Dienstag, 20 Februar 2018 09:26

Nationalpark Stilfserjoch - Der neue Atlas der Brutvögel Südtirols 2010-2015 - Von Verlusten und Neuankömmlingen

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titelseiteWolfgang Platter am Tag der Hlg. Cyrill und Method (Schutzpatrone Europas), Aschermittwoch, 14. Februar 2018

Bei der diesjährigen Vollversammlung der Arbeitsgemeinschaft für Vogelkunde und Vogelschutz AVK wurde am 13. Jänner im Naturmuseum in Bozen der neue Atlas der Brutvögel Südtirols vorgestellt. Der Atlas enthält die Beobachtungen und Aufzeichnungen von 300 Experten und Hobby-Vogelkundlern aus dem Fünfjahreszeitraum 2010-2015 und ist ein gelungenes Beispiel für Feldforschung mit Bürgerbeteiligung („Citizen Science“).

Unter der Koordination und Redaktion von Dr. Leo Unterholzner aus Völlan ist ein wertvolles und aktualisiertes ornithologisches Inventar entstanden. Wertvoll besonders auch deshalb, weil der Vergleich mit dem ersten „Atlas der Vogelwelt Südtirols“ Aussagen über Artenverlust und -schwund, aber auch über Neuankömmlinge zulässt. Der 1. Vogelatlas, erschienen im Jahr 1996, hatte die Feldbeobachtungen aus den Jahren 1987-1991 veröffentlicht.
Die kurze Zusammenfassung der Erkenntnisse aus dem nunmehr zweiten Atlas 1997 lautet: In Südtirol gibt es derzeit 150 Brutvogelarten. Weltweit kennen wir derzeit 10.600 Vogelarten. Im Zeitraum der letzten 25 Jahre zwischen 1987 und 2010 sind in Südtirol 7 DSC 5677Brutvogelarten neu dazugekommen. 8 Arten sind dagegen aus unserem Land verschwunden. Gründe für den Artenverlust sind die Veränderungen der Lebensräume, Intensivierungen in den landwirtschaftlichen Kulturflächen, Monokulturen, Verbauung und das Fehlen von ausreichendem Nahrungsangebot. Leo Unterholzner hat ein einleuchtendes Bild für den Rückgang des Insekten-Nahrungsangebotes für Vögel gefunden: Erinnern Sie sich als Autofahrer noch, wie viele Insekten vor 25 Jahren noch an der Windschutzscheibe anhafteten? Und heute?

Der Artenverlust
Acht Vogelarten haben  in den letzten 25 Jahren Südtirol den Rücken gekehrt. Eine Art ist der Kiebitz (Vanellus vanellus), ein Vertreter der Watvögel. Vor 25 Jahren konnte ich ihn beispielsweise noch auf den Rahmmösern östlich der Eyrser Au auf der Rast im Frühjahrszug nach Norden beobachten. Seit Äcker und Mähwiesen zu Obstanlagen angepflanzt wurden, fehlt der Kiebitz auch in der Vinschgauer Talsohle.
Völlig aus Südtirol verschwunden ist auch das Rebhuhn (Perdix perdix), das zur Familie der Glattfußhühner gehört. Auch dem Rebhuhn fehlen in Südtirol heute geeignete Lebensräume wie Getreidefelder, Ruderalstreifen, Brachflächen und Feldraine mit Wildsamen.
Verschwunden ist auch der Wiesenpieper (Anthus pratensis) als Bodenbrüter im offenen Gelände. Durch die frühe Mahd und die häufigeren Futterschnitte schaffen es auch andere  Boden- und Wiesenbrüter wie Wachtel (Coturnix coturnix), Braunkehlchen (Saxicola rubetra) und Feldlerche (Alauda arvensis) nicht mehr, ihre Brut erfolgreich aufzuziehen, ehe der Mähbalken kommt.
Besonders intensiv bewirtschaftet sind die Talböden Südtirols, in tieferen Lagen als Obstbauflächen, in höher gelegenen Tälern als Futterwiesen. Wenn intensiv mit Pflanzenschutzmitteln behandelte Dichtpflanzungen von Kern- und Steinobst auch noch mit Hagelnetzen und Regenplanen eingehaust werden, ist der Rückgang von Vogelarten die Folge. Nur wenige Kulturfolger sind anpassungsfähig: Die drei Drosselarten Amsel (Turdus merula), Wacholderdrossel (Turdus pilaris) und Singdrossel (Turdus philomelos) machen heute anteilsmäßig 183B2 SW 2012298B1 SW 2012fast drei Viertel aller Vogelindividuen in den Talböden Südtirols aus.
In Südtirol ausgefallen ist weiters der Zistensänger (Cisticola juncidis) als Brüter im offenen Gelände mit hohen Gräsern oder auf Feldern in warmen Landstrichen. Auch die Bekassine (Gallinago gallinago) fehlt jetzt in Südtirol als Brutvogel in  Feuchtwiesen, Mooren und Sümpfen mit dichter niedriger Vegetation. Die Hohltaube (Columba oenas) und der Steinkauz (Athene noctua) fehlen als Brüter in Baumhöhlen.

