Die Werkstätte für Menschen mit Behinderung bzw. Beeinträchtigung in Prad ist ein großzügiger Bau mit hellen Räumen auf drei Stockwerken. Für die 13 BetreuerInnen und 35 Klienten ist genügend Platz im Innern des Hauses und im Außenbereich. Im Untergeschoss ist eine große Tischlerei, im Erdgeschoss werden Dekorationsgegenstände, Teppiche und Textilwaren hergestellt, im oberen Stock ist die Malwerkstätte. Es werden Beschäftigungen ausgeführt, um die handwerklichen, kreativen, die kognitiven, sozialen und motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erhalten und zu fördern. Die Werkstätte ist eine Tageseinrichtung für Menschen mit geistiger und/ oder körperlicher Behinderung. Die Klienten leben in einem geschützten Raum, werden betreut und sind gut versorgt. Um der Routine des Alltags zu entfliehen, werden auch Aktionswochen wie die „kunterbunten Begegnungen“ durchgeführt, es gibt Theater, Musik und Tanz. Es gibt sogar eine eigene Werkstattband, die „Kraut und Ruabm Band“, welche zu besonderen Anlässen und auf den Märkten aufspielt. Die Behindertenwerkstätte in Prad war immer schon eine besondere Werkstätte, die neben der Alltagsroutine eigene Akzente gesetzt und außerordentliche Talente aufgespürt und gefördert hat. Georg Paulmichl, der kürzlich verstorbene Dichter und Maler der Prader Werkstätte, hat viele Bewunderer weit über die Landesgrenzen hinaus. Man hat nicht nur in den Räumen der Werkstätte die verschiedenen Tätigkeiten ausgeführt, sondern man ist ganz bewusst und gezielt aufgebrochen, um sich sichtbar zu machen und die eigenen Kreationen zu zeigen. Wen man nicht sieht, der wird vergessen, meint der langjährige Betreuer Dietmar Raffeiner. Die Gefahr, sich abschieben zu lassen und im geschützten Bereich zu verharren, ist sehr groß. In einem ausführlichen Gespräch mit dem neuen Strukturleiter Philipp Tappeiner und den beiden Betreuern Dietmar Raffeiner und Daniel Zwick wird über die Wichtigkeit der Routine, einem geregelten Tagesablauf gesprochen, die den Klienten Sicherheit geben und in ihr Alltagsleben Ruhe und Strukturierung bringen. Betont wurde aber auch, nicht nur die Defizite zu sehen, sondern auch nach den Potentialen, den Talenten, den besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu suchen und diese zu fördern.
Was die Menschen brauchen, um ihre Fähigkeiten zeigen zu können, ist Empathie, Stimulation und Begleitung.
Es geht darum, die Fähigkeiten der Menschen zu erkennen und deren Umsetzung zu fördern. Manchmal bedeutet das, in einem gemeinsamen Prozess Spuren freizulegen, Muster zu durchbrechen, damit Neues entstehen kann. Der Tischler und Betreuer Daniel Zwick erzählt von Franz, der lange Zeit immer dasselbe gemacht hat: Ecken in ein Holz schnitzen. Daniel Zwick hat angeregt, dass Franz plastische Arbeiten macht und Gesichter schnitzt. Erst bei diesen Arbeiten wurden die Phantasie und das Talent von Franz sichtbar. Die Christusfigur mit den markanten Händen ist eine seiner Arbeiten. Es ist eine originelle Arbeit mit ureigenen Ausdrucksformen, die man in der „Normalität“ nicht findet. Die Menschen in der Behindertenwerkstätte haben meistens keine Angst „Fehler“ zu machen, sie haben andere Herangehens- und Ausdrucksweisen und entwickeln so ganz persönliche und für Außenstehende ganz eigenartige Ideen. Was sie brauchen, um ihre Fähigkeiten zeigen zu können, ist Empathie, Stimulation und Begleitung. Es muss eine Spur gelegt werden, es braucht einen Anstoß, eine Anregung, damit sie selber experimentieren und ihr Potential ausspielen können. In der Ausführung bleiben sie manchmal stecken oder wissen nicht mehr weiter. Da braucht es Hilfestellungen, Ermutigung und Betreuung. Wenn ein neues Werk gelingt, kann das zu einer neuen Beziehung zwischen dem Betreuer und den Betreuten führen, zu einer Beziehung auf partnerschaftlicher Ebene. Nicht mehr die Behinderung und sein Defizit stehen im Mittelpunkt, sondern seine kreative Arbeit, sein freigelegtes Potential, seine Persönlichkeit.
Heinrich Zoderer