Geschichten, sagt Maximilian Rainer, beginnen irgendwann und können nicht vergessen werden. Der Generaldirektor der SEL AG weiß, wovon er spricht. Denn Geschichten werden vor allem dann nicht vergessen, wenn sie ein Märchen sind. Dass die Schlanderser Fraktionen Kortsch, Göflan und Vetzan ans Fernheizwerk Schlanders angeschlossen werden, ist so ein Märchen.
Denn am 5. Mai wird der Gemeinderat die Entscheidung treffen, die drei Schlanderser Fraktionen nicht mit Fernwärme zu versorgen. Die Vorarbeit dazu hat Bürgermeister Dieter Pinggera bereits geleistet. Bürgerversammlungen in allen drei Fraktionen haben in den vergangenen Tagen die Stunde der Wahrheit schlagen lassen. Mit dabei: der SEL-Generaldirektor und eine Reihe von Technikern. Dem großen Publikum hat man eine große Mannschaft am Podium entgegengestellt.
Es ist Rainer, der die Abende moderiert, der Schützenhilfe gibt, wenn der Bürgermeister in die Bredouille kommt. Im Chor - gebetsmühlenartig - wiederholen beide eines: „Wir wollen offen mit euch sein, ehrlich und transparent.“ Zumindest dem Bürgermeister glaubt man das. Doch die Leute in den Fraktionen sind erzürnt. „Das Fernheizwerk ist auch mit Steuergeldern von uns Fraktionen gebaut worden“, sagt einer in Göflan. Eine andere Stimme: „Wärme als Dienstleistung muss allen Bürgern der Gemeinde Schlanders zugänglich sein und nicht nur einem Teil davon.“ In Kortsch ist vor allem der jahrelange Ausschluss von Förderungen für regenerative Energiequellen wie Solaranlagen angekreidet worden. „Das Mindeste, was ihr jetzt tun könnt, ist schnell die Zonierung zu ändern.“ Andere Wortmeldungen gingen in diese Richtung: „Ich bin gegen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, die hier mit einem Ausschluss der Fraktionen gemacht wird.“ „Wir kommen uns verarscht vor, wieso hat sich die alte Gemeindeverwaltung nie die Rechnung gemacht.“ Oder: „Wäre weniger für das Gebäude ausgegeben worden, hätte man jetzt noch Geld für den Anschluss der Fraktionen.“ Pinggera hat mit starkem Gegenwind gerechnet. Während die Aufstände bei den Bürgerversammlungen in Kortsch und Göflan im Rahmen bleiben, ist’s in Vetzan am kritischsten für Bürgermeister und SEL-Direktor. Pinggera verweist auf die alte Gemeindeverwaltung, die für den Schlamassel verantwortlich ist, Rainer überrollt die Anwesenden mit Zahlen, Daten und Fakten. Mit Businessplan (bis 2020, also auf neun Jahre ausgerichtet), Cash flow und negativen Betriebsergebnissen. Ein riesiger Schuldenberg, der auf die Gemeinde zukommen würde und mangelnde Abnahmedichte sind die Gründe, die aus einem monströsen Zahlenwerk herausgelesen werden. Ein Beispiel: Die erforderliche Wärmedichte von Fernheizwerknetzen sollte über einem Wert von 1.000 liegen, das sind 1.000 Kilowattstunden pro Jahr und Trassenmeter. In Schlanders liegt der Wert derzeit bei 1.100 kWh/a/m. In Kortsch würde er bei 420, in Göflan bei 377 und in Vetzan bei 597 liegen - angenommen 85 Prozent der Haushalte schließen ans Fernheizwerk an.
Das Zahlenwerk hat die SEL AG in den vergangenen Monaten ausgearbeitet, hat sich sozusagen selbst die Rechnung gemacht. Vor drei Wochen hat Pinggera diese dann vom Generaldirektor der SEL AG serviert bekommen. Samt Marschrichtung. Fünf Varianten - wie die Fraktionen angeschlossen werden könnten - hat Rainer von seinen Technikern ausarbeiten lassen. Auf zwei ist man bei den Bürgerversammlungen näher eingegangen. Vordergründig zumindest. Denn im Grunde sind alle fünf Feigenblatt-Varianten. Keine kommt wirklich in Frage. Denn keine ist – um es mit Rainers Lieblingswort auszudrücken – effektiv. 15 Millionen Euro würden über den Daumen gepeilt allein die Investitionen in allen drei Fraktionen kosten. Rund 35 Prozent Energie, umgerechnet 3.400 Megawattstunden würden pro Jahr im Netz verloren gehen, das ist die Hälfte jener Energie, die das E-Werk Schlanders im Jahr produziert.
Fazit: Ein Anschluss der drei Schlanderser Fraktionen ist „schier unmöglich“. Weder Technologie, noch Wirtschaftlichkeit lassen dies zu. Denn das Ganze, sagt Rainer, soll eine Erfolgsgeschichte bleiben.
Eine Erfolgsgeschichte, bei der die SEL AG zu 49 Prozent mitschreibt. Knapp 32 Millionen Euro sind bis Ende März 2011 ins Fernheizwerk investiert worden. 92 Prozent Anschlussgrad weist das Fernheizwerk Schlanders auf. 81,48 Euro (ohne MwSt.) pro Megawattstunde zahlen die Kunden, wenn die staatliche Förderung abgezogen ist. Zum Vergleich: Die Suldner zahlen 115,5 Euro pro Megawattstunde, die Laaser 110 Euro, die Schludernser 102 Euro. Schlanders war auch unter den billigsten Fernheizwerken bei den Anschlussgebühren: 1.000 Euro haben jene gezahlt, die einen sogenannten Vorvertrag abgeschlossen haben.
Der Vorvertrag ist nun das einzige, das den Kortschern, Göflanern und Vetzanern vom politischen Versprechen, die drei Fraktionen an das Fernwärmenetz anzuschließen, übrig bleibt. Ein Vorvertrag, der juridisch nicht das Papier Wert ist, auf dem er steht. „A Mordsding“ sei das Fernheizwerk hat der ehemalige Bürgermeister Johann Wallnöfer 2006 zum „Vinschgerwind“ gesagt. Aus dem Mordsding ist nun – fünf Jahre später – „a Mords Casino“ geworden. (ap)