Arnold Schuler: Wir haben bestimmte Reserven für bestimmte Situationen vorgesehen. Ob die Gemeinde Graun da hineinfällt, müssen wir schauen. Graun hat sicher ein Problem, weil scheinbar die Stromeinnahmen für die Gemeinde rapide zurückgegangen sind. Das sind Dinge, die wir im Gemeindenfinanzierungsmodell nicht berücksichtigen konnten, weil wir von der Ist-Situation ausgegangen sind. Deshalb haben wir auch eine Million Euro als Reserve vorgesehen, um auf Sondersituationen reagieren zu können. Im Übrigen fehlt der Gemeinde Graun gegenüber 2014 nicht ein halbe Million Euro, sondern 165.000 Euro gegenüber der Finanzierung von 2014. Graun, um bei diesem Beispiel zu bleiben, hatte in den letzten Jahren große Wirtschafts- und Verwaltungsüberschüsse.
Vinschgerwind: Nochmal: Müssen Sie nachbessern?
Schuler: Der Reservefond ist dafür da, unvorhersehbare Dinge korrigieren zu können. Das betrifft vor allem kleine Gemeinden.
Vinschgerwind: Bleiben wir beim konkreten Beispiel: Jene Gemeinden, die sich in der Vergangenheit zum Beispiel beim Strom, eine zusätzliche Einnahmequelle erkämpft haben, werden mit Ihrem Modell, so hat es jedenfalls der Bezirkspräsident Andreas Tappeiner ausgedrückt, regelrecht bestraft.
Schuler: Tatsache ist, dass man sich auch in den letzten Jahren schon darüber einig war, dass beim neuen Finanzierungsmodell die Einnahmen der Gemeinde mit zu berücksichtigen sind, dies aber nicht im vollen Ausmaß. Mit dem neuen Modell werden bei allen Einnahmen, egal ob aus Stromerlös oder Immobiliensteuer, nur die Spitzen genommen, d.h. diese werden nur zum Teil eingerechnet. Damit soll die Schere, die sich zwischen den Gemeinden aufgetan hat, etwas geschlossen werden.
Vinschgerwind: Das Modell der Gemeindenfinanzierung ist offenbar nicht ganz ausgegoren.
Schuler: Das Modell als solches wird eigentlich von allen anerkannt. Es gibt allerdings Forderungen, es noch zu ergänzen. Wenn wir uns die Investitionen ansehen, dann steigen die Vinschger Gemeinden überdurchschnittlich gut aus. Auch weil als ein Berechnungsschlüssel die Fläche einer Gemeinde herangezogen wird und die Vinschger Gemeinden sind flächenmäßig im Durchschnitt groß.
Der große Wurf der neuen Gemeindenfinanzierung ist aber ein anderer. Im Jahr 2008 hatten wir eine Gesamtverschuldung aller Gemeinden in Südtirol von 1,2 Milliarden Euro. Weil viele Investitionen über Darlehen bei der Depositenkassa geschultert worden sind. Mit diesem System wären wir an die Wand gefahren. Dieser Umstand hat mich bewogen, als Präsident des Gemeindenverbandes zu kandidieren. 2008 haben wir dann den Rotationsfond eingeführt, seitdem ist allein die Zinslast von 60 auf 40 Millionen Euro gesunken. Und nun wollen wir auf einen Investitionsfond umsteigen, also auf Kapitalbeiträge für die Gemeinden. Das wird für den laufenden Teil der Gemeinden eine enorme Entlastung geben. In einigen Jahren wird es nur Gewinner geben. Derzeit werden von den Gemeinden insgesamt 140 Millionen Euro jährlich für die Rückzahlungen alter Darlehen und für den Rotationsfond zur Verfügung gestellt. Diese Rückzahlungen werden mit dem neuen Investitionsfond gegen Null gehen. Ich gebe zu , dass es in der Umstellungsphase nicht leicht werden wird. Aber mit dieser Entlastung werden den Gemeinden große Spielräume für den laufenden Teil eröffnet. Deshalb habe ich die Gemeindeverwalter gebeten, nicht nur die derzeitige Situation zu sehen, sondern vor allem nach vorne zu schauen.
