Dienstag, 04 Oktober 2016 09:26

„Schneidige“ Heilige

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Notburga museum votivbild freigestelltDie heilige Notburga wurde um 1265 im Unterinner Rattenberg geboren; sie war also Tirolerin. Als frommes Mädchen verbrachte sie ihr Leben in fremden Diensten und weil sie so tüchtig war, wurde ihr erlaubt, Armen und Kranken zu helfen. Das änderte sich aber nach dem Tod der freigebigen Herrin.

Also trat sie in Dienst bei einem Bauern, der ihr versprechen musste, am Vorabend eines jeden Sonn- und Feiertages beim Gebetläuten die Arbeit niederlegen zu dürfen, um sich durch Beichte und Gebet auf den Empfang der Kommunion vorbereiten zu können. Als sie aber entgegen der Abmachung zum Weiterarbeiten gezwungen wurde, warf sie die Sichel gegen den Himmel; zum Staunen aller blieb die Sichel wie aufgehängt in der Luft schweben. Von nun an wagte der Bauer nicht mehr, seine fromme Magd von der Arbeit abzuhalten.
Die heilige Notburga ist eine wichtige Nothelferin, in heutiger Sprache ausgedrückt eine frühe Gewerkschafterin, die sich für die Rechte der Mägde einsetzte. Deswegen wurden ihr im ganzen Land zahllose Bildstöcke gewidmet, gemalt oder geschnitzt. Ein Glasfenster unserer Zeit stammt vom Vinschgauer Künstler Robert Scherer; es leuchtet an der Nordseite der Pfarrkirche von Schluderns. Mit schwebender Sichel, eine Spende der Grafenfamilie Trapp.
Bei dieser Gelegenheit soll auf die kürzlich auf der Brunnenburg vorgestellte Darstellung der „Schneid“ verwiesen werden - ein Buch mit Beiträgen, in denen die Kulturgeschichte der Schärfe und des Schärfens im historischen Tirol abgewickelt wird. Herausgeber dieses umfangreichen Werkes mit zahlreichen Fachbeiträgen ist Andreas Rauchegger. Diese sehr umfangreiche Arbeit erschien als Nr.17 in der Reihe der Schriften des Landwirtschaftsmuseums Brunnenburg.
Diese Sammlung mit dem Titel „Schneid“ wurde auch von der ARUNDA übernommen und wird demnächst den Abonnenten ausgeliefert. Siegfried de Rachewiltz hat bereits frühere ARUNDA -Themen behandelt, z.B. Brot und Kastanien im Südlichen Tirol. Die sichelführende Heilige wird im Buch über die Schneid gebührend gewürdigt. Tirol hat wie kaum eine andere Gegend Europas eine auffallend große Vielfalt an Arbeitsgeräten hervorgebracht, denen es immer wieder um die Schneid geht und die fast wertlos sind, wenn die Schärfe fehlt.
Berge sind Wetzsteine. Geschärfte Grate zwingen zum Weglassen. Im mühevollen Aufstieg wird Überflüssiges weggescheuert. Die Wanderung wird zum Lebensweg. Der Geist beginnt zu sprühen. Schneid bedeutet „Mut“ und „Tatkraft“, wird aber auch im Sinne von Schärfe eines Messers oder einer Sense gebraucht.
Schneid Titel hintenZuerst ein sprachliches Wetzen: Sagt man „die“ oder „der“ Schneid? Der Duden gibt darüber Auskunft: In nördlichen Gegenden heißt es „der“ Schneid, im süddeutschen und österreichischen Sprachgebiet ist die Schneid weiblich… und dabei bleiben wir.
Die Nutzbarmachung der steilwandigen Täler wurde überhaupt erst durch scharfe Sensen und Sicheln ermöglicht; sie waren technische Voraussetzung jeglicher Bergbauernwirtschaft. Für den Transport der scharfen Sensen dienten kunstvoll verzierte Holzscheiden; das Bozner Museum besitzt besonders schöne Beispiele. Der arbeitende Mensch wurde aber auch zu allerhand Redewendungen und lebensphilosophischen Betrachtungen angeregt. Nicht nur die Sense hat Schärfe, auch der zwischenmenschliche Dialog wirkt besser geschärft oder bleibt stumpf. Es gibt also kaum ein Gebiet, das nicht in irgendeiner Weise mit „Schneid“ zu tun hätte oder wo Schärfe eine Rolle spielt. Im Laufe eines Gespräches wurde die Frage gestellt, was wohl das kleinste Gerät im Bereich unseres Haushaltes wäre? Es ist die Nadel, die Nähnadel, die auch nur funktioniert, wenn sie gut gespitzt, also scharf ist.
Was die Heiligen betrifft, hat sich der Künstler Reiner Schiestl die Mühe gemacht, die zahllosen Legenden erzählerisch zu schärfen, durch Weglassen oder Ergänzen, jedenfalls durch ein ziemlich phantasievolles Weiterentwickeln der überlieferten Wunder: liebevoll kritisch, sogar humorvoll …was soll man auch über die schwebende Sichel sagen? Dabei wird in dem Buch der ARUNDA mit dem Titel „Heilige in Wort und Bild“ die Notburga gar nicht behandelt, wohl aber der Vinschgauer Heilige, der Florinus aus Matsch. Unter anderem hat er sein Heimattal vor den marodierenden Franzosen gerettet. „Während sich die Einwohner in die Kirche flüchteten, trat ihr Patron Florins heraus, sattelte einen prächtigen Apfelschimmel und sprengte auf die Franzosen zu. Wie der Blitz aus den Wolken stieß er auf sie hinab und hielt ihnen drohend seine bleiche Faust entgegen. Das hat die betrunkene Soldateska augenblicklich in die Flucht geschlagen.“
Reiner Schiestl geht über die bloße Erzählung hinaus und entdeckt eine theologisch- philosophische Besonderheit. Er beobachtet nämlich eine interessante Entwicklung im Bereich der Heiligkeit. Sie ist nicht nur Personen vorbehalten, sie kann sich auch auf Abstraktes beziehen, auf Begriffe etwa und so wundert es uns nicht, dass es auch einen „Heiligen Stuhl“ gibt oder die „Heilige Inquisition“.
Hans Wielander

