Genaue Zahlen gibt es nicht. „Nach dem deutschen Mobbing-Experten Wolfgang Kindler sitzen in jeder Schulklasse ein bis zwei, die gemobbt werden“, sagt Christiane Pircher. Pircher und Daniela Nagl sind die beiden Mitarbeiterinnen der Schulberatung, die Unterstützung und Beratung bei einer ganzen Reihe von Problemen anbietet. Mobbing findet sich auch darunter. Vier bis fünf Mobbingfälle hat Pircher in den vergangenen 18 Monaten, seit sie bei der Schulberatung tätig ist, betreut. Nagl, seit zwei Jahren Schulberaterin, erinnert sich an zwei. „Das hat aber keine Aussagekraft über Mobbing an den Schulen hier im Vinschgau“, sagt Nagl. Schulführungskräfte und Lehrpersonen nehmen sich Mobbings an ihrer Schule meist selbst an. „Häufig werden wir erst gerufen, wenn die Situation eskaliert“, sagen die beiden Schulberaterinnen zum „Wind“. Mit einem Schalterdienst in sechs verschiedenen Schulsprengeln (SSP St.Valentin, SSP Latsch, Realgymnasium Schlanders, SSP Laas, SSP Prad, SSP Schluderns) wird eine persönliche Beratung vor Ort, direkt in den Schulen, angeboten. „Ansonsten wird mit uns per Mail oder telefonisch Kontakt aufgenommen.“
Mobbing unter Kinder und Jugendlichen ist nicht neu. „Neu ist die Sensibilisierung und die Thematisierung von Mobbing“, sagt Lukas Schwienbacher vom Forum Prävention. Schwienbacher ist Pädagoge, Mediator und Suchtberater und hat sich auf Mobbing spezialisiert. Derzeit tourt er mit einer Mobbingkampagne durch Südtirol. In Schlanders machte er vor vierzehn Tagen Halt.
Mobbing, sagt Schwienbacher, wird nicht immer korrekt gebraucht. Streit, seltene Eifersüchteleien oder Zickereien sind kein Mobbing. „Das sind Konflikte, die zwischen zwei gleich Starken entstehen.“ Mobbing hingegen sind Schikanen, die in regelmäßigen Abständen auftreten und von mehreren systematisch geplant werden. (s. Infokasten). Mädchen und Buben, sagt Schwienbacher, mobben gleich viel und gleich oft. Mädchen etwas subtiler. Am häufigsten tritt Mobbing zwischen sieben und 14 Jahren auf.
Mobbing kann jede und jeden treffen. Ob gute Leistungen in der Schule oder schlechte. Ob dick oder dünn. Ob mit Markenklamotten gekleidet oder nicht. Die Gruppensituation ist der Auslöser, dass ein Kind oder ein Jugendlicher gemobbt wird. Schwienbacher: „Wenn in einer Klasse der Großteil der Schüler schlechte Leistungen erbringt, ist der gute Schüler ein potentielles Mobbing-Opfer. Und umgekehrt genauso.“ Die Gründe, warum Kinder mobben sind unterschiedlich. Fakt ist, dass viele mobben, um selbst beliebter zu werden und Anerkennung zu bekommen. Oft mobben auch jene Kinder, die selbst einmal Mobbing-Opfer waren.
