Dienstag, 07 März 2017 09:26

Der Wolf, unsere Ängste und unsere Almen - Die Verhandlungsspielräume im nationalen Managementplan

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786B1Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Thomas von Aquin, 7. März 2017

Der Wolf ist zur Zeit in Südtirol ein großes Medienthema.  Der Wolf polarisiert sehr stark. Seit im Grenzgebiet Ulten - Deutschnonsberg  zwei Wölfe verschiedenen Geschlechts in die Fotofalle getappt sind, werden für das Frühjahr 2017 ein erster Wurf und in der Folge Rudelbildung erwartet.

Viele Menschen fürchten sich vor dem in unsere Wälder und Berge zurückkehrenden Wolf. Ängste sind irrational, müssen umso mehr ernst genommen werden. Viehhaltende Bauern und Almbewirtschafter befürchten Wolfrisse an Nutztieren während der sommerlichen Alpungszeit und längerfristig die Abwertung ihrer Almen und das Auflassen ihrer Bewirtschaftung.
Französische Schafhalter haben 2015 aus Wut und Verzweiflung zum drastischen, ungesetzlichen, verabscheuungswürdigen und strafbaren Mittel der Entführung eines Nationalparkdirektors gegriffen, um Wolfabschüsse nach wiederholten Haustierrissen zu erzwingen.
In meinem heutigen Beitrag möchte ich versuchen, den Stand der zwischen den verschiedenen Lobbyisten sehr kontrovers und meines Erachtens öfters auch zu emotional geführten Diskussion zusammenzufassen. Das Ganze  im Lichte der geltenden Rechtslage zum Schutzstatus des Wolfes und  vor dem Hintergrund des nationalen „Planes zum Erhalt und zum Management des Wolfes in Italien“. Dieser Plan behängt derzeit in der Staats-Regionen-Konferenz und ist wegen der weit auseinanderliegenden Standpunkte schon zweimal vertagt worden.   

