Der Vater ihrer Kinder hat sich aus dem Staub gemacht und zahlt keine Unterhaltskosten. Sie ist kränklich, kann keiner Arbeit nachgehen und kommt mit dem Geld der Sozialhilfe kaum über die Runden. Die Sozialdienste haben der jungen Mutter den Weg zur Tafel geebnet. Sie holt sich nun wöchentlich Lebensmittel, die für sie vorbereitet worden sind. Auch ein alleinstehender Mann Mitte fünfzig holt sich regelmäßig sein Paket bei der Tafel. Er ist Alkohol-krank, hat seine Arbeit verloren, eine Scheidung hinter sich und kommt kaum noch über die Runden. Ein Vater muss seine vierköpfige Familie mit dem niedrigen Lohn seiner befristeten Projektarbeit durchbringen. Das Geld reicht hinten und vorne nicht, und auch er ist dankbar für Lebensmittel.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Tafeln im Tal arbeiten eng mit den Sozialdiensten, der Vinzenzgemeinschaft und der Caritas zusammen. Diese Einrichtungen wissen von der Bedürftigkeit aus vielen Begegnungen mit Hilfesuchenden. Immer wieder werden auch Menschen eingeladen zu kommen, die von aufmerksamen Bürgerinnen und Bürgern gemeldet werden. Das Ganze läuft vertraulich, anonym und unbürokratisch ab. Wer an welchem Tage sein Lebensmittel-Paket holen darf, wird von den Mitarbeiter-Teams der Tafeln geregelt. Die Berechtigten müssen sich telefonisch anmelden und erhalten einen Termin.
Ein Drittel der rund 380 Nutznießer der Tafeln in Schlanders, Prad und Naturns sind Einheimische. Vielen fällt es schwer, empfangen zu müssen. Die Scham, Bittsteller zu sein, lässt sich in den Ortschaften, wo jeder jeden kennt, nicht so einfach wegschieben. Die Dunkelziffer jener Einheimischer, die ihre schwierige Lage für sich behalten, die nirgendwo nach Hilfe suchen, könnte deshalb um einiges höher sein. Leichter tun sich die Menschen mit Migrationshintergrund, die relativ anonym und ohne gesellschaftliche Bindungen im Tal leben. Gründe für Notsituationen dieser Familien sind vor allem Kinderreichtum, prekäre Arbeitsverhältnisse mit Niedriglöhnen, hohe Lebenshaltungskosten zum Beispiel Mieten. Flüchtlinge werden derzeit noch keine von den Tafeln versorgt.
Die erste Tafel im Vinschgau öffnete im September 2012 in Schlanders, angeregt und geleitet von einem Team um Monika Wielander Habicher. „Viele Menschen haben den Kühlschrank leer. Es wird so viel weggeschmissen und es kann nicht sein, dass wir das nicht regeln“. Das waren Wielanders Beweggründe, um aktiv zu werden. Sie gründete die Einrichtung „Tafel“ als Onlus-Organisation (ehrenamtliche Vereinigung ohne Gewinnabsichten). Der Einblick in die Arbeit der Vinzenzgemeinschaft, in dem sich ihr Mann Herbert Habicher engagiert, hat ihr viele versteckte Notsituationen im Tale bewusst gemacht. Es gibt Menschen, die sich das Essen kaum leisten können. Dem gegenüber stehen die großen Lebensmittelmengen in der westlichen Welt, die im Müll landen - auch hier im Vinschgau. Für die Idee fanden sich schnell Verbündete, in den Reihen der Gemeindeverwaltung, der Sozialdienste, der Vinzenzgemeinschaft, der Caritas. Nachdem ein geeignetes Lokal in Schlanders gefunden war, begann eine Sensibilisierungskampagne und das Sammeln von Lebensmitteln. Aufgeschlossen zeigten sich Inhaber von Lebensmittelgeschäften, Bäckereien, Obstgenossenschaften, Bauern und auch Privatpersonen. Gleichzeitig wurde der Kontakt zum „Banco Alimentare“ in Trient geknüpft. Dabei handelt es sich um die Dachorganisation für die Tafeln in der Region Trentino Südtirol. Banco Alimentare sammelt überschüssige Lebensmittel von Großproduzenten, wie zum Beispiel von Milchhöfen, Getränkeherstellern, Getreidemühlen - auch aus Südtirol- und verteilt die Produkte einmal im Monat an die Tafeln in der Region. Der Großteil der im Tal verteilten Lebensmittel (rund 80 Prozent) werden jedoch regelmäßig vor Ort im Vinschgau gespendet. Laut italienischem Gesetz durfen die Lebensmittel das Verfallsdatum nicht überschritten haben.
„Vor dem Start der Tafel in Schlanders haben wir uns schon gefragt, ob die Menschen überhaupt kommen und unser Angebot annehmen werden?“, erinnert sich Wielander. „Es kamen mehr Menschen als wir erwartet haben, aus allen Orten des Tales von Naturns bis Mals. Das Ganze entwickelte sich wie ein Schneeballsystem.“ Viele Menschen sprachen von Schwierigkeiten, das Fahrtgeld aufzubringen. Daraufhin begann die Suche nach Verbündeten in Unter- und Obervinschgau.
