. Im gleichen Sinn hat sich der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter geäußert. Die Forderung des Südtiroler Bauernbundes nach einem wolffreien Südtirol wurde wiederholte Male und zu verschiedenen Anlässen vorgebracht. Im Europäischen Parlament wurde eine Anfrage des Parlamentariers Herbert Dorfmann zum Schutzstatus des Wolfes beantwortet. Landeshauptmann Arno Kompatscher und Landesrat Arnold Schuler haben nach den sich wiederholenden Bären- und Wolfrissen an Weidetieren erklärt, dass es ihnen jetzt reiche und sie die Verantwortlichen im Nationalpark Stilfserjoch zum Rückzug aus den Projekten Life Ursus und Life WolfAlps anweisen werden. Zu diesem Punkt erlaube ich mir als vormaliger Direktor des Natio-nalparks Stilfserjoch folgende Präzisierung: Schon vor Jahren hatte der Nationalparkrat als kollegiales Leitungsgremium im Konsortium Nationalpark Stilfserjoch eine Grundsatzentscheidung getroffen, keinen aktiven Beitrag zur Wiederansiedlung der großen Beutegreifer Braunbär und Wolf zu setzen, aber die Rückkehr, gewollt oder ungewollt, so gut und professionell als möglich zu monitorieren, managen und begleiten.
Das Projekt Life WolfAlps ist ein zu 70% von der Europäischen Gemeinschaft finanziertes Projekt, das mit 6 Millionen Euro dotiert und zeitlich auf den 6-Jahreszeitraum 2013-18 beschränkt ist. Es wird von 12 Projektpartnern im Alpenbogen zwischen Frankreich und Slowenien getragen und umgesetzt. Die Rolle des Projektkoordinators hat der piemontesische Regionalpark Parco naturale Alpi marittime. Das Konsortium Nationalpark Stilfsserjoch hatte sich unter der Präsidentschaft von Ferruccio Tomasi und meiner Direktion dazu entschieden, sich ausschließlich an jenen Projektelementen zu beteiligen, welche die Aktionsfelder Bildung, Schulung, Sensibilisierung und Aufklärung betreffen. So wurde beispielsweise das forstliche Aufsichtspersonal eingeschult, Wolfsspuren und Rissbilder zu erkennen und Schäden zu dokumentieren, ebenso wie DNA-haltige Proben wie Haare und Kot fachgerecht für die Analyse im Labor zu sammeln. Oder es wurden Unterrichtseinheiten vorbereitet und von Wildbiologen Dutzenden von Klassen in den Pflichtschulen des westlichen Südtirol angeboten, um die Schüler und Lehrer zu informieren und Ängste und Sorgen abzubauen.
Einzelne Mandatare und die Parteien im Südtiroler Landtag haben ihre Ansichten kundgetan und ihre Positionen artikuliert. Ebenso haben mehrere Bürger in ihren Leserbriefen ihre Meinung kundgetan. Manch einer hat gefordert, dass die Wölfe weg müssen, ob legal oder illegal. Auch auf Gemeindeebene haben einzelne Bürgermeister öffentliche Stellungnahmen abgegeben und in Gemeinderäten ist das Thema Wolf und Bär diskutiert worden.
Ich wiederhole mich: Reife Demokratien müssen eine legale Lösung finden. Der Abschuss oder die Tötung eines Wolfes oder eines Bären sind nach heute geltendem Recht eine Straftat. Wolf und Bär sind durch internationale Abkommen auf der höchsten Ebene geschützt. Die EU-Richtlinie zu Flora, Fauna Habitat (FFH-Richtlinie 92/43/EWG) stuft Wolf und Braunbär als prioritäre Arten ein.
In Südtirols Nachbarländern finden sich offenbar politische Verbündete, welche einen Antrag an die Europäische Union unterstützen, den Schutzstatus des Wolfes zu senken. Dieser Weg wird dauern. Eine von den Bauern und Viehhaltern kurzfristig geforderte Sofortlösung des Problems ist derzeit nicht in Sicht. Die Zwölferkommission, welche Vorschläge für die Sonderautonomie der Region Trentino Südtirol ausarbeitet, hat einen neuen Anlauf unternommen, den Wolf zur jagdbaren Art zu erklären.
Der Wolf und die Almwirtschaft
Der Wolf ist in seinem weltweiten und auch in seinem europäischen Vorkommen nicht gefährdet. Sein Bestand in Europa wird derzeit auf 10.000 Tiere geschätzt.
Die Almwirtschaft ist auch und besonders in Südtirol ein unverzichtbares Standbein direkt für die viehhaltende Landwirtschaft und indirekt für den Landschaftsschutz, die Kulturlandschaft, den Erhalt der Biodiversität und den Tourismus. Einem aufmerksamen Monitoring des Wolfbestandes muss eine vernunftbetonte Regulierung des Wolfbestandes folgen, wenn eine soziale Akzeptanz erreicht und die Fortsetzung der Almbewirtschaftung erreicht werden will. Die Diskussion muss viel emotionsfreier als derzeit und fachlich umfassend und korrekt, ohne Scheuklappen und vorgefertigte Meinungen geführt werden.
Weise und klug
Einen wertvollen Beitrag zur Objektivierung der Diskussion hat der Priester Josef Stricker im „Katholischen Sonntagsblatt“ Nr. 38 vom 17.09.2017 mit seinem Beitrag „Stadt-Land-Gefälle“ geliefert. Der Leitartikel beschäftigt sich unter anderem auch mit dem jüngsten Streit im Umgang mit Bären und Wölfen im alpinen Raum. Ein paar Zitate aus dem fundierten Beitrag Josef Strickers zur derzeit geführten Diskussion möchte ich an dieser Stelle wiedergeben. Sie eignen sich auch zur Reflexion über das Verhältnis der Fremdbestimmung von außen und der Eigenbestimmung von innen.
„Die Bergbevölkerung war es, die in jahrzehntelanger Arbeit das alpine Gelände zum heutigen Wirtschafts-, Lebens- und Kulturraum geformt hat …. Im 20. Jahrhundert ist Südtirol die Landflucht erspart geblieben. Das Land ist flächendeckend besiedelt. Landwirtschaft konnte sich mit Hilfe von Zuerwerb halten. Das über Jahrhunderte gewachsene Miteinander von Natur- und Kulturlandschaft gehört mit zum Besten, was unser Land heute zu bieten hat… Ballungszentren wachsen, der ländliche Raum verliert. Stadt und Land driften auseinander, ökonomisch und ideologisch. Wenn die Politik in Brüssel, Rom und Bozen nicht Weitsicht walten lässt, führt die Kluft über kurz oder lang dazu, dass die Berggebiete und die Probleme der Menschen dort im öffentlichen Diskurs zunehmend unwichtiger werden…. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land muss die Leitvorstellung künftiger Politik sein. Man muss sich entscheiden: Will man den ländlichen Raum, überspitzt ausgedrückt, in eine Art Wildnis- und Freizeitpark für Städter verwandeln? Oder aber man entscheidet sich im Sinne der Alpenkonvention, Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt als Ganzes zu sehen.“
Die Worte Josef Strickers, als Arbeiterpriester in der Stadt und Bergbauernkind von Stallwies in Martell tief in beiden Milieus verortet, in Gottes Ohr!
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