Versteckt und abseits spielt sich Mobbing ab. In der Pause, in den Schulgängen, auf dem Weg zur Schule. „Auf jeden Fall dort, wo weniger oder keine Aufsicht ist.“ Das ist auch der Grund, warum Mobbing nur schwer oder gar nicht greifbar ist. Hinweis für Mobbing sind meist nur die Opfer selbst, deren Verhalten sich ändert. Selbstzweifel, Deprimiertheit, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Schlafstörungen und Appetitlosigkeit sind die Folgen. „Diese Kinder oder Jugendlichen wollen nicht mehr in die Schule gehen und es kann zu einem massiven Leistungsabfall kommen“, sagt Pircher. Erreicht das Problem ein größeres Ausmaß und wird es chronisch, schalten sich die Dienste der Sanität wie der Psychologische Dienst ein. Albin Steck ist der Koordinator des Psychologischen Dienstes Vinschgau. Er kennt beide Seiten von Mobbing. Jene des Mobbingopfers und jene des Mobbers. „Viele unserer Patienten sind Kinder und Jugendliche, die Schwächen und Beeinträchtigungen haben und zum Mobbing-Opfer werden.“ Auf der anderen Seite sind auch Kinder und Jugendliche, die Mobber sind, beim Psychologischen Dienst in Behandlung. „Sie haben Störungen im Sozialverhalten.“
Alleine kommen Kinder aus dem Mobbing-Prozess nicht raus. Viel hängt von der Aufmerksamkeit der Lehrer ab. Vertrauen aufbauen, rät Schwienbacher den Lehrern. Den status quo in der Klasse regelmäßig überprüfen und einen Notfallplan für Mobbing einrichten. „Eltern müssen sofort mit den Lehrpersonen Kontakt aufnehmen und insistieren, dass sie gehört werden.“ Finden Eltern kein Gehör, ist der Direktor die nächste Wahl. Nur einmal, sagt Schwienbacher habe er erlebt, dass Eltern in einer Schule gegen verschlossene Türen angerannt sind, „bis sie gedroht haben zur Presse zu gehen.“ Fehlverhalten macht auch vor Schulen, dem vermeintlichen Schonraum, nicht Halt. In Prävention, sagt Schwienbacher, muss investiert werden. Und in einen sachlichen Zugang. Eltern reagieren, wenn’s um ihre Kinder geht, hochemotional. Das liegt in der Natur der Dinge. Deshalb greifen sie mitunter zu eigenen Mitteln: Nehmen Kinder, bei massivem Mobbing von der Klasse raus oder aber stellen den Mobber zur Rede. Beides dient keiner Lösung. Schwienbacher: „Wird das Kind von der Schule genommen, fühlt sich der Mobber bestätigt. Probleme müssen dort gelöst werden, wo sie entstehen.“ Und hier gilt eines ganz grundsätzlich: „Je schlechter das Klima in Schule, in Beruf, im Verein, desto mehr hat Mobbing eine Chance.“
Lehrpersonen müssen sofort Gespräche führen und ihr Vorgehen beim Mobbing-Prozess den Eltern des Opfers kommunizieren, um nicht das Gefühl zu vermitteln: Es paßiert nichts.
Eltern des Opfers bemerken langsam negative Veränderungen beim Kind oder beim Jugendlichen. Eltern des Mobbers sind meist überrascht und verteidigen ihr Kind aus Selbstschutz.
Aktive Mitläufer ahmen das Verhalten des Mobbers nach, profitieren von dessen Status, schützen den Mobber und werden häufig durch die Drohung eines Beziehungsabbruchs gebunden.
Zuschauer (billigend) beteiligen sich nicht aktiv am Mobbingverhalten, teilen unterschwellig aus verschiedenen Gründen die vermeintliche Abneigung gegen das Opfer.
Die Verteidiger des Opfers versuchen zu trösten, unterstützen das Opfer meist moralisch, haben gleichzeitig Angst selbst zum nächsten Opfer zu werden.
Zuschauer (passiv) beobachten die Vorgänge mit Hilflosigkeit, manchmal mit Abscheu ohne etwas zu tun, oft mit Gleichgültigkeit und sind meist froh nicht selbst Opfer zu sein.
Mobber/innen versuchen durch Machtausübung ein Grundgefühl der Unsicherheit in ein Grundgefühl der Sicherheit umzuwandeln, genießen häufig großes Ansehen in der Gruppe.
Mobbing-Opfer haben selbst am wenigsten Schuld, vereinsamen, können ernsthafte gesundheitliche Probleme bekommen und kommen aus der Situation nicht alleine heraus.
Glossar
Gewalt: Der Begriff „Gewalt“ beinhaltet alle Formen aggressiver Handlungen zwischen Menschen sowie gegen Sachen, die eine Schädigung oder Verletzung zum Ziel haben.
Mobbing bedeutet soviel wie über längere Zeit hinweg schikanieren oder anpöbeln. In englisch- und italienischsprachiger Fachliteratur wird Mobbing von Bulling unterschieden, wobei das erstere für die Erwachsenen- und Berufswelt verwendet wird. Die Opfer werden getreten, bespuckt, in den Schwitzkasten genommen, mit Gegenständen beworfen. Man nimmt dem Opfer das Handy weg, versteckt seine Brille oder lässt immer wieder die Luft aus den Reifen seines Fahrrades. Kinder werden beleidigt, lächerlich gemacht, aufgezogen, bewusst aus der Gruppe oder der Klasse ausgeschlossen, diffamiert, bedroht und beleidigt mit SMS-Botschaften. Die häufigsten Formen sind Spotten, Beschimpfen, Schlagen, Bedrohen, Gerüchte verbreiten und der Ausschluss aus der Gruppe.
Kontaktadresse bei Mobbing: Schulberatung, Protzenweg 8 a, Schlanders, Tel. 0473/732514. (Quelle Grafik o. und Bild r.: Forum Prävention)