Vinschgerwind: Themenwechsel: Sie sind als Landesrat auch für die Landwirtschaft zuständig. Auch da geht’s ums Geld. Sie wollen eine Menge Geld in die Forschungsoffensive für die Berglandwirtschaft stecken, knausern aber mit der Auszahlung z.B. der Alpungsprämie. Verstehen Sie, wenn die Bauern sauer sind?
Schuler: Natürlich verstehe ich das. Die Bauern haben erwartet, dass die Beiträge wie bisher fließen. Das hat nicht funktioniert, weil wir in einer Umstellungsphase bei den Förderprogrammen der EU sind. Das sind 7-Jahres-Programme. Es hat enorme Verzögerungen gegeben. Der Start war für 2014 vorgesehen. Effektiv genehmigt wurde unser Programm - als erstes in Italien - im Mai 2015. Also mit mehr als einem Jahr Verspätung. Das zweite Problem war die Datenerhebung bzw. die Datenübermittlung. Dass die Bauern, die auf das Geld hart gewartet haben, ein Problem damit hatten, verstehe ich. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass auf politischer Ebene mehr Geld herausverhandelt worden ist. Das wird sich in Zukunft positiv auswirken, d.h. es werden künftig wesentlich mehr Geldmittel für die Berglandwirtschaft bereit gestellt werden als bisher.
Vinschgerwind: Die Verzögerungen werden Ihnen angelastet.
Schuler: Sicher, ich bin politisch verantwortlich und Probleme werden auf mich projiziert. Aber ich bin überzeugt, dass man den Wert der Verhandlungen in den nächsten Jahren erkennen wird. Zudem habe ich als Landesrat Rückstände von rund 74 Millionen Euro an Beitragsgesuchen übernommen. Die sollen in dieser Legislatur abgestottert werden. Und beim Berggesetz sind nochmals Ansuchen von früher von rund 115 Millionen Euro vorhanden. Deshalb haben wir einen Aufnahmestopp verhängt. Das kommt natürlich nicht gut an.
Vinschgerwind: Eine andere Front sind die Pestizide. Arbeiten Sie in der Gemeinde Mals an der Gemeinde-Verordnung für eine pestizidfreie Gemeinde mit?
Schuler: An der Verordnung arbeite ich nicht mit. Wir haben allerdings eine Arbeitsgruppe eingesetzt, in der eine Weiterentwicklung der Landwirtschaft im oberen Vinschgau diskutiert wird. Dazu wird um Unterstützung über eine Interreg-Projekt angesucht.
Vinschgerwind: Läuft dieses Projekt unabhängig von der Verordnung, in der die Gemeinde Mals das Pestizidverbot regeln will?
Schuler: Die Verordnung ist eines. Da weiß man, dass das nicht leicht sein wird, das einzuhalten, was man den Leuten versprochen hat. Zentrales Thema muss es aber sein, wie die Entwicklung der Landwirtschaft im oberen Vinschgau sein wird. Man wird alle an einen Tisch holen müssen, um zu diskutieren, was das Ziel sein kann, wie ein Modell aussehen kann. Das finde ich eine spannende Geschichte.
Vinschgerwind: Es bleibt ein Damoklesschwert im Hintergrund. Werden die Fronten mit einer Verordnung für ein Pestizidverbot wieder aufgerissen?
Schuler: Man hat sich in eine keine leichte Situation hineinmanövriert. Die Botschaft in Mals und auch nach außen war klar: Es gibt ein Pestizidverbot, auch wenn das mit dem Hinweis „soweit rechtlich möglich“ abgemildert worden ist. Die Warnungen, dass man mit einem Pestizid-freien Mals ein Problem haben wird, wurden in den Wind geschlagen. Die Erwartungshaltung ist jetzt groß und nun muss man liefern. Da ist es nicht mehr so einfach. Unabhängig davon, wie diese Verordnung nun gemacht wird, muss es das Ziel sein, zu schauen, wie man die Landwirtschaft im oberen Vinschgau weiterentwickelt.
Vinschgerwind: Sind Sie in dieser Arbeitsgruppe persönlich aktiv?
Schuler: Mein persönlicher Referent leitet diese Arbeitsgruppe. Man kann nur gemeinsam die Dinge lösen. Nur mit Verboten löst man die Probleme nicht.
