„Di Muatr hot miar verschenkt“, beginnt er zu erzählen, angespannt schluckt er dabei und ist für einen Augenblick den Tränen nah. „Si isch a Meranerin gweesn, fa main Votr woas i goor nichts“, erklärt er. Seppl stand von Geburt an auf der Schattenseite des Lebens. Im Kleinkindalter kam er zu seiner Ziehmutter Anna nach Völlan, die ihn nach ihrer Hochzeit mit Anton Habicher ins Oberland mitnahm. Dort wuchs Seppl zusammen mit zwei Geschwistern, ebenfalls Ziehkinder, in bescheidenen Verhältnissen auf. Er war gezeichnet von der Kinderlähmung, begleitet von Sprachstörungen und nächtlichen Anfällen. „Bis i zwölf Johr olt gewesn bin, hon i jede Nocht an Ounfoll kett“, sagt er. Seine Ziehmutter schlief neben ihm und umsorgte ihn. Seppl kam lange nicht auf die Beine. In einem hölzernen Ziehwagen brachte ihn die Mutter in die Schule. Seppl war verschüchtert und zitterte. „I bin nit instond gwesn z schreibm“, erinnert er sich. Er stand im Abseits und lernte weder lesen noch schreiben. Laufend hänselten ihn Mitschüler. Sein Bruder versuchte ihn zu schützen, was allerdings nicht immer gelang. Als Seppl acht Jahre alt war, traf er seine leibliche Mutter. Für Seppl war die Frau am Bahnhof in Meran eine Fremde, die ihn nicht in die Arme nahm. „A traurigs Treffn, s erscht unt s lescht“, meint er.
Im Alter von zwölf Jahren schaffte er es endlich, sich eigenständig fortzubewegen und auch die Anfälle blieben aus. „Di Muatr hot miar fa Kopf bis Fuaß olla Tog mit Schnops inngriebm, sell hot gholfn.“ Zu neuen Kräften gekommen, versuchte sich Seppl bei der täglichen Arbeit einzubringen, so gut er konnte. Er half beim Holzsammeln und beim Hüten. Oft begleitete er seine Mutter, wenn sie selbstgefertigte Papierblumen aus Krepppapier gegen Lebensmittel eintauschte. Die Beschäftigung beim Dorfmetzger gefiel ihm gut. „I hon meischtns Darm putzt“, sagt er. Er wollte fleißig sein, sich gleich schnell bewegen wie andere, doch er stolperte oft. Eine Unglücksserie begann. Ein pickelharter Schneeball traf sein rechtes Auge und er verlor dort die Sehkraft. Kurz darauf geriet er mit der rechten Hand in eine Kreissäge und büßte einen Finger ein. Schlimm erwischte ihn 1982 ein herabstürzender Balkon. Es folgte ein langer Krankenhausaufenthalt in Brixen. „Oan Summer pin i an di Gwichter ghongan“, erinnert er sich. Besuch erhielt er vom Brixner Dekan Eduard Habicher, einem gebürtigen Oberländer. Nach seiner Entlassung kam er ins Altenheim nach Mals, wo inzwischen auch seine Zieheltern lebten. Das Malser „Spital“ wurde sein Zuhause. Er verstand sich gut mit den Klosterfrauen „Cerina“ und „Modesta“, und mit dem Malser Dekan Johann Pamer, bei dem er oft im Widum zu Gast war. Seppl war betrübt, als dieser versetzt wurde. Über das neue Martinsheim freut er sich. „Es isch do viel Plotz unt olz schean“, erklärt er. Trotz Krankheiten, Unfällen und Hänseleien hat Seppl seinen Humor nie verloren. Gut gelaunt und oft in spitzbübischer Art heitert er Mitbewohner und Pflegekräfte auf. „Miar geat´s do guat unt do bleib i“, betont er. Er hilft im Garten, schiebt Rollstuhlfahrer in den Speisesaal, ist ein eifriger Teilnehmer in den Freizeitgruppen und aufmerksamer Zuhörer, wenn vorgelesen wird. Eine besondere Lesestunde wird es für ihn sein, wenn man ihm seine Lebensgeschichte vorliest.
Magdalena Dietl Sapelza
Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau