Dienstag, 20 September 2011 00:00

Das Unglück am Sesvenna-Gletscher 13.08.1944

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 Menschen - Barbla Pua Wwe. Schmid aus S-charl

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Barbla Pua Wwe. Schmid ist eine der Töchter des ehemaligen Gastwirtes Jon Pua, Besitzer des Gasthofes Crusch Alva in S-Charl. Heute lebt sie im Altersheim von Scuol-Schuls, wo sie am 23. Mai dieses Jahres in voller geistiger Frische ihren 91. Geburtstag feierte. Ich habe sie im Frühling dieses Jahres besucht und sie hat mir sehr detailliert den Hergang dieses Unglückes erzählt. Lassen wir also Barbla Pua zu Wort kommen:

„Mein Vater Jon Pua, Crusch Alva Wirt in S-charl war schon einige Male auf dem Piz Sesvenna und so hatte er keine Bedenken, als mich ein Gast aus Zürich, der schon im Vorjahr bei uns Urlaub gemacht hatte, zu einer Tour auf den Piz Sesvenna einlud. Walter Huser, so hieß er, war beim Verein der Naturfreunde und beim Paddelverein Zürich. Letztendlich entschloss sich ein weiterer Gast, Walter Göldi, uns auf unserer Tour zu begleiten.
Am 13. August 1944 gingen wir von S-charl aus zur Alp Sesvenna und dann wandten wir uns Richtung SesvennaGletscher. Als wir am Gletscherfuß angekommen waren, meinte Walter Huser zu Walter Göldi: „Geh du voraus, die Barbla in der Mitte und ich gehe als Letzter.“ Huser hatte zwar ein Seil am Rucksack aufgebunden, doch schien er es nicht für nötig zu halten, es auch zu verwenden. Im Gänsemarsch, Walter Göldi, ich Barbla Pua und als Letzter Walter Huser, ging es den Gletscher aufwärts an kleinen Spalten vorbei, in die wir hinunterschauten. Man konnte dieselben ohne Mühe umgehen. Plötzlich verschwand der Boden unter meinen Füßen und ich stürzte in eine der Spalten. Ich wurde hin und her geworfen und landete schließlich auf einer Eisbrücke, ähnlich einem Sattel, wobei meine Füße links und rechts in die Tiefe hingen. Neben mir schoss Wasser und matschiger Schnee unter mir in die Tiefe. Ich muss durch ein kleines Loch eingebrochen sein, denn mein jetziger Standplatz war breiter. Soweit ich sehen konnte, wurde die Spalte nach unten breiter. Ich begann zu rufen und oben am Einbruchsloch hörte ich Walter, mit dem ich einige Worte wechselte. Während Walter Huser sofort über den Gletscher Richtung S-charl lief, Hilfe zu holen, blieb Walter Göldi mit mir in Rufkontakt. In der Zwischenzeit war es mir gelungen, mich von meiner Lage ähnlich wie auf einem Sattel aufzurichten, so dass ich stehen konnte. Rückwärts spürte ich die Eiswand, links und rechts blickte ich in die finstere Tiefe. Wir haben uns immer wieder zugesprochen. Plötzlich teilte mir Walter Göldi mit, dass er am Sesvennagrat zwei Personen sehe, doch reagierten die beiden nicht auf Walters Rufen. Als er sah, wie die beiden über den Grat Richtung Forotrida Scharte gingen, eilte Walter zu ihnen hinauf. Es waren Tiroler und sie hatten Angst, auf den Gletscher hinunter zu steigen, da sie in Walter einen Grenzwächter vermuteten. Doch sie versprachen, am schweizerischen Grenzwachtposten an der Grenze Taufers den Vorfall zu melden.
Die Zeit verging und es war bereits drei Uhr nachmittags. Da aus S-charl bisher keine Rettungsleute eingetroffen waren, beschloss Walter Göldi selbst Richtung S-charl zu eilen, um Hilfe zu holen. Bevor er loseilte, hat er neben der Spaltöffnung einen kleinen Schneehaufen angehäuft, aber leider kein anderes Markierungsstück, wie etwa eine Jacke. Um meine Zeit in der tiefen Spalte umzubringen, begann ich zu singen, immer wieder, dann zählte ich das Einmaleins auf, immer wieder. Mein Wille hat mir dauernd eingehämmert: „Nur nicht einschlafen!“ Nach Stunden sah ich schräg über mir ein Licht, doch es war gleich wieder verschwunden. Ich rief, was ich konnte, immer wieder und es schien mir wie eine Ewigkeit, als es wieder hell wurde. Die Retter waren zuerst an der Spaltenöffnung vorbeigelaufen.
Oben berieten die vier Männer, wie sie die Rettung bewerkstelligen sollten. Einer von ihnen war Godi Schmid, der Mann, den ich zwei Jahre später heiraten sollte. Die anderen waren Grenzwächter (Otto Neuhüßler und Mathias Gluderer). Sie entschieden, Godi Schmid ein Stück in die Spalte abzuseilen. Auf einem Eisvorsprung konnte er stehen, mit einer Taschenlampe nach unten auf mich zünden, wobei er mir Anweisungen gab, wie ich mich anzuseilen hatte. Als er glaubte, es wäre alles in Ordnung, ließ er sich zuerst aus der Spalte ziehen. Dann riefen mir die Männer zu: „Jetzt beginnen wir, dich hinaufzuziehen.“ Wie sich das Seil spannte, fühlte ich den gleichen Schrecken, als ich 13 Stunden vorher hineingestürzt bin.
Die Rettung hat funktioniert. Plötzlich stand ich im Freien neben meinen Rettern. Ich war gesund und wohlauf, aber voller Beulen. Mit meinen Rettern ging ich dann noch in der Nacht nach Hause, nach S-charl. Ich bin nach 13 Stunden aus einer über 10 Meter tiefen Spalte gerettet worden, doch Walter Hauser ist bis heute verschollen. Wahrscheinlich ist er, als er loseilte, um aus S-charl Hilfe zu holen, selbst in eine Spalte gefallen.“
Nachtrag: In der Zeit, als Roman Burgo Wirt auf der Sesvenna Hütte war, fanden Bergsteiger an der Gletscherzunge eine ca. 30 cm lange Metallhülse. Auf der Hütte wurde dieselbe geöffnet. Sie enthielt einen Nachruf auf Walter Huser, gewidmet von seinen Sportfreunden aus Zürich. Versehen mit Dokumenten aus der Zeit der Auffindung wurde die Hülse mit den aufgefundenen Nachrufen wieder in eine Spalte geworfen. In der Festschrift zum 30-jährigen Bestand des AVS Mals hat Roman Burgo über den Frund der Metallhülse geschrieben. Ich möchte mich bei Ueli Schmid (St. Moritz), Toni Schgör (St. Moritz – S-charl), Magister Roman Zischg (St. Moritz – Tarasp), dem Personal des Alterheimes in Scuol-Schuls sowie bei Helene Burgo-Pobitzer (Schleis) herzlich für die Mitarbeit bei der Recherche zu diesem Artikel bedanken.

von Martin Fliri Dane

Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau


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