Dienstag, 10 Januar 2017 12:00

„Die Landwirtschaft muss sich in Richtung Nachhaltigkeit entwickeln“

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s10 Karl DietlVinschgerwind - Interview

Vinschgerwind:  Sie sind Vollerwerbsbauer, haben in ihrem Leben viele Entwicklungen und Veränderungen durchgemacht. Was hat sich in den letzten Jahrzehnten alles geändert?
Karl Dietl: Am Anfang waren wir noch mehr oder weniger Selbstversorger.

Mein Vater ist gestorben als ich acht Jahre alt war und mit 14 Jahren habe ich zusammen mit der Mutter und den Geschwistern den Hof bewirtschaftet. Wir hatten damals einen Viehbetrieb mit ein wenig Obst- und Marillenanbau. Die Milchwirtschaft haben wir aufgegeben und angefangen Kälber für die Mast aufzuziehen. Das hat gut funktioniert. Später habe ich einiges im Gemüsebau ausprobiert. Wir haben Blumenkohl angebaut, immer mit dem Hintergedanken langsam auf Obstbau umzustellen. Später habe ich einen ha Essiggurken gesetzt. Das war viel Arbeit, hat aber nichts gebracht. Es war für mich ein Schlüsselerlebnis und hat mich wieder auf den Boden der Realität zurückgeholt. Bis 1977 war dann der ganze Betrieb auf Obstbau umgestellt.

Vinschgerwind: Sie waren 38 Jahre im Verwaltungsrat der Obstgenossenschaft GEOS, davon 23 Jahre als Obmann. Was hat sich bei der GEOS verändert?
Dietl: Die GEOS hat auch eine interessante Geschichte durchgemacht und sich gewaltig entwickelt. Es gab am Anfang Spannungen zwischen Kortsch und Schlanders. Es gab sogar Diskussionen, die Genossenschaft zu teilen weil sie so groß war. Die GEOS war damals die größte Genossenschaft und weil wir so stark gewachsen sind, musste viel investiert werden. Meine erste Amtshandlung 1993 als neuer Obmann war, diese Diskussion über eine mögliche Teilung zu beenden. Wir haben uns dann neu organisiert, eine Betriebsanalyse gemacht und den Betrieb neu aufgestellt. Als Genossenschaft haben wir die Anlagen ausgebaut und technisch angepasst, um den neuen Anforderungen zu genügen, so dass ein moderner Betrieb entstanden ist. Eine wichtige Weiterentwicklung der Obstgenossenschaft war die Gründung der VI.P als Dachorganisation der Vinschger Obstgenossenschaften. Eine Gesamtstrategie mit gemeinsamen Auftritten auf Märkten und beim Verkauf konnte so umgesetzt werden.

Vinschgerwind: Sie waren neben der GEOS auch beim Raiffeisenverband tätig. Welche Bedeutung haben die verschiedenen Genossenschaften für die Landwirtschaft?
Dietl: Das Genossenschaftssystem ist für die Landwirtschaft nicht nur das Fundament, sondern der Rohbau. Wir sind im internationalen Vergleich nur Minibetriebe. Die Lagerung und Vermarktung könnte ein einzelner Bauer nie machen. Die Genossenschaft ist für uns die Lebensgrundlage und es ist ein Glück, dass es in Südtirol so gut funktioniert. Aber nicht nur die Obstgenossenschaft ist wichtig, sondern das gesamte Netzwerk der bäuerlichen Organisationen. Dieses gesamte System ist einmalig in Südtirol und wurde auch von der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) gewürdigt.

Vinschgerwind: Während die Obstwirtschaft in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen hat, hat die Berglandwirtschaft an Bedeutung verloren. Wie kann die Berglandwirtschaft unterstützt werden?
Dietl: Grundsätzlich müssen wir als Landwirtschaft zusammenschauen und zusammenstehen. Wir wissen, dass die Berglandwirtschaft heute große Probleme hat und deshalb besonders gefördert werden muss. Die Obstwirtschaft zeigt sich solidarisch mit der Berglandwirtschaft und hat fast zur Gänze auf die Landesförderungen verzichtet.   