429B2Heckenbrüter
In der intensivierten Landnutzung, die in den letzten Jahrzehnten auch immer stärker Heckensäume ausgehobelt hat, geht es auch den Heckenbrütern nicht mehr gut. Die Bestände von typischen Heckenbewohnern wie Neuntöter (Lanius collurio), Goldammer (Emberiza citrinella), Sperbergrasmücke (Sylvia nisoria) und Dorngrasmücke (Sylvia communis) sind stark eingebrochen. In den sich großflächig ausgebreiteten Monokulturen gibt es auch für diese Vogelarten nicht mehr ausreichend Nahrung, weil die Nahrungskette ausgedünnt ist.

Siedlungsbrüter
Eingebrochen sind auch die Bestände von Rauchschwalben (Hirundo rustica) und Mehlschwalben (Delichon urbica). Nach der Asfaltierung der allermeisten Wege fehlt es den Schwalben an geeignetem und haltbarem Nestbaumaterial aus Lehmpfützen. Wer hätte gedacht, dass auch die Spatzen-Arten (Passer spec.) rückläufig sind?

119B1Die einstigen Juwelen am Vinschgauer Sonnenberg
Der Steinrötel (Monticola saxatilis) und die Sperbergrasmücke (Sylvia nisoria) gehörten früher zu den ornithologischen Juwelen des Vinschgauer Sonnenberges. Beide sind mediterrane Vogelarten, die in der warmen Leitensteppe des Vinschgaus ihre Nordgrenze des Verbreitungsgebietes in den Alpen erreicht haben. Heute kommt der Steinrötel nur noch in einzelnen Exemplaren oberhalb der Waldgrenze in der Felsensteppe Vinschgaus vor. Sein Bestand hat sich so drastisch verringert, dass die Art heute vom Aussterben bedroht ist. Mögliche Ursachen sind die Bewaldung nach Aufforstung, die zunehmende Verbuschung der Hänge, das verringerte Nahrungsangebot infolge Abdrift von Pestiziden.

Sieben neue Brutvogelarten
Am Schluss die erfreuliche Meldung: Sieben neue Vogelarten brüten in Südtirol. Der Bartgeier (Gypaetus barbatus) ist nach dem erfolgreichen Wiederansiedlungsprojekt mit Zoovögeln, an dem sich auch der Nationalpark 598B4140B1Stilfserjoch beteiligt hat, nach über 100 Jahren Abwesenheit wieder als Brutvogel in die Vinschgauer Täler zurückgekehrt. Die Reiherente (Aythya fuligula) hat im Jahre 1991 das erste Mal am Haider See gebrütet. Seither brütet sie dort regelmäßig in wenigen Paaren. Der Graureiher (Ardea cinerea) war Anfang der 1990er-Jahre noch nicht Brutvogel in Südtirol. Seit 1998 wurden die ersten Bruten registriert. Inzwischen hat sich der Graureiher über ganz Südtirol  ausgebreitet. Von Süden eingewandert sind der Schwarzmilan (Milvus migrans) mit einem Brutnachweis aus den Auwaldgebieten des oberen Vinschgaues und der Schlangenadler (Circaetus gallicus). Neu hinzugekommen sind noch die Mittelmeermöwe (Larus michahellis) und der Fahlsegler (Apus pallidus).

 

INFO
Eine Digitalversion des Atlasses der Brutvögel Südtirols ist online verfügbar: www.vogelschutz-suedtirol.it
Die Papierversion der Publikation
ist bei Arge Vogelschutz
(vogelkunde.suedtirol@rolmail.it)
erhältlich.

 

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