Dienstag, 21 November 2017 09:26

Gipfelstürmer - Vergessene Pioniere von damals: lebt ihre Mystik weiter?

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s34 Einleitungvon Anna Alber

Eiskalte Luft strömt mit jedem Atemzug in die Lunge; sie ist sauber und frisch, wie nach einem morgendlichen Regenschauer, gepaart mit dem süßen Duft der Erdbeerblätter, den frischen Bergkräutern und dem herben Fichtenholz.

Ein Schritt wird gesetzt, dann der nächste; Gedanken ziehen wie wandernde Wolken vorbei und der Aufstieg gleicht einer Meditation. Schweiß tropft von der Stirn, das Herz klopft wild an die Brust. Ein innerer Freudentanz stellt sich ein, als das Gipfelkreuz erreicht ist und das atemberaubende Bergpanorama, im wärmenden Schein der Sonne, vor sich emporragt. Der Vinschgau, der sich an der Etsch entlang schlängelt, erscheint von hier oben ganz klein, in einer friedlichen Wonne.
Bereits vor hunderten von Jahren waren hier in den Bergen des Vinschgaus unsere Vorfahren unterwegs; größtenteils Bergführer von guter Statur, mit vom Wetter gegerbten Antlitz und grimmigem Blick. Wortkarg aber gutmütig sollen sie laut Erfahrungsberichten gewesen sein. Sind die vergilbten Schwarz-Weiß-Fotos, die noch von ihnen übrig geblieben sind, ihr einziges Erbe?

s34 alpinismusAlpinismus in den Kinderschuhen
Wir schreiben das Jahr 1804. Eigentlich ein Sensationsjahr: Josef Pichler, alias das „Psairer Josele“, bestieg erstmals im Auftrag von Erzherzog Johann den Ortler, den der Sage nach versteinerten Riesen. Doch misstrauisch, wie die Bevölkerung war, musste ein Beweis für dieses spektakuläre Ereignis her: das „Josele“ bestieg den Ortler vermutlich ausgehend von den „Heiligen Drei Brunnen“ in Trafoi ein weiteres Mal, und als Beweis zündete er am Gipfel mit einigen wenigen Holzscheiten ein Feuer. Als in den Tälern der Rauch vom „Riesen Ortler“ zu sehen war, war auch der letzte Ungläubige von dieser großartigen Leistung überzeugt. Es vergehen allerdings noch rund hundert Jahre, bis der Alpinismus und Bergtourismus in den verwinkelten Vinschger Tälern ankommt. Der Ortler war schon lange Zeit bestiegen, und auch die umliegenden Berge waren durch den Pionier Julius Payer ausgekundschaftet, doch in den späteren Tourismushochburgen Sulden und Trafoi tat sich in wirtschaftlicher Hinsicht bis 1900 wenig, schrieb die Schlanderser Publizistin Andrea Kuntner. Argwohn empfanden die Einwohner über die Fremden; Kletterer wurden für Spione gehalten.


Vom einfachen Bauern zum weltberühmten Bergführer
s34 einfach bauerMit der Vinschger Bahn, die ab 1906 durchs Tal tuckerte, erschloss sich neues wirtschaftliches Potential, das vor allem die Suldner und Trafoier zu nutzen wussten. Klientel aus aller Welt – von Frankreich über England bis hin zu Amerika und Japan – genoss die heimischen Berge, geführt von Suldner und Trafoier Bergführern wie Josef Kuntner, Friedrich Reinstadler und Johann Pinggera, um nur einige wenige zu nennen. Auch prominente Gäste der damaligen Zeit, beispielsweise König August von Sachsen, Premier Winston Churchill, Komponist Richard Strauß und der Meraner Kurarzt Dr. Franz Tappeiner verhalfen mit ihrer Abenteuerlust – in Gulden, später Kronen gerechnet – dem Tal zu prachtvollem Glanz: aus den ärmlichen „Sennhütten“ wurden heimelige Häuser; aus den kargen Böden der Landwirtschaft „sprossen“ noble Hotels und Gaststuben; und die Bergführer hatten genug Geld in der Tasche, um zuhause die „Mäuler zu stopfen“.


