Dienstag, 17 Mai 2011 00:00

Wohnanschauung: Arte povera

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Zu Gast bei Günther Pitscheider in Stilfs

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So bescheiden der Titel auch klingen mag, so maßgebend ist er für die Denkart des Wahlstilfsers Günther Pitscheider. Sein Eigenheim, ein faszinierender Schmelztiegel der Weltoffenheit, Schlichtheit und Natürlichkeit, vereint in demütiger Hochachtung; immer jedoch dem Zwecke dienend und stets auch dem kontinuierlichen Wandel - der dem Lauf der Zeit obliegt - unterworfen.
Zur Eingangstür gelangt man über eine imposante rechteckige Steinplatte – ein stummer steinerner Mahner, um bewusst respektvoll ins Haus einzutreten. Eine eigentümliche Asymmetrie - zwingend diktiert von Mutter Natur selbst – durchdringt dieses Haus am Felsen in all seinen Poren, prägt charmant seinen gradlinigen Charakter und erfüllt den Raum nichtsdestotrotz stimmig mit einer ungeahnten Leichtigkeit. Ruhe, Licht, Einfachheit sind in den wenigen aber großen lichtgeschwängerten Räumen vorherrschendes Element und entsprechen Pitscheiders Vorstellung der Arte povera. Die Raumeinheiten wirken harmonisch, obgleich sie ganz anders als vom Architekten vorgesehen verwirklicht wurden. Ermöglicht wurde dies allein durch Fingerfertigkeit dorfansässiger Handwerker, welche wissend um die felsige Beschaffenheit des Untergrundes, die gemütliche Atmosphäre erst so ermöglicht haben. Dabei galt es so einfach und mit so wenigen Giftstoffen als möglich zu bauen.
Einst gedacht als Refugium vor dem allzu schnelllebigen, hektischen Stadtleben hat Günther Pitscheider aber mittlerweile Wurzeln geschlagen und läuft Gefahr „anzuwachsen“. Trotzdem will er ein offenes Haus, welches zugleich Rückzugsort als auch Platz der Begegnung sein soll. Der Vollblutmusiker spielt Jazz und zeitgenössische Musik. „Selbst komponiert, nur keine Reproduktionen“, die mag er nämlich nicht. Einzigartig eigen wie er auch seine Wohnung! Vielleicht weil Musik den Ton angibt und jeder Raum zusammenklingend seine eigene Melodie spielt. Viele renommierte Künstler waren bereits Gast in diesen Räumlichkeiten und sind in dem versonnenen Stilfser Altdorf zur Ruhe gekommen.
Die Küche, ein großer offener Raum mit schwarzem Schieferboden, bezeichnet der passionierte Koch Pitscheider als seine Werkstatt, wo sowohl gekocht als auch kommuniziert wird, welche aber gleichwohl ihre Zweckmäßigkeit - pflegeleicht und funktionell - erfüllt:  mit dem Herd in der Mitte lässt sich´s gut kochen und auf Blickkontakt Gespräche führen. Es war eben nicht das Bestreben des Bauherrn einzelne Wohnelemente stilgerecht hervorzuheben, sondern die Zweckgebundenheit des Raumes an sich, welche mit faszinierender Ambivalenz der Dinge beruhigende Gelassenheit ausstrahlt. Das Haus, dereinst auf steinigem Fels gebaut, durfte sich sein Wesen bewahren.
Die Felswand, an die sich das Haus anschmiegt, dominiert durch seine stil- und respektvolle Einbindung alle Innenmauern zum Hang hin: bewusst naturbelassene Windungen, teils schräges Mauerwerk und Missachtung althergebrachter Klischees entführen Hausherr und Besucher in die großartige Harmonie des Seins.
Im Wohnzimmer im 2. Stock thront im Kreise unzähliger Bücher majestätisch der Kontrabass, imposant in Szene gesetzt durch das atemberaubende Bergpanorama im Hintergrund. Sperrig klingend, so der Besitzer, und trotzdem weiche Nuancen versprechend. Passend zur allgegenwärtigen Ambivalenz der Wohnung selbst, in welcher sich mannigfaltige Weltanschauungen wiederfinden.

Renate Eberhöfer

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