Ich möchte im heutigen Beitrag die Drei Brunnen aus botanischer Sicht vorstellen und zwar zum sommerlichen Blühaspekt Mitte Juni dieses Jahres. Die abgedruckten Fotos habe ich allesamt gleichentags am Nachmittag des 14. Juni 2017 entlang der Latschenrunde aufgenommen. Sie bilden somit in Ausschnitten den Blühaspekt im Latschenwald und im Schuttkar ab.
Wald und Bach
Wenn man dem Auto entsteigt, empfangen einem zunächst der Wald mit seinem harzigen Geruch und der Bach mit seinem Geräusch. Nach wenigen Atemzügen wird das Rauschen des Baches vom Geräusch zum Wohlklang, sein Plätschern zur Musik. Dann sind da die weißen, grauen und schwarzen Steine aus Dolomit, groß, klein, kantig, gerundet, gemustert, sortiert und geformt von Eis, Abbruch und Verfrachtung durch das Wasser. Die Wasserfälle springen ins Auge: Oben im Mittelteil der Felswand vom Vorderen Madatschknott bricht das Wasser aus der Wand: Karstbäche sind es, die aus dem Bauch des Berges hervorquellen, nachdem sie hoch oben auf dem Gletscherplateau in den Schratten des löchrigen Dolomitgesteins verschwunden sind.
Pioniervegetation
Dann ist da der Übergang vom hochstämmigen Nadelmischwald mit Fichten, Lärchen und Zirben in den Latschen-Gürtel mit seinem bruchfesten Säbelwuchs und schließlich zur lückigen Pioniervegetation auf dem Schuttkar von Madatsch und Ortler. Nur wenige hundert Längenmeter muss man unter die Füße nehmen, um diesen Wechsel des Pflanzenkleides von der geschlossenen Waldformation zur offenen Pioniervegetation auf dem Schuttkar zu durchschreiten. Selbst im Schuttkar gibt es pflanzliche Pioniere, die auf noch unstabilem Untergrund dem Bodenrieseln standhalten und durch Ausläufer mitwachsen wie das Alpen-Leinkraut (Linaria alpina). Andere, wie der Blaugrüne Steinbrech (Saxifraga caesia) brauchen den Ruheschutt, um in der Polsterform auf diesem Rohboden Pionierbesiedler zu werden.
Urwald Latschenwald
Die Latsche oder Legföhre (Pinus mugo) ist ein Kalkanzeiger. Sie gehört zu den zweinadeligen Föhren-Arten und hat einen Säbelwuchs. Bei den Zirben stehen die Nadeln in Fünfer-Büscheln. Hier bei den Drei Brunnen siedeln die Latschen auf den Schuttkegeln von Ortler und Madatschspitzen. Vielästiger Säbelwuchs anstelle eines Hochstammes ist die Anpassung der Latschen an den Abgang von Schneelawinen und Schuttmuren. Der Säbelwuchs macht sie bruchfester. Ein schaftbildender Baum mit Einzelstamm wäre hier auf verlorenem Posten. Der Lebensraum Latschenwald ist außerhalb des Steiges schier undurchdringlich, daher auch Lebens- und Rückzugraum für pflanzliche und tierische Spezialisten. Die laute und abwechslungsreiche Stimme des Zaunkönigs (Troglodytes troglodytes), des Winzlings unter den einheimischen Vögeln, kann ich ansprechen. Und die Wasseramsel (Cinclus cinclus) huscht wenig scheu, aber geschäftig auf den Kieselsteinen des Bergbaches hin und her, um rasch in das schnell fließende Wasser abzutauchen und unter den Steinen nach Fliegenlarven zu suchen. Und der Latschenwald bietet botanische Raritäten: Heuer besonders früh blühend treffe ich den Frauenschuh (Cypripedium calceolus). Diese einheimische Wildorchidee überlistet mit seiner Kesselfallenblüte die Bestäubungsinsekten: Vom glitschigen Kesselrand rutschen die Insekten in den Kessel ab, der die männlichen und weiblichen Blütenorgane trägt, und befruchten dort während der ungewollten Gefangenschaft die Blüte. Bitte respektieren Sie, dass alle Wildorchideen geschützt sind. Ein schönes Erinnerungsfoto ist dauerhafter als der abgerissene, schnell verwelkende Blütenstängel oder die ausgegrabene Knolle.
Erlebnis Bartgeier
Ich gehe nur wenige Schritte vom Latschenwald in die Geröllhalde am Bach, der vom Madatschferner herunter durch den Dolomitschlund herausfließt. Und komme wieder in einen völlig anderen Lebensraum. Fließböden, Bruchkanten und Ruheschutt wechseln sich ab: Grobblockiges Geröll, kantige Bruchsteine, gerundete handgroße Kieselsteine, feiner Schotter und Sand. Kleinlebensräume mit eigenem Mikroklima bieten Heimstatt für pflanzliche Spezialisten. Steine wirken wie wärmende Bettflaschen für die Schweizer Weide (Salix helvetica) und die Pestwurz (Petasites spec) als Pionierbesiedler. Auch die weiß blühende Silberwurz (Dryas octopetala) ist eine solche bodenfestigende Pionierart auf Kalksubstrat. Mitte Juni blüht auch die Herzblättrige Kugelblume (Globularia cordifolia) als Charakterart dieser Pflanzengesellschaft.
Ich sitze im Schuttkar zwischen vereinzelten jungen Latschenbäumchen, die in dieser Kampfzone bonsaiartig klein wachsen, und denke an die Legende der Drei Brunnen als Heilwasser und an den Einsiedler, der hier in einer Eremitage seinen Rückzugsort gefunden hatte. Und im Fernglas kann ich den kreisenden Bartgeier in der Abendsonne beobachten, der im Segelflug die Thermik an den senkrechten Felswänden nutzt, während oben im Horst der erste Junggeier des Paares „Trafoi“ heranwächst. Nach über hundert Jahren ist diese Vogelart als Brutvogel auch wieder in das Trafoital zurückgekehrt.
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