Hl. Inquisition

kultur inquiNoch heute wird in großen Teilen der kirchlichen Hierarchie sehr bedauert, dass die ehrwürdige Institution der Inquisition in der Praxis aufgegeben wurde, gleich wie man in gewissen Lehrerkreisen der gsunden Watschn nachweint, für die man bis jetzt keinen wirklichen Ersatz gefunden hat. Das hohe Gericht der Inquisition war für die Disziplinierung eines bösartigen und widerspenstigen Volkes lange Zeit ein bewährtes Werkzeug gewesen. In der Stahlhelm-Fraktion des Klerus ist man noch heute der Überzeugung, dass es der Kirche weniger schlecht ginge, hätte man sich die Möglichkeit offen gelassen, Austrittswillige mit glühenden Zangen in die Schranken zu weisen oder säumige Zahler mit dem ersten Grad der Folter, dem Vorzeigen der Werkzeuge, zur Räson zu bringen.
Die Heiligkeit des Amtes ist aber weiterhin unbestritten geblieben, und man argumentiert durchaus korrekt, dass die Inquisition per se ja nur eine Befragung gewesen sei. Die Lösegelder derer, die sich von einer Sonderbehandlung befreien konnten (im Volksmund: das Hexengeld), seien außerdem zur Finanzierung friedlicher Projekte, etwa der Indianer-Mission, verwendet worden. Gelegentliche Massenmorde in diesem Zusammenhang seien eben als Kollateralschäden zu werten. Schließlich würden in den USA, unserer Vorzeige-Demokratie und Erfinderin des schönen Begriffs collateral damages, auch immer wieder Unschuldige exekutiert. Man hätte auch noch lange nicht alle Hexen, Epileptiker und andere Besessene erwischt und das männlich besetzte weite Feld der Hexenmeisterei hätte man überhaupt bis jetzt kaum bearbeitet. Ein braches Feld, das zu bestellen wäre. Vom legal erworbenen Raubgold hätte auch die Kunstgeschichte profitiert, deren Liebhaber von Kathedralen zu Klöstern eilen, um Statuen und Gemälde heiliger Vorbilder in ihrer vollen Pracht zu bewundern und die dortigen gift shops zu bevölkern, die, nebenbei bemerkt, gute Beispiele nachhaltigen Wirtschaftens wären. Es sei eine arge Schande, meint die traditionsreichste Fraktion der Geistlichkeit, dass das Gutmenschentum sich in der Kirche so verbreitet habe. Argumente über Argumente. Nun, obwohl der Schreiber dieser Zeilen selbst ein Verfechter der harten Linie ist, plädiere ich dafür, dass auch die andere Seite zu Wort käme. Ihre lächerlichen Vorurteile richten sich allerdings selbst: Sie reden von Demokratie und Menschenrechten, Humanität, christlichen Werten und religiösen Grundsätzen, Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung. Vor dem Hintergrund dieser dumpfen Gefühlsduseleien hebt sich der Strahlenkranz rund um die Hl. Inquisition leuchtend hell ab wie das ewige Licht oder der romantisch flackernde Widerschein eines in Permanenz glühenden Autodafés. Amen.
Attribute: Beißzange, aus Stacheldraht gewobene Unterwäsche, Küchenmesser
Epilog: In vergleichbarer Tendenz wie beim Hl. Schein (siehe S. 60) versuchte man unter der Franco-Regierung  in Spanien den Namen Inquisición als Vornamen zu etablieren. Man hatte ja immerhin schon Dolores, Angustias und Concepción. In wenigen abgelegenen Dörfern gibt es tatsächlich – wenn auch äußerst selten – noch Mädchen mit Namen wie Imaculada Inquisición Rosario Franco. Bei der jüngeren Generation ist der Name allerdings ebenso unbeliebt wie in Österreich Adolf.
Reiner Schiestl

Einladung Arunda.vierzigVorstellung der ARUNDA Publikation von Reiner Schiestl „Heilige, Legenden in Schrift und Bild“ und des Sammelbandes „Schneid“ aus der Reihe der Brunnenburger Schriften am 24. Oktober 2016 in der Bibliothek Schlandersburg und am 25. Oktober 2016 in der Stadtbibliothek von Meran.


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