Franz-Tumler-Literaturpreis: Die Nominierungen – Teil 3 -
Suhrkamp Verlag, Berlin, 2017, 330 S.
Gott muss ein fauler Kerl sein, wenn er ausgerechnet Bens achtjährigen Bruder Jonas als Engel zu sich holen muss. Der Verlust kommt unerwartet und auch wenn in Bens Vorstellung einiges klar ist (Gott spricht Latein und die Seelen fliegen ihm beim Sterben zu) bleiben doch viele Fragen rund um Jonas‘ Tod für Ben und seine Mutter Ruth unbeantwortet. Beide hadern mit dem Schicksal und winden sich durch den Alltag, der vor allem für Ruth von Schmerz durchzogen ist. Als alleinerziehende Mutter bleibt sie mit einem Sohn zurück. Ben denkt zwar viel an Jonas, den Piepmanscher, findet aber als elfjähriger Junge einen Weg, einigermaßen heiter durch die faden Schultage und die freie Zeit zu kommen. Bubenfreundschaften, erste Küsse, Winnetou, sein bester Freund Chrisse und die Fahrstunden in einem abgestellten Auto ohne Dach helfen ihm dabei, aber auch die starke Vorstellungskraft, mit der Ben bestimmte Phänomene erklärt. Sein Inneres besteht beispielsweise aus geordneten Regalen, deren Inhalt auch durcheinanderkommen oder herausfallen kann. Seinen Körper steuert er oft wie eine Maschine, um zu bestehen, wenn die Kraft versagt. Mit Mami Ruth lebt er im Hamburg der frühen Siebzigerjahre und abwechselnd lässt der Autor Blicke in die Gedankenwelt und Erlebnisse der beiden zu.
Dieser Roman hat viel zu bieten: Er ist faszinierend, weil die geschilderte Kindheit fern wirkt und die Sicht des Jungen mal rührend, mal genial und philosophisch ist; er macht traurig, weil Ruth unter der Last zu zerbrechen scheint und sich langsam ins Leben zurückkämpfen muss. Dem Autor ist es gelungen, Bens Wahrnehmung und die Dialoge mit seinen Freunden rund um Fußball oder Schatzsuche sprachlich authentisch wiederzugeben, was dem schweren Hauptthema des Romans einen sonnigen Ausgleich verschafft.
Maria Raffeiner
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