Das Handwerk des Handwebens und die Stiftung Handweberei Tessanda – zwei Kulturgüter, die aus der Val Müstair nicht wegzudenken sind.
Maya Repele
Seit 94 Jahren klappern die hölzernen Webstühle in der Handweberei Tessanda in Sta. Maria Val Müstair. Sie sind 70 oder 100 Jahre alt, vielleicht auch 120. Niemand weiss es genau, denn sie sind seit dem Bestehen der Tessanda einer nach dem anderen hinzugekommen. Manchmal gezielt gekauft, manchmal als Geschenk erhalten, weil die Besitzerin ihr Handwerk aus Altersgründen nicht mehr ausüben konnte und froh war, ihr liebgewonnenes Gerät in guten Händen zu wissen. 26 kleine und grosse Webstühle sind in Betrieb, jeder mit einem Namen getauft, ein Zeichen der Verbundenheit – die Chasa Tessanda ist voll.
Kein Webstuhl gleicht dem anderen, jeder ist ein Unikat. Das ist Fluch und Segen zugleich. Die Vielzahl an Webbreiten, Anzahl Tritten, Holzart, Mechanik und Gewicht der Geräte steht für eine willkommene Auswahl, fordert aber die Anpassungsfähigkeiten der Weberinnen und die Instandhaltung durch den Dorfschreiner.
Hand-, Fuss- und Denkarbeit
Die Technik des Handwebens und die Webstühle haben sich in den letzten Jahrhunderten kaum verändert. Das Wissen kann in der Schweiz in einer drei-jährigen anerkannten Berufslehre erlernt werden – auch die Tessanda bietet alle zwei Jahre eine der rar gewordenen Lehrstellen an. Viele der ausgeklügelten Techniken des Handwebens können aber nicht einfach im Fachbuch nachgeschlagen werden, sie werden wie in anderen Handwerksberufen von einer Generation an die nächste weitergegeben und so gleichzeitig ständig verfeinert. Fida Lori, die Mitbegründerin der Tessanda und langjährige Geschäftsleiterin, wusste: «Ungeahnte Möglichkeiten liegen in den paar Hölzern eines Webstuhles. So viele, dass wir immer Lernende bleiben.»
Das Handweben ist eine komplexe Arbeit, die eine hohe Konzentration und viel Sorgfalt verlangt. Ohne präzises Arbeiten vom ersten bis zum letzten Arbeitsschritt geht es nicht. Auch Ausdauer sowie Hand- und Denkarbeit sind gefragt. So entstehen pro Arbeitstag Gewebe mit einer Länge von 80 bis 700 cm.
Im Prinzip sind die Webmuster in der Machart gleich wie vor Jahrhunderten. Sie werden durch den Einzug von bis zu 3000 Fäden auf dem Webstuhl und dem virtuosen Bedienen der bis zu zwölf Tritten mit den Füssen gebildet – fast wie das Musizieren an einer Kirchenorgel. Das Schiffchen mit dem Schussfaden wird mit der rechten Hand mit viel Elan von links nach rechts und zurück geschossen, bis zu 80 Mal pro Minute. Man erkennt, wie das Gewebe Schuss um Schuss wächst.
Bunt gemischt
Das Handweben ist in dieser Region ein klassischer Frauenberuf. In der fast hundertjährigen Geschichte der Tessanda haben nur gerade drei junge Männer den Beruf erlernt. Kein Wunder haben die Frauen in der Tessanda das Sagen.
Die Belegschaft ist bunt gemischt. Einheimische, Südtirolerinnen und Zugezogene arbeiten Hand in Hand. Es wird Rätoromanisch, Hochdeutsch, Deutsch mit Schweizer- und mit Südtiroler-Akzent sowie Italienisch gesprochen.
Die Weberinnen stehen im Scheinwerferlicht. Aber sie wissen es zu würdigen: ohne ihre präzise und kreativ arbeitenden Kolleginnen in der Näherei würden keine solch aussergewöhnlichen Produkte entstehen. Ohne die freundlichen und kompetenten Kolleginnen und dem Kollegen im Verkauf und der Administration würde schnell das Chaos ausbrechen. Nur die Teamarbeit gewährleistet den reibungslosen Betrieb.
Manch Besucher ist erstaunt, so viele junge Mitarbeiterinnen anzutreffen – wer hätte das bei so viel Tradition erwartet? Gleichwohl: Das Kunsthandwerk hat in den Industrieländern wieder generell an Beachtung und Wertschätzung gewonnen. Der Wunsch, einer sinnvollen und sinnlichen Arbeit nachzugehen, hat zugenommen. Das kommt auch der Tessanda zugute.
Produkte mit Finessen
In der Tesssanda entstehen weiche Cashmere- und luftig-grosse Merinoschals, seidene Foulards und feinste Leinen-Gläsertücher, edle Tischsets mit den passenden Servietten und robuste Teppiche nach Mass aus Schweizer Wolle. Allesamt zeitgemässe und zeitlose Schöpfungen in stilvollen Designs. Produkte mit Finessen, gepflegten Details und in auserlesenen Farben. Keine Spur von Rückständigkeit, keine aus der Zeit gefallenen Artikel oder verstaubte, altertümliche Gewebe sind im Tessanda-Laden zu finden.
Es werden ausschliesslich Naturgarne verarbeitet, die Qualität ist hochwertig und die Herstellung äusserst zeitaufwändig. Das hat seinen Preis. Aber die Kundinnen und Kunden schätzen die sinnlichen Tessanda-Unikate und wissen, dass sie etwas ganz Besonderes kaufen und besitzen. Die Tessanda-Produkte lösen bei ihnen langanhaltende Glücksgefühle aus. Auch deshalb möchten sie sie nie mehr missen.
Die Manufactura Tessanda Val Müstair, gegründet 1928, ist ein professioneller Handwerksbetrieb. Er ist eine Stiftung mit dem Zweck, das Handweben als eigenständigen Beruf zu erhalten und zu fördern, junge Menschen auszubilden und so die Möglichkeit zu schaffen, das Handweben von Grund auf und in Übereinstimmung mit dem Schweizer Berufsreglement zu erlernen.
Im Sinne der Frauenförderung sorgt die Tessanda zudem dafür, dass allen Mitarbeiterinnen eine attraktive Arbeitsstelle geboten wird und sie einen Verdienst im Val Müstair haben.
In Kürze:
• Gründung 1928 in Sta. Maria V.M.
• Ein Handwerksbetrieb mit 19 festangestellten
Mitarbeitenden, davon zwei Lernende
• 26 traditionelle, teilweise über 100-jährige Webstühle
• 1996 Design Preis Schweiz für den Tessanda-Rauten-Teppich
• Gewinn des Prix Montagne Publikumspreises 2020
• 94 Jahre Weberfahrung und viel Herzblut
• Führungen durch die Webräume auf Reservation.
Stiftung Manufactura Tessanda Val Müstair
Plaz d’Ora 14,
CH - 7536
Sta. Maria V.M.
+41 81 858 51 26 Tessanda.ch,
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Tessanda
I telai in legno della tessitura a mano Tessanda, a Sta. Maria Val Müstair, sono in funzione da 94 anni. Hanno 70 o 100 anni, forse 120.
La tecnica della tessitura a mano e i telai non sono praticamente cambiati negli ultimi secoli. Le conoscenze possono essere apprese in Svizzera con un apprendistato riconosciuto di tre anni - Tessanda offre anche uno dei rari apprendistati ogni due anni.