Auszüge aus dem breiten Medienecho
Nach einer ersten Behandlung des Entwurfes zum besagten Plan zum Management des Wolfes in Italien in der Staats-Regionen-Konferenz  anfangs Februar d.J. war das Medieninteresse am Thema auch in Südtirol  groß. Der Planentwurf  ist in Inhalt und Formulierung auftrags des Umweltministeriums von  Prof. Luigi Boitani und Valeria Salvatori unter den Beteiligten Experten koordiniert worden. Unser Land war in der besagten Konferenz in Rom vertreten durch den Landesrat für Land- und Forstwirtschaft Arnold Schuler und den Direktor des Landesamtes für Jagd und Fischerei Dr. Luigi Spagnolli. Der Vorschlag von Landesrat Schuler, Eingriffsmöglichkeiten gegen den Wolf bei kritischen Konfliktsituationen etwa in der Almwirtschaft vorzusehen, wurde von den 786B4Vertretern der Artenschutzorganisationen aber auch anderer Regionen  abgelehnt und die Verabschiedung des Wolf-Managementplanes zum  Redaktionsschluss bereits zweimal ausgesetzt.  Entnahmen von „problematischen“ Wölfen  durch Abschüsse sollten nach Ansicht der Tierschützer erst in Erwägung gezogen werden dürfen, wenn vorher alle Präventionsmaßnahmen gegen Wolfattacken auf Nutztiere wie Schutzzäune, Koppelhaltung, Behirtung und Herdenschutzhunde ausgeschöpft worden sind.
Nach der Berichterstattung  zum Ergebnis aus Rom im Südtiroler Landtag hatte die SVP-Landtagsabgeordnete Maria Kuenzer ein „wolffreies“ Südtirol vorgeschlagen. Die Tageszeitung „Dolomiten“ brachte in ihrer Ausgabe vom Freitag, 10. Februar d.J. einen mit em gezeichneten  Bericht, wie die verschiedenen europäischen Staaten das Nebeneinander von Wolf, Mensch und landwirtschaftlichen und anderen Aktivitäten regeln. In der Rubrik „Meine Meinung“ hat Dr. Michl Ebner  in der „Dolomiten“-Ausgabe vom Sa./So., 11./12. Feb. 2017 unter dem Titel „Ein Land ohne Wölfe ist möglich“ seine Ansicht zum Umgang mit dem Wolf geäußert. In seinem Beitrag machte sich Michl Ebner „Sorgen über die öffentlichen Diskussionen, die - weil von einer ökologischen Romantik getragen – den Anforderungen von Gesellschaft und Wirtschaft sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten keine Rechnung tragen.“ Ein vernünftiger und verantwortlicher Ansatz zum Wolfmanagement müsse auch die Nachteile berücksichtigen. Ich teile die Einschätzung verschiedener Vertreter des Bauernstandes und Michl Ebners, dass „unsere Berg- und Almwirtschaft ein wesentliches Merkmal unserer Landschaft und Identität ist“. Dr. Ebner schließt seine Überlegungen mit der Feststellung, dass die Errichtung von kostspieligen Gattern und Zäunen, zudem aus öffentlichen Geldern finanziert, um uns vor den Wölfen zu verteidigen und dabei unser Naturerbe zu verunstalten, ein vermeidbarer Weg sei. Und es müsse in Europa auch Gebiete ohne Wölfe geben können.
In der Fernseh-Sendung  „pro und contra“ von Rai Südtirol  am Di., 14. Februar haben die Landtagsabgeordnete Maria Kuenzer und Osvaldo Negra, Vertreter des WWF Italien, Sektion Trient Bozen zum Thema Wolf diskutiert.  Maria Kuenzer sieht die Bestoßung der Almen gefährdet, befürchtet deren Entwertung, aber auch touristische Einbußen im Wandertourismusland Südtirol aus Angst vor dem Wolf. Sie hält die großflächige Einzäunung der Almen ob ihrer weitläufigen Ausdehnung  und den Herdenschutz mit Hunden in der Praxis für nicht durchführbar. Osvaldo Negra hat auf den Wolf als großen Beuteopportunisten verwiesen, der durch Schutzmaßnahmen wie Zäune, Behirtung und Herdenschutz von Attacken auf gealpte Haustiere abgehalten werden kann. Außerdem sei der in die Alpen spontan zurückkehrende Apenninenwolf Canis lupus italicus eine eigen Unterart, die es als genetische Ressource zu erhalten gelte.
In seinen Ausführungen in der „Dolomiten“-Ausgabe vom Do., 16. Februar 2017 beklagt Oswald Schwarz als Vertreter der Bergbauern im Landesbauernrat, dass die Bauern in Ulten und am Deutschnonsberg in den vergangenen Jahren 75 vom Braunbären und Wolf gerissene Schafe und Ziegen hinnehmen mussten. Er stellt weiters fest, dass „in Ulten und am Deutschnonsberg  auf 10 kleineren Almen seit einigen Jahren keine Schafe und Ziegen aufgetrieben werden“.
Die Almwirtschaft ist nicht nur eine bedeutende landwirtschaftliche Komponente, sondern erfüllt auch weitere Funktionen. Das Schweizer Institut agridea hat 2015 auf Auftrag des Landesamtes für Jagd und Fischerei und des Nationalparks Stilfserjoch die Almen im Westen Südtirols erhoben: Aus dieser Erhebung wissen wir, dass es im Vinschgau (ohne Schnalstal) 87 bewirtschaftete Almen gibt. Auf diesen Almen wurden 2014 insgesamt 19.068 Nutztiere gesömmert (davon 1.401 Melkkühe, 5.133 Stück Galtvieh, 324 Pferde, 10.254 Schafe, 1.795 Ziegen und 161 Schweine).
Rai Südtirol hat im Fernsehen am Freitag, 17.2. eine „Tagesschau Spezial“ dem Argument „Rückkehr des Wolfes“ gewidmet. Interviewpartner waren dabei der Direktor des Alpenzoos Innsbruck Dr. Michael Martys, der Hirte Josef Holzer, der erwähnte Oswald Schwarz, der Vertreter der Tierschutzorganisation LAV Massimo Vitturi, der Direktor des Südtiroler Landesamtes für Jagd und Fischerei Dr. Luigi Spagnolli und das Geschäftsführer des Südtiroler Jagdverbandes Dr. Heinrich Auckenthaler. Michael Martys erinnerte daran, dass die Vereinten Nationen das Jahrzehnt der Biodiversität ausgerufen haben, der Wolf als Regulator und Glied der Nahrungskette einen angestammten Platz neben dem Menschen habe und nicht mit leichtfertigen Begründungen abgeschossen werden sollte. Die Angst vor dem Wolf sei unbegründet, weil der Wolf in seinem Urinstinkt dem Menschen scheu ausweiche.  Oswald Schwarz zeigte auf, dass 25% der italienischen Wölfe schon Hybriden aus Paarungen mit verwilderten Haushunden seien und Träger eines genetisch nicht reinen Erbgutes seien. Luigi Spagnolli mahnte zu realistischen Einschätzungen des Machbaren: Es sei sehr unwahrscheinlich, dass in Rom und in Brüssel eine Ausnahmeregelung für die Bejagung des Wolfes in Südtirol gewährt werde.