Vinschgerwind: Früher waren der Lebensalltag und auch die Politik stark von der Landwirtschaft geprägt. Die Anzahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten nimmt ab. Durch aufwendige Imagekampanien will der Bauernbund die Landwirtschaft auch der nicht bäuerlichen Bevölkerung näher bringen. Wo steht die Landwirtschaft heute?
Dietl: Die Gesellschaft hat sich verändert, auch in unserem Land. Wir waren ein typisches Bauernland. Die Bauern hatten früher großen politischen Einfluss. Heute wird die Landwirtschaft kritisch betrachtet. Wir müssen uns auch der Gesellschaft anpassen, aber die Landwirtschaft verdient sich auch die Anerkennung. Das Landschaftsbild wird vor allem von der Landwirtschaft geprägt. Auch für das wirtschaftliche Aufkommen in der Peripherie spielt die Landwirtschaft eine wichtige Rolle. Wenn die Landwirtschaft nicht funktioniert, bekommen andere Berufssparten Probleme.

Vinschgerwind: Die zunehmenden Monokulturen haben das Landschaftsbild verändert. Die Diskussionen um den Einsatz von Pestiziden werfen Fragen nach der Gesundheit der landwirtschaftlichen Produkte auf. Wie gehen die Bauern mit diesen Themen um?
Dietl: Wir wissen, dass diese Themen von der Gesellschaft sehr kritisch betrachtet werden. Wir produzieren in einem schmalen Talboden und haben kleine Betriebe. Jeder muss schauen, die Flächen so gut wie möglich auszunützen. Von den Bauern und der VI.P wurden Aktionen zur Steigerung der Biodiversität innerhalb der Obstanlagen durchgeführt, z.B. die Aktion Sonnenblumen. Viel gewonnen werden kann in diesem Sinne durch Einsaaten von Blumen und Kräuter als Nährboden für Nützlinge. Wir wollen weg von der Chemie und hin zur stärkeren Ökologisierung. Die großen Diskussionen sind die Nachhaltigkeit und die Pestizide. Die integrierte Produktion war ein riesiger Erfolg. Es entstand der Beratungsring, die Nützlinge wurden verstärkt miteinbezogen, so dass es zu einer starken Reduzierung der Spritzungen gegen Schädlinge kam. Der Besenwuchs hat uns zurückgeworfen. Mittlerweile müssen wir feststellen, auch durch das was in Mals passiert ist, dass wir uns verändern müssen. Die integrierte Produktion ist ins Stocken geraten. Wir müssen neue Schwerpunkte setzen. Im Bereich der Nachhaltigkeit müssen wir uns ganz anders entwickeln. Die ganze Pestizidthematik hat mit der Abdrift angefangen. Die Abdrift ist ein Problem. Die Ausbringungstechnik ist nicht mehr zeitgemäß. Die Sprühgeräte müssen so gebaut werden, dass der Sprühnebel dort aufhört, wo der Baum aufhört, vertikal und horizontal. Mit modernen Geräten funktioniert das. Der zweite Schritt betrifft die Pflege der Baumstreifen und der Verzicht auf Herbizide. Die Bioproduzenten haben aufgezeigt, dass man mit mechanischen Lösungen das machen kann und es gibt heute schon viele IP Bauern, die ohne Glyphosat auskommen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Entwicklung von naturnahen Pflanzenschutzmitteln. In diesem Bereich muss noch viel mehr geforscht werden. Aber um zu einer nachhaltigen Entwicklung in der Landwirtschaft zu kommen, braucht es eine Gesamtstrategie. Der Boden, die Düngung und die Bewässerung müssen mitberücksichtigt werden. Es braucht auch ein Bienenmonitoring.

Vinschgerwind: In Schlanders haben viele Obstbauern auf Bio umgestellt. Soll der Obervinschgau oder der ganze Vinschgau zu einer Bioregion ohne Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel werden?
Dietl: Nur Bio ist nicht der richtige Weg, denn es gibt nicht nur schwarz und weiß. Die zukünftige Entwicklung muss so weiter gehen, dass in 10 Jahren beide zusammen kommen, der biologische Weg und der integrierte Anbau. Beide sollen sich weiterentwickeln und voneinander lernen. Das muss das Ziel sein. Heute gibt es noch eine große Nachfrage nach Bioprodukten. Aber nur wegen dem höheren Preis auf Bio umstellen, das ist bedenklich. Durch die Klimaerwärmung kommen viele neue Probleme auf uns zu. Die biologische Bewirtschaftung ist ein großes Risiko, weil neu auftretende Probleme die Existenzsicherung gefährden können. Wir müssen so weit wie möglich ökologisch produzieren, aber wenn es sein muss, muss man auch chemisch-synthetische Mittel einsetzen können. Mittel- und langfristig muss das mit natürlichen Mitteln möglich sein. Der Trend geht ganz klar in diese Richtung, nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa. Der Direktor der VI.P hat dies auch bei der Obstbautagung im Vinschgau in seinem Referat aufgezeigt.   

Interview: Heinrich Zoderer

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