Lempruch würdigt den Einsatz in seinem Buch als heldenhafte Tat, obwohl die Stellung innerhalb weniger Tage wieder verloren ging und viele Tote zu beklagen waren. Lempruch befehligte das Frontgeschehen in der Ortlergruppe vom Ansitz Gargitz in Prad aus.
Frontlinien im Gletschereis
Nach der Kriegserklärung 1915 besetzten die Italiener auf der einen und die Österreicher auf der anderen Seite die Berggipfel an der Frontlinie und bauten ihre Stellungen aus. Die Alpini hatten sich auf dem Gipfel der Trafoier Eiswand eingenistet. Es war ein strategisch wichtiger Punkt und den Österreichern ein Dorn im Auge. Denn von dort aus konnten die Alpini die österreichische Frontlinie in einer Länge von 2.500 Metern mit den Stellungen auf dem Stilfserjoch beobachten und weit ins Vinschgau hinaus schauen. In einer ausgeklügelten Blitzaktion am 1. September 1917 gelang den Österreichern die Eroberung der Trafoier Eiswand. Diese Aktion wurde als Heldentat gefeiert.
Österreichischer Überraschungsangriff
Lange hatten die österreichischen Befehlshaber um Lempruch und den verantwortlichen Hauptmann der Kaiserschützenkompanie Nr. 30, Luis Molterer, an einem geheimen Plan zur Eroberung der Stellung geknobelt. Schließlich entschieden sie sich zu einem Überraschungsangriff über einen unterirdischen Eisstollen. Denn ein spontanen Überraschungsangriff im steilen Gelände war wegen der kleinen Kämpfertruppe und mangels chronischem Soldatennachschubs unmöglich. Im Mai 1917 begannen die Aushubarbeiten. Der Stolleneingang befand sich in einer Senke, die von den Italienern nicht einsehbar war. Tag und Nacht trieben die Kämpfer den Angriffsstollen bei durchschnittlich 6 Grad minusdurch das Gletschereis, immer auf der Hut vor Entdeckung. In Serpentinen gruben sie sich durch den Hängegletscher in Richtung Gipfelstellung der Alpini. Durch Gletscherbewegungen kam es immer wieder zu Einstürzen des Eistunnels. Die Stollenarbeiter waren öfters eingeschlossen und mussten befreit werden. Tödliche Unfälle gab es keine. Die Einnahme der Stellung auf der Trafoier Eiswand erfolgte am 1. September 1917. Lempruch beschreibt:
„Der Ausbruch und die Wegnahme der Stellung wurden für die frühen Morgenstunden des 1. September 1917 in Aussicht genommen und auch wirklich durchgeführt. Vorher waren alle Vorbereitungen wie: Etappenweise Deponierung von Verpflegungsvorräten in dem etwa 1500 Meter langen Tunnel, Bereitstellung von Seilbahnmaterial zur sofortigen Aktivierung der Nachschublinie in die eroberte Stellung nach Wegnahme derselben, Ansammlung von Munition usw. genauestens getroffen worden. Als der überraschende Ausbruch gelungen und der schlaftrunkene Gipfelposten lautlos in Empfang genommen, auch die feindliche Alarmleitung abgeschnitten war, zeigte es sich, dass die Stellungsbesatzung in einer auf einer Felsstufe südlich der Gipfelstellung und etwa 50 m tiefer als diese befindlichen Baracke untergebracht war. Oberleutnand Bayer seilte sich nun kurz entschlossen mit einigen seiner kühnen Leute über die steile Felswand ab, um den Feind, der durch den unvermeidlichen Lärm schon aufmerksam geworden war und zu schießen begann, womöglich in seiner Unterkunft dingfest zu machen. Die in den Fels- und Eiszacken nächst der Ausbruchsstelle eingenistete eigene Feuerstaffel unterstützte das Vorgehen der kühnen, schließlich in heftiges Feuer kommenden Seilpartie durch wohlgezielte Schüsse. Ein Teil des Feindes war, notdürftig bekleidet, aus den Baracken gelaufen, ein Teil befand sich noch in derselben. Es kam zu einem erbitterten Handgemenge mit Handgranatenkämpfen, in welchen wir schließlich wie durch ein Wunder verlustlos bleibend die Sieger waren“.
Die Verluste auf italienischer Seite waren groß. 30 Soldaten wurden gefangenen genommen. Den Eroberern fielen Verpflegungs-, Waffenvorräte und die Kompaniekanzlei mit wertvollen Aufzeichnungen in die Hände. Die herbeigeeilten neuen italienischen Soldatenformationen erlitten anfangs durch Gewehre und Handgranaten der Österreicher schwere Verluste.
Rückeroberung durch die Italiener
Am 3. September wandte sich das Blatt. Dem gezielten Gegenangriff der Alpini-Übermacht waren die Österreicher nicht mehr gewachsen, obwohl von allen Seiten schossen. So feuerten die Batterien am Ortler, am Pleißhorn, die Kanonen am Nashorn und am hinteren Madatsch. Beide Seiten erlitten blutige Verluste. Schließlich holten sich die Italiener die Trafoier Eiswand wieder zurück. Die österreichische Formation wurden aufgerieben. 120 Soldaten beider Seiten fanden den Tod. Österreicher gerieten in Gefangenschaft. Einem einzigen österreichischen Soldaten gelang die halsbrecherische Flucht über den Gletscher. Lempruch schreibt:
„Seine Meldung war ein echtes Heldenlied… In Summe mögen an 450 Mann an diesem Angriff beteiligt gewesen sein, welchen unsere Eiswandgipfelbesatzung in der Stärke von 15 Mann gegenüberstanden….Die Eiswandgipfelstellung wehrte sich gegen die etwa 30fache Übermacht heldenmütig. Ihre Maschinengewehre räumten unter den vorwärtsstürmenden Feinden furchtbar auf. Bald war durch eine Umgehungsbewegung des Feindes, die den Eistunnel blockierten, dem kleinen Häuflein der unseren der Rückzug abgeschnitten. Der Feind drang in die Stellung ein und besetzte sie… Die Eiswandgipfelstellung war zwar für uns verloren; die Verteidigung derselben aber, ohne weiteres mit dem Kampfe um die Thermopylen vergleichbar, bildet ein goldenes Blatt im Lorbeerkranze der Tiroler Landesverteidigung 1915/18.“
Kampf ohne Gewinner
Bei Kriegsende 1918 verließen die ausgemergelten Kämpfer ihre eisigen Stellungen und ließen die Kriegsrelikte zurück. Diese beflügeln seither die Sammlerleidenschaft. Der Kampf um die Trafoier Eiswand wie auch der Kampf in den übrigen Frontanschnitten hat zahlreichen Soldaten auf beiden den Tod gebracht, aber keine Gebietsgewinne. Neue Grenzen zogen die siegreichen Alliierten (England Frankreich, Russland USA). Sie zogen beim Friedenvertrag 1919 in Versailles. Italien erhielt unter anderem Südtirol zugesprochen, als Gegenleistung von Seiten der Alliierten für Italiens Kriegserklärung an Österreich 1915.
Bei der Gedenkfeier für die Kämpfer der Ortlerfront 1960 in Trafoi sagte der einstige Hauptmann des 3. Kaiserschützenregiments und Kommandant der Hochgebirgskompanie Nr. 30, Luis Molterer ( 1886 – 1966):
„Das Herz krampft sich mir zusammen, wenn ich hinaufsehe zur Trafoier Eiswand und zurückdenke an jene Tage des Kampfes und an die Männer, die dort oben gefallen sind.“
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