Mahr als ein Dutzend Bauprojekte hat die Architektin Christa Mair allein in Tschengls realisiert. Jeden Tag pendelt sie von Tschengls nach Nals zu ihrem Architekturbüro „PlanAr“. Ein Gespräch über Dorfentwicklung, Frauen in der Architektur und das Flair von alten Gebäuden.
Interview & Foto: Angelika Ploner
Vinschgerwind: Frau Mair, Sie sind eine junge Architektin, die sich mit Vorliebe alten Gebäuden widmet. Warum?
Christa Mair: Weil es sehr, sehr wichtig ist, Wurzeln zu haben. Es gibt nichts Schlimmeres, als den Menschen die Wurzeln zu nehmen. Mir geht es immer darum, dass ein Gebäude eine Geschichte hat. Ich habe ganz lange mit mir gekämpft: Wieso ich es nicht schaffe in einen Neubau Flair hineinzubringen. Warum hat ein Neubau nicht diese Aura? Es gibt auf dieser Welt eben Dinge, die nicht nur Material sind, sondern, die das Ganze umgeben. Das spürt man, wenn man in alte Räume hineingeht. In manchen fühlt man sich auf Anhieb wohl und in anderen überhaupt nicht. Mein größter Lehrmeister war ein Baum.
Vinschgerwind: Ein Baum?
Christa Mair: Den größten Baufehler, den ich zum Beispiel begangen habe, war ein Baum. Wir haben eine Kirche saniert und neben der Kirche ist eine Lärche gestanden, eine alte und schrumpelige Lärche, deren Äste sind über das Dach hineingehangen. Meine Entscheidung war diese über 200 Jahre alte Lärche zu fällen. Aber: Diese hat immer das Wasser von der Kirche abgezogen und seitdem haben wir Wasserschäden in der Kirche, die wir nicht in den Griff bekommen.
Das war meine größte Bausünde, die ich vollbracht habe und diese hat einen Wandel in meinem Denken ausgelöst. Man muss bestimmte Dinge dort lassen, wo sie hingehören. Das sind Lernprozesse, die weiß man nicht vornherein.
Vinschgerwind: Plan-Ar: kurz vorgestellt.
Christa Mair: Wir sind Sarner Ursprungs. Wenn du einmal groß bist, sagte mein Großvater, dann wirst du „a Planar“, sarnerisch für Planer. Daher stammt der Name unseres Architekturbüros.
Ebenso entstamme ich einer Pendlerfamilie. Die Wünschelrute war und ist ein Bestandteil in der Planung, aber wird nie thematisiert. Wir sind vier Frauen, vier Technikerinnen und einen männlichen Architekten haben wir auch noch im Team.
Vinschgerwind: Ist Tschengls ein gelungenes Beispiel wie man Altes und Neues, historisch gewachsenes und modernes verbinden kann?
Christa Mair: Die Verschiedenheit der Architektur macht Tschengls zu einem interessanten Dorf. 15 Bauten in einem kleinen Dorf wie Tschengls geplant zu haben, das ist schon toll und jedes Bauwerk lebt vom Bauherr, vom Ort und von mir, sage ich jetzt mal so. Drei Komponenten, die wichtig sind. Es war durchwegs spannend. Jedes Gebäude hat seine eigene Geschichte und das ist mir wichtig. Wir haben uns zum Interview auch nicht zufällig auf der Tschenglsburg getroffen, sondern weil der Karl ebenfalls nach dieser Philosophie, diesem Thema arbeitet und wir reden ja von Orts- und Dorfentwicklung und da muss man wissen, was ist im Ort wichtig und wohin soll die Reise gehen, was soll und darf man verbauen. Ich versuche mit jenen Materialien zu arbeiten, die vor Ort sind. Das ist mir sehr wichtig geworden im Laufe meiner Lernphase. Nicht nur in Tschengls. Für die Forststation in Moos zum Beispiel haben wir das ganze Holz in der Umgebung geschlägert, wir haben es dort getrocknet, und dort eingebaut. Wir bauen jetzt eine Hofstelle im Untervinschgau, zerfressen, die wir nicht erhalten können, dafür rekonstruieren wir aber den Weinkeller und bauen ihn mit Steinen, die dort sind, nach.
Vinschgerwind: Haben Frauen in der Männerdomäne Architektur einen schwierigen Stand?
Christa Mair: Sowohl als auch. Man hat es in einigen Positionen leicht. Aber ich glaube als Frau muss man viel kompetenter sein, denn die Gefahr übergangen zu werden, ist viel größer. Ich habe das Glück, dass mein Vater Maurer war, unsere sonntäglichen Ausflüge waren zuerst Baustellenbesichtigung und dann ging es auf den Berg. Und genau das ist heute noch mein Leben: Baustellen und Berg. Mein Vater war ein Stein- und Lehmmaurer, das heißt wir mussten früher Lehm und Kalk holen. Da war ich so ungeschickt, dass das immer meine Geschwister tun mussten. Auf meiner ersten Baustelle war mein Vater Vorarbeiter und er sagte mir, was ich zu tun habe und ich musste ihm sagen: Nein, das machen wir anders. Das war ein hartes Jahr.
