Dienstag, 22 Oktober 2013 00:00

Ignoranz und Wankelmut in der Raumplanung?

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BarboliniIn dem schick renovierten ehemaligen Postgebäude direkt am Bahnhof bin ich zu einem Gespräch mit dem stellvertretenden Direktor für Ortsplanung Süd-West im Raum Vinschgau, Barbolini Norbert, geladen. Mich interessiert vor allem der Umgang der Raumplanung mit der Landschrumpfung und der schwinden-den Lebensqualität - wie Schutz der Umwelt und Verkümmerung des Gemeinschaftslebens. Geht es ausschließlich um Geldfluss, um Profit- und Wachstumsdenken oder sollten Politik und Raumplanung den Lebensstandard nicht breit gestreuter, in humanistischer und psychologischer Weise definieren?

Eine Gesprächsbetrachtung von Frieda B. Seissl

Raumordnung ist ein mächtiges Instrument, sonst wäre es nicht in der Obhut des Landeshauptmannes, im Zentrum der Macht sozusagen und aller Bürgermeister. Wenn man vom „Machbaren“ ausgeht, falls man Macht so definieren will, dann wird es zu einem der mächtigsten Instrumente im Land, welches Bedarfszuwächse und Förderungen steuert für uns wachstumsgewohnte Menschen.

Doch irgendwann kippt dieses System der ständigen Bedarfsexpansion und wir müssen für den Erhalt von Ökologie, Gesellschaft und Wirtschaft anders denken lernen  ... Sie arbeiten nun seit über 40 Jahren in der Abteilung für Natur, Land und Raumentwicklung. Jetzt, knapp vor Ihrer Pensionierung gibt es einen bedeutenden Umbruch in der Raumordnung. Was wird sich ändern?

Eigentlich sind wir in einer Krise, denn die bisherigen Maßnahmen, den Energieverbrauch um 20% auf dem Gebäudesektor bis 2020 zu reduzieren, sind nicht zufriedenstellend. Italien wurde wegen unvollständiger Umsetzung dieser Richtlinie von der EU-Kommission vor dem Gerichtshof 2006 verklagt. Südtirol versucht nun dieser Verpflichtung der EU Mitgliedsstaaten zu entsprechen. Eine der Lösungen dafür ist das Klimaschutzhaus. Die Klimaschutzhäuser leiden jedoch an mehreren Kinderkrankheiten. Denken wir nur an den Schimmeleffekt, der vermehrt bei den mit Kunststoffmaterialien gedämmten Altbauten auftritt, wenn dabei physikalische Gegebenheiten nicht berücksichtigt werden. Das Ergebnis entspricht noch lange nicht den Erwartungen des Bauherrn. Vor allem die Verwendung einer Unmenge von neuen künstlichen  Baumaterialien, welche später dann alle wieder entsorgt werden müssen, kann bei Sanierungen zu Nebenwirkungen führen. Langzeitwirkungen, wie z. B. künstliche Umluft im Wohnbereich sind noch abzuklären. Eigentlich müssten wir uns wieder mehr auf die Natürlichkeit der Baumaterialien besinnen, welche 100%ig abbaubar und wiederverwertbar sein müssten. In einem so sensiblen Gebiet wie Südtirol, wo jetzt Bauernhöfe und Almhütten zu einem Klimahausstandard gezwungen werden, sollte man sich besinnen, wie man der Gleichmacherei der EU Richtlinie regional etwas Besseres entgegensetzen kann. Die EU ist in diesem Sinne zu weit entfernt, um für alle europäischen Staaten die lokal besten Lösungen vorschreiben zu können.
... Überall wird Bürokratie abgebaut, auch bei uns ist geplant, die Bearbeitungszeit der eingereichten Bauleitpläne zu verkürzen, außerdem wird es innerhalb von 2 Jahren nicht mehr als 3 Abänderungen von Bauleitplänen pro Gemeinde geben, davon sind öffentliche Einrichtungen ausgenommen  ... Ferner werden alle Durchführungs- und Wiedergewinnungspläne von den Gemeinden überprüft. Für die Ausweisung von neuen Gewerbegebieten wird es schnellere Verfahren geben. Die Verteilung der Handwerks- bzw. Industriezonen bedeutet, dass die Gewerbetreibenden direkt mit dem Käufer/Besitzer, ohne bürokratische Umwege, verhandeln können. Logischerweise kommt es auch schneller zu neuen Handwerkszonen, auch wenn schon eine alte, teilweise ungenutzte Handwerkerzone besteht. Der Bauernbund versucht dagegen zu steuern, denn insgesamt stehen nur 6% Kulturfläche (Talfläche) für Bauten zur Verfügung, alles andere ist alpin, das heißt landwirtschaftlich nicht nutzbar. Sinnvoller wäre es also auf nicht nutzbaren Böden zu bauen. ...