Vinschgerwind: Der Freistaat Bayern hat seit kurzem, seit September 2015 ein eigenes Bio-Siegel. Ist das auch für Südtirol eine Überlegung wert?
Schuler: Das Ziel muss eine stärkere Ökologisierung der Landwirtschaft sein. Auch im Interesse der Landwirtschaft. Man hat sich seit Jahren, das betone ich, auf diesen Weg bewegt. Es sit nicht so, dass nichts passiert ist. Den integrierten Obstbau auf diesem Niveau gibt es sonst nirgends. Ich bin überzeugt, dass sich eine biodynamische, eine biologisch und eine konventionelle Wirtschaftsweise, die sich im vergangenen Jahrhundert weit voneinander entfernt hatten, wieder annähern werden. Das ist ein Prozess, den man nicht mit Verboten regeln kann.
Vinschgerwind: Sie sind ein Verfechter der Ökologisierung der Landwirtschaft?
Schuler: Ja, sicher. Im Interesse der Landwirtschaft, im Interesse der Gesellschaft. Dieses Spannungsfeld hat man früher nicht gekannt. Wir haben heute einen Vorsprung in Europa und diesen Vorsprung dürfen wir nicht verlieren. Wir müssen diesen Vorsprung weiterentwickeln.
Vinschgerwind: Als Landesrat für Forstwirtschaft haben Sie im Vinschgau unter anderem auch mit dem Marmortransport zu tun. Sie haben Transporte über die Forststraße nach Göflan genehmigt, das Verwaltungsgericht hat in zwei Urteilen gesagt, dass das nicht rechtens ist. Wie lösen Sie das Problem im Jahr 2016?
Schuler: Das ist die große Frage. Die Situation ist verzwickt und schwer zu lösen. Auch weil viel vergiftet ist. Dies ist vor allem auch auf die Geburtsfehler zurückzuführen, weil man bei den zwei Konzessionen unterschiedlich gestartet ist und es deshalb schwierig ist, nachträglich die Dinge richten zu können. Die Unternehmen müssen ihre Tätigkeit ausüben können und der Abtransport muss sichergestellt werden, zu möglichst ähnlichen Bedingungen.
Vinschgerwind: Das Verwaltungsgericht hat Ihnen eine Niederlage zugefügt. Setzen Sie auf die künftige Eigenverwaltung des Nationalparkes?
Schuler: Sicher. Inzwischen ist dieses Abkommen unterschrieben worden. Wir werden Möglichkeiten für Vorgaben finden.
Vinschgerwind: Hängen weitreichende Entscheidungen im Nationalpark auch in Zukunft vom Umweltministerium ab?
Schuler: Als Land werden wir meiner Meinung nach mehr Spielraum haben, um Bedinungen und Maßnahmen beim Abtransport von Marmor vorzusehen. Das größte Problem derzeit ist die Situation der Durchfahrt beim Trafratzhof. Wir werden das Mögliche tun, um das Problem des Marmortransportes zu lösen.
Vinschgerwind: Noch eine Baustelle im Vinschgau. Wann ändern Sie das Jagdgesetz, damit der Ellerwald bei Schluderns und die Upialm dem Revier Schluderns zugeteilt werden kann?
Schuler: Ich werde mich hüten. Weil da Präzedenzfälle geschaffen würden, die eine Lawine loslösen würden. Wenn wir Reviergrenzen verschieben würden, würden wir Tür und Tor öffnen, weil ähnliche Problematiken im ganzen Land zu finden sind. Das Problem der Jagd im Vinschgau ist ganz ein anderes. Das sind die Verbisschäden, die nicht nur ein ökonomisches Problem für die Waldbewirtschaftung sind, sondern vor allem auch ein Problem für die Funktion des Waldes als Schutzwald.
Vinschgerwind: In der Vergangenheit hat die Forststation Schlanders bereits eine Erhöhung der Abschussrate gefordert. Die Jäger wollen nicht mehr Wild schießen.
Schuler: Für die Jäger ist die Jagd schwieriger geworden. Das Wild wird durch Mountainbiker, Schneeschuhwanderer usw. versprengt.
Vinschgerwind: Will man im Nationalpark die Jagd wieder eröffnen?
Schuler: Das steht nicht zur Debatte. Man wird an der bisherigen Wildentnahme festhalten.
Interview: Erwin Bernhart
{jcomments on}