Montag, 05 Oktober 2015 15:38

Nationalpark Stilfserjoch - Wiederansiedlung von Steinwild Tourismusmagnet, Nahrungskonkurrent, Jagdtrophäe?

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262B3Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Franziskus von Assisi, 4. Oktober 2015

Der majestätische Steinbock ist ein Symbol für ein Alpentier. In Graubünden hat er es zum Wappentier im Kantonswappen gebracht. Das Steinwild gehört zum historischen Inventar der Alpenfauna. Schon die Ureinwohner in unseren Bergtälern haben vor 30.000 Jahren den Steinbock in der Höhle Chauvet in Südfrankreich auf den Felsen gemalt. Dies ist nur eine von bisher über 300 entdeckten prähistorischen Darstellungen des Steinwildes.


Durch menschliche Bejagung war der Alpen-Steinbock bis auf weniger als 100 Exemplare geschrumpft.  Nur diese kleine Restpopulation war anfangs des 20. Jahrhunderts  in den Jagdgebieten der italienischen Savoyer-Könige in Piemont und in Aosta erhalten geblieben. Auf Anfrage der Schweizer Nachbarn hat der König keine Tiere verkauft. Die Schweizer haben daraufhin einige Tiere ungesetzlich aus den königlichen Jagdreservaten entwendet, um ab 1906 in zwei zoologischen Gärten der Schweiz die Nachzucht zu betreiben. Ab 1911 sind dann die ersten Freilassungen von im Zoo geborenen Jungtieren am Piz Albris bei Pontresina und St. Moritz erfolgt. Ausgehend von dieser Gründerkolonie sind weitere Täler der Zentralalpen wieder mit Steinwild besiedelt worden. Die genetische Vielfalt blieb dabei aber schmal, weil alle Kolonien auf die Piz Albris-Kolonie zurückgingen. Ein schmaler genetischer Flaschenhals erhöht das Auftreten von Inzucht und die Krankheitsanfälligkeit der Tiere.

289B3Bestandeszahlen
Heute gibt es im gesamten Alpenbogen ca.  47.000 Stück Steinwild, davon in Italien 16.000  und davon wieder 1.200 im Nationalpark Stilfserjoch. In Südtirol gibt es außerhalb des Nationalparkgebietes in den Ötztaler Alpen an der Nordseite des Vinschgaues, in der Sevenna-Gruppe und in den Stubaier Alpen um den Brennerpass nochmals ca. 1.100 Individuen.

Fragmentiertes Vorkommen
Das Vorkommen des Steinwildes bleibt fragmentiert und seine Ausbreitungstendenz ist im Vergleich z.B. zum Rotwild stark verlangsamt. Nicht alle potentiell Steinwild tauglichen Lebensräume sind im Nationalpark Stilfserjoch derzeit besiedelt. Der übergroße Teil des Steinwildes im Nationalpark lebt heute in den lombardischen Tälern west- und südseits des Stilfserjoches. Im trentiner Anteil des Nationalparks gibt es eine kleine Kolonie im Talschluss des Pejotales zu Füßen des Monte Vioz. Im Südtiroler Parkanteil lebt seit Jahren eine Kolonie in Hinterulten, welche derzeit auf ca. 30 Tiere geschätzt wird. Einzelne Exemplare dieses Ultner Steinwildes wechseln letzthin ab und an in das hintere Martelltal herüber.

Steinwild als Touristenattraktion?
Das Steinwild-Observatorium des Nationalparks Hohe Tauern, als Holz-Glas-Turm der hexagonalen Säulenform eines 271B4Bergkristalls nachgebildet, welches sich auf der Franz-Josefs-Höhe an der Großglockner-Hochalpenstraße oberhalb von Heiligenblut in Kärnten befindet, besuchen jährlich 55.000-65.000 Menschen. Auch Vinschgauer Touristiker  wünschen sich für den Südtiroler Anteil des Nationalparks das Steinwild als Beobachtungsobjekt. Die Wildziegen-Art mit den imposanten Hörnern der Böcke hat eine relativ geringe Fluchtdistanz und ist daher bei etwas Glück auch der Nähe zu beobachten. Die behebigen Böcke sind dabei weniger scheu als die misstrauischen Geißen, welche sich zum Schutz ihrer Kitze bei Störung oder Bedrohung schneller in die Felsen zurückziehen. Dort sind sie als perfekte Kletterer jedem Fraßfeind überlegen. Auf dem verschneitem Untergrund der alpinen Rasen und Geröllhalden sind hingegen die Gämsen dem Steinwild überlegen. Dies liegt im anatomischen Aufbau und in der Anpassung der Läufe und Hufe der beiden Huftierarten an den jeweiligen Lebensraum.