Wie kann man dem entgegenwirken?

Man versucht keine Neuausweisungen zu machen, sondern die Bausubstanz in den alten Ortskernen wiederzugewinnen, drüber hinaus schützt man damit Kulturland, denn wenn man energetisch saniert, bekommt man dafür als Anreiz zusätzliches Wohnvolumen (Kubaturbonus).


Die Raumordnungspläne sind transparent, weil für alle einsichtig und über Internet abrufbar. Barbolini zeigt mir die Pläne von einigen Dörfern wie Schlanders, Latsch und Vetzan und erklärt mir die Vorgangsweise. So technisch überschaubar diese Pläne sind, so widersprüchlich und willkürlich, wirken sie auf mich, weil es keine allgemeingültigen Verbindlichkeiten gibt, die nicht durch irgendwelche Ausnahmen widerlegt werden. Für mich ist diese taktisch strategische Welt sehr abstrakt und technisch überspitzt. Der Parameter Dorfgrenzen scheint auf den ersten Blick plausibel, auf den zweiten jedoch wirkt alles etwas schwammig. Denn wo fängt ein Dorf an und wo hört es auf? Theorie und Praxis, subjektives Raumempfinden und objektive Raumplanung klaffen weit auseinander. Reicht eine Schraffierung als Bannzone auf dem Plan, um zu beweisen, dass dort die Grenzen anfangen und aufhören, ist das in der Praxis ganz anders spürbar, wenn ich das Gebiet kenne und weiß, dass für mich das Dorf schon längst zusammengewachsen erscheint, weil das Auge Raum anders wahrnimmt als der Beamte auf dem Bildschirm. Barbolini spricht von Grünzonen, die auf dem Schirm grau erscheinen und von Bannzonen, wo keine Bauvorhaben erlaubt sind. Im selben Moment jedoch gibt es ein Labyrinth an Begriffen und Gegenbegriffen, welche die festgelegten Reglementierungen umgehen, um die Eingriffe des ständigen Landraubs rechtfertigen zu können. …


Grünzonen und Gewerbezonen, zwei Widersprüche in sich. Wie schaut es mit dem Gestaltungswillen der Gemeinden bei Gewerbezonen aus? Müssen wir uns auf noch mehr Wucherung von „Zonen“ gefasst machen, die kostbares Land „fressen“?

Alle Gewerbetreibenden üben genügend weit von den Wohngebieten entfernt, ihre Tätigkeit ohne Lärm- und Staubbelästigung aus und sind trotzdem gut erreichbar. Die Gemeinde hat sehr wohl Einfluss auf die Gestaltung dieser Gebäude, bei der Materialeingrenzung, zum Beispiel. Sie kann auch vorschreiben, das Areal mit Bäumen zu bepflanzen, damit diese weniger stören. Es gibt mehrere Gewerbezonen, wo entlang der Zonengrenze Grüngürtel errichtet werden müssten - so der Durchführungsplan im Sinne des Landschaftsschutzes - deren Anpflanzungen aber noch immer nicht erfolgt sind. Hier braucht es mehr Sensibilität  und Verantwortungsbewusstsein der zuständigen Gemeindeverwaltung. In Schlanders hat sich die Gemeinde bei der Errichtung des Areals verpflichtet, eine Allee zu pflanzen, hat es jedoch nie getan. Fairerweise muss man hinzufügen, dass diese Zone ursprünglich eine Industriezone von Landesinteresse war.

Trotzdem wurde diese Vorschreibung nicht umgesetzt. Welche Konsequenzen hat das für die Gemeinde? Keine. Absolut keine?

Nein, keine.

Es herrschen wilde Gerüchte über die Kubatur. Kann man Kubatur aus anderen Dörfern übertragen und ist das sinnvoll?

Ja, Kubatur wird innerhalb der Gemeinde verlegt, bei einer bestehenden geologischen Gefahr zum Beispiel, heute jedoch nur mehr innerhalb desselben Gebietsbereiches und ohne Aussichten auf Erweiterung. Die Gemeinden haben in den vergangenen Jahren sehr viel gebaut, diese Gebäude müssen erhalten werden und sind sehr kostenaufwendig. Diese Situation wird durch die Raumordnungsverträge etwas entschärft, indem ein Privater oder eine Firma der Gemeinde Dienstleistungen oder Geld anbietet, wodurch wichtige öffentliche Bauvorhaben verwirklicht werden können. Als Gegenleistung bietet die Gemeinde im selben Schätzwert Bauland an.