Vinschgerwind: Worin unterschieden sich Bauten von Architektinnen und Architekten?
Christa Mair: Die Behaglichkeit ist mir immer ganz wichtig, und das ist es, glaube ich, was einen Mann von einer Frau unterscheidet.
Ich glaube, dass wir Frauen es schaffen, dass man in die Gebäude Wärme hineinbekommt. Ich traue mich zu wetten, dass man spürt, wenn man einen Raum oder ein Gebäude betritt, ob das ein Mann oder eine Frau geplant hat.
Vinschgerwind: Was realisieren Sie lieber: private oder öffentliche Bauten?
Christa Mair: Mir gefällt die Vielschichtigkeit. Von der Bürokratie her ist für private Bauherren zu bauen sicher einfacher, aber im öffentlichen Bau kann man sich mehr verwirklichen.
Vinschgerwind: Wie gehen Sie bei einem Bau vor?
Christa Mair: Ich frage meine Bauherren immer als Erstes was sie sich wünschen. Es gibt Architekten, die ziehen ihren Stil durch. Nur: Das kann es irgendwie nicht sein. Man baut an verschiedenen Orten und man baut für verschiedene Menschen, da kann das Ergebnis nicht immer das gleiche sein. Man muss sich als Architekt zurücknehmen. Denn dieser macht in einem Bauprojekt höchstenfalls 30 Prozent aus, Ort und Bauherr sind viel wichtiger. Ein Objekt ist dann gelungen, wenn ich es geschafft habe, beim Bauherren und beim Handwerker ein Feuer zu entfachen. Dann haben alle eine Freude und dann schafft man es auch gute Architektur zu machen.
Vinschgerwind: Sie pendeln zwischen Nals und Tschengls: Gibt es architektonische Unterschiede zwischen dem Vinschgau und dem Burggrafenamt?
Christa Mair: Ich muss sagen, ich arbeite in vielen Tälern. Ich mag das Arbeiten in den verschiedenen Tälern. Es spielt keine Rolle ob ich in Ulten, Passeier oder im Schlerngebiet arbeite. Jedes Tal hat seine Eigenart und je kleiner und entlegener das Dorf ist, umso spannender ist das Arbeiten mit den Menschen. Jedes Tal hat seine Charaktere und seine Architektur.
Vinschgerwind: Sie haben keine Homepage, kein Logo...
Christa Mair: Von mir findet man nicht viel. Mich hat immer Mundwerbung weitergebracht bei meiner Arbeit, so weiß ich, die Leute, die zu mir kommen, kommen auch zu mir und nicht weil sie irgendwo meinen Namen gesehen haben. Es kommen genau jene Leute, die hinter meiner Arbeit stehen und diese zu schätzen wissen.
Vinschgerwind: Die Architektur Ihres Zuhauses: Wie sieht diese aus?
Christa Mair: Ich habe das Holz in Mölten, von wo ich stamme, mit meinem Vater ausgesucht und wir haben den Holzboden, den Tisch und Einbaumöbel aus diesem Holz gemacht. Wir sind mitten im Dorf, unser Zuhause ist ein modernes Haus, eines meiner ersten Bauwerke, mit verschiedenen Ausgangspunkten. Es ist schon ein moderner Bau, aber wenn man das Gebäude von weiter weg sieht, dann fällt der Bau nicht als solcher auf. Viel Holz, warme Materialien, Luft und Höhe zeichnen unser Zuhause aus, ein Raum geht zum Beispiel über zwei Stockwerke, weil ich ein freiheitsliebender Mensch bin.
Vinschgerwind: Ihre Lieblingsmaterialien?
Christa Mair: Stahl, Holz, Stein sind meine Lieblingsmaterialien.
Vinschgerwind: Arbeiten Sie zum Beispiel mit Marmor?
Christa Mair: Ja. Wir machen ja derzeit das Museum in Teis oben. Und da haben wir kleine Marmorsteine genommen für den Boden. Da wird ein Terrazzoboden gemacht mit Marmor und Teiser Kugeln. Das sind ganz spezielle, violette Steine. Marmor ist die Basis für den Terrazzoboden, Marmorsand und die Teiser Kugeln haben wie einfach eingestreut. Und da kommen wir wieder zum Anfang zurück: Mir ist eines ganz, ganz wichtig, dass wir irgendetwas haben, das von diesem Ort ist. Damit man diese Wurzeln weitergeben kann.
Vinschgerwind: Wie wird sich die Architektur durch Corona verändern? Oder wird Corona überhaupt die Architektur verändern.
Christa Mair: Nein, weil der Mensch nicht lernt.