Wiedereinsetzung
Wegen der im Vergleich etwa zum Rotwild stark verlangsamten Ausbreitungstendenz des Steinwildes ist es von der Biologie und Lebensweise her betrachtet, nicht sinnvoll, zur Neugründung von Kolonien einzelne Exemplare von Steinwild irgendwo verinselt zu entlassen. Die Erfahrung der Wildbiologen lehrt, dass es hingegen angezeigt ist, kleine bestehende Kolonien an ihren Außenrändern durch andernorts gefangene Tiere aufzustocken. Bei solchem Vorgehen kann die Vitalität der Kleinpopulation steigen und deren genetische Variabilität erhöht werden.

Außer Touristenmagnet auch Nahrungskonkurrent?
Zur Wiederansiedlung derzeit  in einem Gebiet ausgestorbener, aber vormals in diesem Gebiet präsenter und heimischer Wildtierarten gibt es heute auch Ängste, manchmal vorgefasste Meinungen aus fehlender oder unsachlicher Information, aber auch Skepsis. Dies lehrt das Wiederansiedlungsprojekt des Braunbären im Trentino. Der Allesfresser Braunbär ist dabei sicher nicht mit dem Pflanzenfresser Steinwild zu vergleichen. Trotzdem müssen die Skepsis und die Bedenken ernst genommen werden.
289B2Während Touristiker, Touristen, Naturschützer, Jäger und andere Zielgruppen die Wiederansiedlung des Steinwildes begrüßen, sind manche viehhaltende Bauern, welche ihre Nutztiere im Sommer auf den Almen sömmern, auch skeptisch: In ihrer Argumentation könnte das Steinwild auch zum Nahrungskonkurrenten für die Weidetiere werden. Laut italienischem Staatsgesetz gehört das Steinwild zu den nicht jagdbaren Tierarten. Landnutzer äußern daher auch Bedenken, dass eine Regulierung des Bestandes  bei Anwachsen des Steinwildes auf große Dichten rechtlich nicht zulässig würde.
Arten- und Lebensraumschutz in Schutzgebieten ist meines Erachtens mittel- und langfristig nur von Erfolg gekrönt und mit Akzeptanz begleitet, wenn der Schutz  von den verschiedenen Interessensgruppen auch mitgetragen wird. Dieser Überzeugungsprozess muss die Naturschutzorganisationen ebenso einschließen, wie die Wohnbevölkerung,  die Landnutzer und die Vertreter weiterer Interessengruppen. Dabei müssen z.B. die Bedürfnisse der Almbewirtschafter vernunftbetont und mit Augenmaß einbezogen werden. Dieser Ansatz beinhaltet auch den Respekt der Naturschützer vor dem Privateigentum und dem Gemeinschaftsbesitz. Vor diesem Hintergrund ist nach meinem Dafürhalten auch die Wiederansiedlung des Steinwildes im Südtiroler Anteil des Nationalparks Stilfserjoch zu handhaben. Dann vielleicht gelingt ein tragfähiger Kompromiss zwischen Schützern der Tiere und Nutzern des Bodens. Und der Steinbock könnte mehrere seiner Vorzüge anbieten: Ein Element der Biodiversität, ein stolzes, rückkehrendes  Alpentier, ein Tourismusmagnet, ein Beobachtungsmoment mit Freudengefühlen, ein Indikator für Lebensraumqualität und ein friedlicher Kommensale mit den Haustieren zu sein.

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