Der juridische Schutzstatus
Internationale, europäische und nationale Rechtsnormen erkennen dem Wolf die höchste Schutzstufe „streng geschützt“ und „prioritäre Art“ zu. Genannt seien in diesem Zusammenhang das Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES 1973), die Berner Konvention (1978), die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU 93/43/EU, das Dokument der Expertengruppe Wolf in der Internationalen Union für den Erhalt der Natur IUCN (1993, aktualisiert 2000), das Dokument „Large carnivore initiative for Europe“ des WWF International und des Europarates (2005). Weiters der europäische Aktionsplan Wolf (L. Boitani, 2000), die Richtlinien der EU zum Management der Großen Beutegreifer (2008), das italienische Rahmengesetz über die geschützten Gebiete 394/1991, das Staatsgesetz 157/1992, die Dekrete des Staatspräsidenten 357/1997 und 120/2003,  mit welchen die FFH-Richtlinie der EU in nationales Recht übernommen  und der Wolf als prioritäre Art eingestuft worden ist, für die ein rigoroser Schutz gilt und die Einrichtung von besonderen Schutzgebieten vorgeschrieben wird.

Der nationale Aktionsplan Wolf
Der italienische Aktionsplan Wolf ist in seiner letzten Textversion vom Jänner 2017 in drei Abschnitte gegliedert und definiert als Hauptziel, das Überleben des Wolfes zu sichern und die Konflikte mit den menschlichen Tätigkeiten zu minimieren. Um dieses Hauptziel und weitere Feinziele zu erreichen, sieht der Plan einen offenen und partezipativen Prozess aller beteiligten Akteure  unter Einhaltung der geltenden Gesetze („a legislazione vigente“) vor. Ein breiter Teil der Kompetenzen zum Management des Wolfes soll laut Planentwurf vom Staat an die Regionen übertragen werden. Referenzinstitut für Wolfentnahmen bliebe das nationale wildbiologische Institut ISPRA. Wenn man bei Wildtieren den Erhalt der Art anstrebt, muss man nicht notgedrungen, stur und unabrückbar kritische Einzelindividuen verteidigen. In diesem Sinne erahne ich in der Staats-Regionen-Konferenz noch vernunftbetonte Verhandlungsspielräume. Ebenso erachte ich aber das „wolffreie“ Südtirol im Lichte der derzeit geltenden Gesetzesbestimmungen als nicht erreichbares Ziel.

Zum Schluss möchte ich den  Schweizer Biologen und Fernsehmoderator Andreas Moser aus seiner Sendung „Netz Natur“ vom 23. Jänner 2017 zum Thema Wolf zitieren: „Die wilden Wölfe in den Köpfen (der verschiedenen Lobbyisten) sind andere Wölfe als die Wölfe draußen in der Natur. Für den Mehraufwand der Berglandwirtschaft wegen des Wolfes hoch oben in den Bergen braucht es die Unterstützung der Unteren und der Städter im Tal. Und das sollte sich die Schweiz noch leisten können. Es kann und darf in der Natur mehr geben, als dem Menschen genehm ist.“
Ein demokratisches Gefüge muss gesetzliche Lösungen anstreben und anbieten und nicht zu ungesetzlichen Vergiftungsaktionen verleiten oder zu Wutreaktionen wie in Frankreich mit Entführung von Menschen herausfordern.

INFO
807B4Im Apennin wird der Wolf-Bestand auf 1.000-2.000 Tiere geschätzt, im gesamten Alpenbogen auf 300-400, europaweit (ohne Russland) auf 15.000-20.000 Wölfe. Für Deutschland geben die Experten 46 Rudel, 15 Wolfspaare und vier Einzelgänger an. Weltweit gibt es noch etwa 150.000 Wölfe. In Russland, Kanada und Alaska leben derzeit 80 % der weltweiten Wolfpopulation.

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