Mit Edith Larcher Noggler aus Naturns und Marlies Gaiser aus Prad fanden sich zwei Frauen, die sich bereit erklärten, zusammen mit Helferinnen und Helfern in ihren Orten Tafeln aufzubauen. Sie organisierten diese nach dem Vorbild der Schlanderser Tafel. Im November 2013 öffnete die Tafel in Naturns und im Jänner die Tafel in Prad. Diese versteht sich als Tafel für den Raum Obervinschgau. Die Organisatoren der Tafeln arbeiten seither eng zusammen. „Der Einsatz steht und fällt mit den Freiwilligen, die dahinterstehen, und der Einsatz ist sehr groß“, betont Wielander. Die Bezirksgemeinschaft Vinschgau erklärte sich bereit, den monatlichen Transport der Lebensmittel vom Banco Alimentare in Trient zu den Tafeln im Vinschgau zu organisieren. Die Einzelhändler vor Ort, die Bauern und Obstgenossenschaften sorgen meist selbst für die Anlieferung. Die Bereitschaft zu Lebensmittelspenden steigt.
Die Lebensmittelhersteller und Einzelhändler erhalten für ihre kurz vor dem Verfall ausgemusterten Waren, die sie mit Lieferschein an Banco Alimentare oder direkt an die Tafeln vor Ort abgeben, die Mehrwertsteuer zurück. Und sie gewinnen an Ansehen. Denn die Zusammenarbeit mit den Tafeln kommt bei der Bevölkerung gut an. Da und dort stellen Einzelhändler Kartone bereit, die Kundinnen und Kunden für die Tafeln füllen können. Im Dekanat Mals sammeln beispielsweise die Menschen in den Pfarreien abwechslungsweise Lebensmittel. Erfreulich ist, dass sich mittlerweile auch die österreichische Lebensmittelkette M-Preis zur Zusammenarbeit mit den Tafeln im Vinschgau bereit erklärt hat. Man sei derzeit dabei, die gesetzlichen Hürden zu überwinden, die es zwischen Österreich und Italien rund um das Verfalls- und Mindesthaltbarkeitsdatum gibt. „Ein entsprechendes Verfahren ist am Laufen, eine Genehmigung für die Weitergabe bestimmter Produkte sollte bis Jahresende da sein“, so lautet die Mitteilung aus der M-Preis Zentrale.
Die Aufgabe der Tafel-Mitarbeiter ist es, die Lebensmittel unter Berücksichtigung des Verfallsdatums zu sortieren und gerecht zu verteilen. Die Tafeln können keine Vollversorgung bieten. Sie können nur das verteilen, was jeweils zur Verfügung steht. Kleinere und größere Sorgen treten immer wieder auf. Und man ist bemüht, nach individuellen Lösungen zu suchen. Oft können spezielle Wünsche nicht berücksichtigt werden. Produkte mit langer Haltbarkeit wie Öl, Dosenfisch, Maismehl, Kaffee stehen selten zur Verfügung. Diese werden gelegentlich angekauft, wenn Geldspenden zur Verfügung stehen. Dasselbe gilt für Hygieneartikel. Eine Herausforderung ist oft die Verteilung von schnell verderblichen Waren, wie Gemüse und Obst. Doch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiten bemühen sich um eine schnelle Abwicklung, damit nichts verdirbt.
Tafel Naturns
Trägerverein: Hop for a better world
Geöffnet: Dienstag und Freitag
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: 15
Lebensmittel gehen derzeit an 100 Personen in Naturns und Umgebung
Telefon: 335 5258757
Tafel Schlanders
Trägerverein. Vinzenzgemeinschaft
Geöffnet: Montag, Mittwoch, Freitag
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: 12
Lebensmittel gehen derzeit an 170 Personen im Sozialsprengel Mittelvinschgau
Telefon: 345 9239399 (11.00-12.00 Uhr)
Tafel Prad
Trägerverein: Pfarr-Caritas
Geöffnet: Dienstag und Freitag
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: 25
Lebensmittel gehen derzeit an 110 Personen im Sozialsprengel Obervinschgau
Telefon: 329 8164058 (9.30-11.00 Uhr)
Unterstützer der Tafeln in Schlanders, Prad und Naturns:
Kaufhaus Pinggera – Prad, Metzgerei Gruber – Prad, Bäckerei Gander-Prad, Bäckerei Schuster – Laatsch, Despar Naturns, Schrot und Korn – Mölten, Mein Beck – Nals, Obstgenossenschaft Texel - Naturns, Eurospar - Schlanders, Bäckerei Preis-Kastelbell/Schlanders, Despar Rungg - Prad und Schlanders, Kaufhaus Gritsch - Naturns, Obstgenossenschaft GEOS – Schlanders, Direktvermarkter Luggin – Laas, Biohof Moleshof - Prad, ALPE- Vinschgau. Dazu kommen viele Vinschger Obst- und Gemüsebauern und Privatpersonen.
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