Kultur: „Stilfs ist nichts“

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schreibt Thomas Bernhard in seinem Roman Midland in Stilfs. Was er damit meint, ist verwirrend; deutlich wird es vielleicht durch die „Karrnerlieder“.
Der Maler und Dichter Luis Stefan Stecher fuhr zusammen mit Fernsehjournalisten aus Wien in Richtung Tirol, wobei über einen geplanten Vinschgau - Film gesprochen wurde; mitgedacht hat auch der aus Stilfs gebürtige Kulturkritiker Dr. Leonhard Paulmichl. Auf seine und des Intendanten Frage nach typischen Liedern antwortet der Luis: „Es gibt sie aber nicht, die Vinschger Lieder!“
Auf dieses Nein entgegnet der Intendant: „Dann machen sie welche!“
Entstanden sind darauf die „Karrnerlieder“, als kleine Kunstwerke des Hinhörens. Adeliges aus dem Schatz der Vinschger Mundart. Eine Perlenschnur aus Lebensweisheiten. Weil der Luis in sich hineinhören konnte, auf die Stimme seiner Mutter, seiner Laaser Freunde und Nachbarn. Entstanden aus Übermut.
Selbst die Eier, die der Luis Stefan Stecher wegen der Steilheit von „Faslar“ poetisch auf den Stilfser Kirchplatz rollen lässt, sind mit im Spiel. In einem seiner Gedichte lässt er sogar die Vögel sich gegenseitig bestehlen. Zum Volkslied geworden ist das Lied:
MEIN MADELE, MAI TSCHUURELE, MAI RUTSCHLTZ PAALAPIRL, OLLZ, WOOSDR SUI DRZEILN WÄRN, HOT OLM A HINTRTIIRL
(Mein Mädchen, mein zerzaustes, lockiges Palabirchen, alles was sie dir erzählen werden, hat immer eine Hintertür – die Früchte des Palabirnbaumes sind eine Vinschger Besonderheit und dienten als Süßstoff).
Zum bunten Leben der aus Not zum Wanderhandel und zum Flickhandwerk gezwungenen Obervinschger Bürger, die meist aus Tartsch oder Stilfs stammten, gehört auch die Musik. Mit dem Vieh-, Obst- und Weinhandel und mit einem Karren durch das Land ziehend, befand sich oft mehr als die Hälfte der Dorfbewohner auf Wanderschaft.
Als ich mich an einem Herbstabend dem eng verbauten Stilfs näherte, lag bereits ein satter Schatten im Tal des „Tramentanbaches“. Er wird auch Schmiedbach genannt und umfließt die Bodenäcker. Die kleinen Ackerflächen werden von „Waalen“ und „Ilzen“ durchzogen, das sind dünenartige Aufschwemmungen, über die das Wasser verteilt wurde. In einem der Karrnerlieder heißt es: AF SCHTILZ AFFAN ILZ HUKKT A POSSLTE GRAATSCH.
(Auf einem Schwemmkegel bei Stilfs hockt ein runzliger Tannenhäher.)
Wichtig war auch das ­Theaterspielen. In einem Bühnen­stück von Toni Bernhart unterhalten sich strickende Frauen über die Notwendigkeit, in Stilfs ein Fernglas, einen „Gugger“ zu besitzen. Um die Nachbarschaft, wie aus einer Opernloge, auszuspähen.
Aber „Stilfs ist nichts“ ... Vorbei an herbstlich leuchtenden Lärchen, erkennbar nur noch die Umrisse lehmiger Moränen. Die großen „Gletscherzungen“, die der Laaser Künstler Jörg Hofer im Haus der Karin Dalla Torre ausstellt, diese Leinwände kommen aus einem Traumreich, in dem nicht die Gier, sondern nur die Farbe als
weibliche Königin herrscht.
Ihr, der Karin, die viel bewegt,
widme ich dieses Bild. Es zeigt ­Stilfs, das ein Nichts ist, wie der grimmige Dichter Thomas ­Bernhard meint. Wobei er zu ­bemerken vergisst, dass sich die Verzweigungen der Waale musikalisch bewegen, als Aufbau einer Fuge ...
Aus Stilfs stammt auch der Organist und Komponist Professor Herbert Paulmichl. Ob er einst auf den Bodenäckern gehütet oder die Wiesen bewässert hat?

Hans Wielander

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