Die jährlich abgebaute und zu Tal beförderte Menge beträgt in beiden Brüchen zusammen etwa 5.000 Kubikmeter. Das geologische Gutachten der beiden Paduaner Geologen Greganin und Brigo aus den 1980er-Jahren weist Vorräte von mehreren Hunderttausend Kubikmetern aus. Im Entwurf des Nationalparkplanes wurden die historischen und rezenten Abbaustellen von Marmor an der Jennwand als wirtschaftlich nutzbare Zonen klassifiziert.
Moderne Abbautechnik
Die früher praktizierten Sprengungen zum Abtrag des tauben Gesteins gehören heute weitestgehend der Vergangenheit an. Durch orientierte Probebohrungen mit der Entnahme von Bohrkernen weiß man um die Lage, Mächtigkeit, Störzonen und Farbvarietät der Marmoradern. Der Abbau kann somit gezielter und schonender erfolgen. Die früher praktizierte Sprengtechnik hatte zusätzliche Risse im Gestein zur Folge, die zu den natürlichen Rissen, Störlinien und Verwerfungen aus der Entstehung der Marmorlinsen während der Gebirgsbildung dazukamen. Heute werden die Marmorblöcke mit Schwert- und Seilsägen aus der Wand geschnitten, welche mit Industriediamanten als Schneidezähne bestückt sind. Auf der zehnteiligen, logarithmischen Härteskala der Mineralien und Gesteine nach Mohs hat Diamant mit 10 die größte Härte. Marmor weist eine Härte von 3,5 auf. Die Schneidewirkung der Diamantsägeblätter beruht auf der unterschiedlichen Härte der beiden Materialien.
Der Marmor aus der Jennwand besteht zu 96% aus reinem Calciumcarbonat CaCO3.Die unterschiedlichen Farbvarietäten, die abgebaut werden, stammen aus verschiedenen Begleitmineralien wie beispielsweise dem grünen Chlorit, dem rosafarbenen Klinozoisit und dem Aktinolith, der graue und schwarze Farbbänder bewirkt.
Der weiße Marmor der Jennwand ist ein Umwandlungsgestein oder metamorphes Gestein. Seine Ursprünge liegen am Meeresboden eines subtropischen Flachwassermeeres: Vor etwa 500 Millionen Jahren haben sich im Laufe geologischer Zeiträume mächtige Kalkschichten wie etwa Gips als Sedimente abgesetzt. Diese marinen Ablagerungen stammen von Meeresbewohnern mit Kalkpanzern. Im Zuge der Auffaltung und Gebirgsbildung der Alpen ist der Meeresboden mehrere Hundert bis Tausend Kilometer nach Norden verschoben und mehrere Hundert bis Tausend Meter nach oben gehoben worden. Dabei wurden die alpine Klüfte mit Kalkgesteinen gefüllt, die zudem auch eine chemische Veränderung erfuhren.
Die zwei Metamorphosen
Der Marmor als Meeressediment hat mindestens zwei Umwandlungen, sogenannte Metamorphosen erfahren und die Kristallgitterstruktur des Gesteins ist völlig neu geordnet worden. Während des Entstehungsprozesses wurden die Korallenstöcke und Algenpanzer als Ausgangsmaterial zerstört. Deshalb finden sich im Marmor im Gegensatz zum Dolomit als Calciumagnesiumcarbonat nie fossile Reste.
Die erste Umwandlung im Entstehungsprozess von Marmor wird variszische Metamorphose genannt. Sie ist vor 350-320 Millionen Jahren im Erdzeitalter des Karbons bei Temperaturen von 550-660 Grad Celsius und bei 5-7 Kilobar Druck abgelaufen. Dabei sind zwei Faltungen erfolgt.
Die zweite Metamorphose, die der Marmor durchgemacht hat, wird als alpine Metamorphose bezeichnet. Sie ist vor 90-70 Millionen Jahren in der Kreidezeit erfolgt. Dabei herrschten Temperatur- und Druckverhältnisse von 500°C und 6.000-8.000 Atmosphären. Die Marmoreinschlüsse haben dabei drei Faltungen erfahren.
Produktveredelung
Gegenüber den beiden anderen Abbauorten von rein weißem Marmor in Europa, nämlich Carrara in der Toskana und auf Attika in Griechenland, ist der Marmor aus der Jennwand wegen der Lage der Vorkommen, der Abtransport-Bedingungen und der Entfernung von Hochseehäfen zur Verschiffung standortbenachteiligt. Dies bewirkt auch, dass dieser heimische Naturstein im Hochpreissegment liegt. Er kann am besten durch die Produktveredelung in der Bildhauerei bestehen. Dies hat die mehrhundertjährige Geschichte des Steines gezeigt. Und die Wiedergründung der Laaser Fachschule für Steinmetzen und Bildhauer anfangs der 1980er-Jahre fußt auf dieser Erkenntnis.
Es ist erfreulich, dass der Sinn der jeweiligen Entscheidungsträger für Kunst, Schönes und dauerhaft Bleibendes in unserem Tal mit den drei Marmorbrunnen von
Kortsch, Galsaun und Unser Frau in Schnals neue Kunstwerke im heimischen Naturstein entstehen ließ. Und für das internationale Renommee des weißen Goldes aus dem Bauch der Jennwand steht die Ausführung der neuen U-Bahn Station am Welthandelszentrum in New York in Laaser Marmor nach Plänen des spanisch-schweizerischen Starachitekten Santiago Calatrava als bedeutsamste neue Visitenkarte.
{jcomments on}