Alles andere als angenehm
s34 alles andereAuf den nostalgischen Schwarz-Weiß-Fotos der Bergsteiger von damals sind edle Herren zu sehen, mit filzigem Hut, gekleidet in den heimischen Loden, die aus der typischen Dreiviertel-Hose und der Joppenjacke bestanden. Manch einer besitzt sogar einen wärmenden Mantel oder eine Krawatte. Einige Bergsteiger haben das aufgewickelte Seil um den Hals geschlungen; die Schuhe sind einfache Lederschuhe, die mit Nägeln „rauer“ gemacht wurden. Die meisten halten die qualmende Pfeife paffend im Mund. Die ernste Miene fehlt in den vom Bart umrahmten Gesichtern nicht. Manch einer hält den Bergstock oder gar eine Art Beil als Vorläufer des Pickels in der Hand. Auch einfache Steigeisen sind um den Rucksack geschnallt. Von Goretex-Kleidung, Klettergurten oder warmen Thermostiefeln fehlt jede Spur; schwere Eishaken ersetzen den nützlichen Karabiner, das Seil sichert kaum vor Abstürze und die „Nagelschuhe“ sind extrem rutschig, vor allem auf Firn. Kurzum: „Der Bergsport von damals war so weit vom heutigen Alpinismus entfernt, wie das Hochrad von der Tour de France“, ein treffender Vergleich der 3-sat Reportage „Geschichte des Alpinismus“.

Frauen: Rolle des Mauerblümchens?
s34 frauenDie vergilbten Abbildungen der damaligen Zeit bergen auch ein Stück Alpingeschichte, welcher kaum Beachtung geschenkt wird: der Frauenalpingeschichte. Vereinzelt sind sie zwischen den zahlreichen Bergsteigern und Bergführern zu finden: mal präsentieren sie sich ungewöhnlich unscheinbar in Kleidung der Männer; mal kokett und selbstbewusst in Frauenkleidern. Sogar reine Frauenseilschaften gab es, die gänzlich ohne Männer auskamen. Ein ungewohntes Bild - Vera Bedin erklärt dies so: „Man sparte in der Vergangenheit etwas mit den Erwähnungen. Vielleicht hätte Frau auch mehr prahlen müssen.“
Auch in den heutigen Zeiten ist Bergsteigen keine reine Männersache: auch die Damen begeben sich in schwindelerregende Höhen und leisten schier unmögliche Aufstiege. Doch wie hat sich der Alpinismus von damals verändert?


„Der Berg ruft“
s34 berg ruft... die Massen folgen. Bergheroen, die in archaische und unbekannte Welten eintauchen, bleiben nunmehr eine romantische Vorstellung als die Wirklichkeit. Ein Berg, der noch unbestiegen ist, ist natürlicherweise auch geheimnisvoller.
Der Alpinismus hat sich längst zum Massentourismus entwickelt, ganz im Rahmen des momentanen Gesundheits- und Fitnesstrends. „Das Bergsteigen wird mehr und mehr zum Sport, und dieser braucht den Vergleich, Zahlen. Ich nenne den heutigen Alpinismus Zahlen- oder Pistenalpinismus“, beschreibt der weltberühmte Südtiroler Bergsteiger Reinhold Messner diese Entwicklung.
Traditionelles Bergsteigen ist laut Messner: aus der Welt aussteigen, die sich der Mensch aus Sicherheitsgründen erbaut hat, sich auf Unbekanntes einstellen, Lösungen für Schwierigkeiten finden und nicht „auf präparierten Pisten“ mittels Sauerstoffflaschen und Fixseilen den Berg besteigen. Gipfel kann man sich mittlerweile (fast) erkaufen: die Konzession für den Gipfelanstieg und -abstieg des Mount Everest beläuft sich auf rund 8.000 Euro, noch ohne die Kosten für Ausrüstung, Verpflegung, Sherpas und Bergführer zu rechnen. Herr Messner wurde bereits vor 20 Jahren in der Fersehsendung „Verstehen Sie Spaß“ in die Irre geführt: ein Kiosk mit aktuellen Zeitungen, Souvenirs und ähnlichem wurde unter dem Gipfel „angeflogen“. Wie lange wird es noch dauern, bis dies kein Spaß mehr ist, sondern die Wirklichkeit? Unentdeckt, dass das Bergerlebnis vor allem kostenlos „unbezahlbar“ ist: „Erklimme die Berge und spüre die Energie. Der Frieden in der Natur wird in dich fließen wie der Sonnenschein, der die Bäume nährt. Der Wind wird dich erfrischen, der Sturm dich mit Kraft erfüllen und alle deine Sorgen werden abfallen von dir, wie Herbstblätter.“ (John Muir, Universalgelehrter, 1838 – 1914)

Literatur:
„Die Bergführer von Sulden und Trafoi“ von
Andrea Kuntner und andere.
„Bergeerleben“ Magazin des AVS Ausgabe 05/2016.
Interview über Reinhold Messner „Jeder ist erst mal als Egoist unterwegs“ von Wolfgang Büscher, veröffentlicht am 14.07.2015.

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