- Umgekehrt gilt das jedoch auch. Wenn eine Baufirma keine Aufträge mehr bekommt (Maschinen kann man leider nicht entlassen, sind teuer, bezahlen sich nicht so schnell ab und verlieren schnell an Wert), kann sie immer noch der Gemeinde irgendeine Grabung oder Straßensanierung anbieten, als Gegenleistung bekommt die Firma Bauland (wertsteigernd im Gegensatz zu den Maschinen), das Land schrumpft weiter, die Firma ist für die nächsten zehn/zwanzig Jahre gerettet, aber was passiert dann?  ...


Im Vinschgau herrscht Monokultur. Es gibt kein Gesetz gegen die Aufzehrung des natürlichen Kapitalstocks (wie Boden und Bodenschätze), kein Gesetz gegen Artenvielfalteinschränkung, kein Gesetz gegen die enormen Widmungsüberhänge bei Bauland, denn eine Steuerung der räumlichen Schrumpfung ist wesentlich komplizierter und schwieriger zu bewerkstelligen als eine Steuerung des Wachstums**. Ich sehe nirgends Baumbepflanzungen in den Gemeinden (ich spreche nicht von Aufforstungen). Es gibt Städte, wo mehr Artenvielfalt herrscht als im Vinschgau. Die Behörde kennt nur ein statistisch-technisch orientiertes Menschenbild, wo ein Umstand, ein Problem – wie Zersiedelung oder Landfraß– nicht als unser Grund und Boden, nicht als unsere Heimat, sondern als wirtschaftlich nutzbarer Baugrund behandelt wird oder zu Monokultur verkommt. Dabei wird der ständige Landverbrauch als unvermeidbar oder unveränderbar dargestellt, indem die Politiker und Sachbearbeiter gegen ihre vermeintliche oder tatsächliche Überzeugung argumentieren: „Ich würde ja gerne, aber ein Sachzwang (ein Sachverhalt) steht dem entgegen.“ Es entsteht also eine eigene Sachgesetzlichkeit, das heißt, jeder technische Erfolg schafft neue Probleme, die wieder mit Technik gelöst werden müssen, was zu einem fast blinden Vertrauen in die Lösung aller Probleme durch einen eindeutigen und massiv verfolgten technischen Fortschritt führt.
Beispiel neuer Kreisverkehr in Latsch: Der Bau des Kreisverkehrs erforderte eine neue (störend riesige) landfressende Umfahrungsschleife nach Vetzan. ...

Meine Sorge für eine enkeltaugliche Welt zählt nicht (!?) in einer Generalstabswelt der Karten und Akten, in einer militärisch anmutenden Abteilung, wo der Landeshauptmann das letzte Wort hat. ... Schrumpfung wird von der Raumplanung vielleicht wahrgenommen, jedoch nicht angenommen, denn das Gestalten von Schrumpfungsprozessen ist für die Politik ein Tabu, weil es als „Versagen“ interpretiert wird*. ... Macht man seine Arbeit ohne Widerspruch, ist alles gut. Gesetze einhalten müssen alle, doch Bauland erhält man leichter, wenn man der richtigen Partei angehört.


* entnommen aus der Studie von O. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Gerlind Weber,  Institut für Raumplanung und ländliche Neuordnung (IRUB): „Schrumpfung, - die Achillesferse der (Raum)Planung“,  im Auftrag des Club of Vienna, 2008, präsentiert zu den 13. Münchner Tagen der Bodenordnung und Landentwicklung, München 2011
http://www.landentwicklung-muenchen.de/tagungen/muencher_tage_bot/bot_13/praesentationen/weber_bot.pdf

 .... Neubewertung von Schrumpfung: Die Überbetonung der Wohlstandsmehrung als gesellschaftspolitische Leitvorstellung führte dazu, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die bislang regelmäßig damit einhergehenden negativen Begleiterscheinungen  ausgeblendet werden, wie: - die zunehmende Aufzehrung des Kapitalstocks (wie Boden, nicht wachsende Rohstoffe etc.),  - ein wachsender Stoffdurchsatz, der Mensch und Umwelt immer mehr belastet (wie Abfall, Lärm , Staub, Schwermetalle etc.), - ein steigendes Risiko durch Naturgewalten (wie Klimawandel, Extremwetterereignisse etc.), - eine Beschleunigung der anthropogenen Zeitmuster (Stress, Zeitnotstand etc.), - eine zunehmende Polarisierung zwischen Arm und Reich in Wirtschaft, Gesellschaft und Raum und sinkende Freiheitsgrade nachfolgender Generationen. Bei der Suche nach einem Ausweg aus dem Dilemma, dass Wohlstandsmehrung in einer „satten“ Gesellschaft nicht  mehr mit Wohlfahrtsmehrung Hand in Hand geht, stößt man auf das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung. S. 5 ...

 

 


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