Besucher der Ausstellung durchwandern die auf mehrere Stockwerke verteilten großen Säle der Burg, überrascht und fragend. Manchem konservativen Kunstfreund drängt sich wieder einmal die Frage auf, was das alles soll? Einige bekommen sogar Kopfweh, besonders Frauen, weil sie diese Zerstückelung nicht schätzen, vielleicht auch nicht ertragen. Zu rational, einseitig verstandesbetont?
Der einst in katholischen Kirchen überall gegenwärtige Beichtstuhl ist heute nur mehr wenigen vertraut, ist aber in aller Erinnerung. Der Beichtende spricht auf Kopfhöhe durch ein Gitter zum Beichtvater, bekennt dabei die Sünden, bekommt Rat und Trost vom Gegenüber, also von einem im Dunkel des Beichtstuhls verschwindenden Männerkopf.
So ein Beichtgitter habe ich vor Jahren in einer Kirche im Münstertal entdeckt und fotografiert, weil das Bild der rautenförmigen Öffnungen im dünnen Holzbrett als Kunstwerk gelten kann. Eine handwerkliche Geduldsarbeit zur Konzentration des Gewissens. Schauen durch ein Holzbrett, durch geschnitzte Öffnungen in eine andere Welt. Durch die Gitterstruktur betrachtet, scheint sich die Welt von beiden Seiten aus gesehen in Schwarzweiß aufzulösen, vielleicht in rautenförmigen Elementen … bis die Esther kommt und alles wieder in Ordnung bringt.
Ob die Künstlerin mein Beichtgitter kennt? In ihrer am Ausgang des Münstertales gelegenen Heimat, in Laatsch, Gemeinde Mals, gibt es eine große Beichtkultur, überwacht und veredelt durch die Mönche des Klosters Marienberg. „Veredelt“, weil mit der Beichte zugegeben viel Unfug getrieben wurde, aber vielen Menschen hat sie geholfen und tut es immer noch.
Jetzt aber beichte ich bei der Esther, vor ihrer Gitterwelt. Als Sünde nenne ich die Verwirrung, die durch ihre Kunst in mir entsteht. Wo bleibt die Farbe? Ich begegne in einer Beschreibung einen Hinweis auf das „gestische Moment“ in ihrer Kunst; darunter versteht man die freie malerische Entfaltung. Und dann weiter: „In der Knitterung und Faltung der Installationen kommt doch ein gestisches Moment hinein.“ Liebe Esther, ich kenne mich schon lange nicht mehr aus - habe mich wahrscheinlich noch nie ausgekannt! Ich flüchte zu Dir, zumal ich durch einen weiteren Begriff bei der Analyse Deines Werkes verunsichert wurde, und zwar von der „Gerechtigkeit der Form“. Eines ist sicher, der verwirrte Kunstfreund muss gründlich aufräumen, alles zusammenkratzen, was er an Aufnahmefähigkeit zur Verfügung hat. Einige Begriffe sind so kompliziert, wie es einstmals die Sünden-logik des Beichtens war. Ich helfe mir dabei durch Begriffe aus der Philosophie, so etwa durch den Titel von Schopenhauers Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“. Dieser pessimistische Mensch, also der Arthur Schopenhauer, sieht nur triebhaften Willen und trügerische Scheinwelt. Auch er entwirft einen Raster, durch den er die Welt sieht, wie durch ein Beichtgitter.
„Raster sind existenziell mit dem Menschen verbunden“, kann man über Dich lesen. Liebe Esther, die Begegnung mit Deinem Werk ist sehr verwirrend, aber auch klärend, ist also eine reinigende Beichte.
Hans Wielander