Oswald Toutsch - Wirt, Pionier und Urgestein von Tschierv

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Oswald Toutsch mit der Urkunde von der Stiftung „Kreatives Alter“ Oswald Toutsch mit der Urkunde von der Stiftung „Kreatives Alter“

Oswald Toutsch ist 93 Jahre alt und hat noch viel zu sagen. Vor Kurzem wurde er von der Stiftung Kreatives Alter für sein Werk „Tschierv – eine Dorf-Monografie“ ausgezeichnet. Es ist nicht sein erstes Buch. „Regordanzas – Cudesch 1“ (Erinnerungen – Buch 1) erschien bereits 2012 in romanischer Sprache.

von Annelise Albertin

Oswald und seine Frau Ida sind seit 55 Jahren verheiratet, haben vier erwachsene Kinder und zwei Enkelkinder. Jetzt haben sie Zeit, ihr schönes Daheim zu geniessen. Das war nicht immer so, denn als Wirtepaar auf der Ofenpasshöhe waren die Mussestunden gezählt. 28 Jahre haben sie dort auf 2149 M. ü. M. das Gasthaus Süsom Givè geführt.
1930 in Zernez geboren, musste Oswald schon sehr früh mit einem argen Verlust zurechtkommen. Sein Vater starb, als er nur zwei Jahre alt war. Fortan lebten er und sein zwei Jahre älterer Bruder Giachen alleine mit der Mutter, die hart für ihren Lebensunterhalt arbeiten musste. Trotz der damaligen Wirtschaftskrise baute der Grossvater von Oswald 1935 auf der Ofenpasshöhe eine Gaststätte, um der Tochter und den Enkeln eine Existenz zu sichern. In weiser Voraussicht, dass der Pendlerverkehr der Grenzgänger aus dem Südtirol und die Touristenströme über den Ofenpass zunehmen würden, befand er die Passhöhe als den richtigen Standort für ein Gasthaus. Im Herbst zogen dann Oswald und seine Mutter auf den Ofenpass. Sein Bruder ging bereits zur Schule und blieb in Zernez bei den Grosseltern. Oswald war nun auf sich alleine gestellt, die Mutter hatte viel zu tun und andere Kinder gab es nicht dort oben. „Aber ich hatte meinen Hund Milo. Er war mein Freund und Spielgefährte“, erinnert sich Oswald. Es war kein einfaches Leben und die Mutter musste rechnen, damit sie über die Runden kamen. Das grosse Geschäft mit den Touristen war damals noch nicht zu machen. Jedoch die Wegmacher kehrten gerne in der Gaststätte ein und auch Einheimische aus dem Val Müstair kamen an den Wochenenden ab und zu hinauf. Auch wenn der Betrieb nicht viel abwarf, waren sie zufrieden. Später, als Oswald zur Schule musste, wohnten er und sein Bruder bei der „nona“ in Zernez, verbrachten aber die Ferien immer auf dem Ofenpass. Das Unglück brach erneut über die Familie herein, als 1944 das Gasthaus abbrannte. Mitten im Geschehen des zweiten Weltkriegs musste es wieder aufgebaut werden.
„Es war eine gute Entscheidung, den Familienbetrieb weiterzuführen“, ist sich Oswald Toutsch auch heute noch sicher. 1967 heiratete er die junge Ida Giacomelli aus Lavin und 1968 zogen sie zusammen auf Süsom Givè und führten den Gastbetrieb weiter. Im Winter musste Ida das Gasthaus alleine führen, denn Oswald arbeitete als Saisonangestellter im Hotel Palace in St. Moritz. „Ich begann ganz unten als Laufbursche und arbeitete mich stufenweise hoch bis zum Oberkellner. Ich lernte den Umgang mit den noblen Gästen von der Pike auf, was mir in meinem Gasthaus sehr zugute kam.“ Im Sommer, wenn der Betrieb auf dem Ofenpass zunahm, arbeitete das Ehepaar gemeinsam auf Süsom Givè.
Oswald Toutsch gehört auch zu den Pionieren und Initianten des Skigebiets Minschuns am Ofenpass. Als im Winter 1976 das Skigebiet mit dem Bergrestaurant „Alp da Munt“, welches im Kuhstall untergebracht war, eröffnet wurde, übernahm Oswald dort das Zepter. Auch nach dem Bau des neuen Bergrestaurants fungierte er im Winter als Wirt auf Minschuns und im Sommer in seinem Gasthaus auf Süsom Givè und das 20 Jahre lang.
Das Potenzial des jungen Mannes wurde auch vom damaligen Gemeindepräsidenten erkannt. Obwohl auf der politischen Bühne ein Grünschnabel, wurde Oswald angefragt, als Gemeindepräsident zu kandidieren, was er nach Rücksprache mit seiner Ehefrau und trotz seines intensiven Arbeitsalltags auch tat. 1971 wurde er gewählt und blieb 20 Jahre lang im Amt. Er erinnert sich gerne an jene Zeiten. Nach den Versammlungen ging man ins Gasthaus, es wurde weiter diskutiert, politisiert und manchmal auch gestritten. Aber es war gut so. Man war eine Gemeinschaft. „Es ist schade, dass diese Gepflogenheiten heutzutage immer mehr verloren gehen. Jeder lebt viel mehr für sich und nicht mehr in der Gemeinschaft“, bedauert Oswald diese Entwicklung.
Heute führt einer seiner Söhne das Gasthaus Süsom Givè auf der Ofenpasshöhe. Oswald freut sich, dass der Betrieb in der Familie geblieben ist. Die Hände in den Schoss legen, will er aber auch mit 93 Jahren nicht. „Es sind wertvolle Erinnerungen“, sinniert er. „Geschichte, die nicht verloren gehen soll, und daher schreibe ich sie auf, für alle, die sich dafür heute und später interessieren.“

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