Montag, 09 Mai 2016 09:26

„Ich war glücklich, in Sicherheit zu sein“

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s17 0666Als 14-Jährige kam Esca Zelihic 1992 mit den rund 350 bosnischen Kriegsflüchtlingen in den Vinschgau. Alles war ihr fremd, die Gegend, die Menschen, die Sprache. In das Schicksal der heutigen Flüchtlinge kann sie sich gut hinein fühlen.

von Magdalena Dietl Sapelza

Am frühen Morgen des 22. Mai 1992 halten die Flüchtlingsbusse an der Wackernell Kaserne in Mals. Schlaftrunken schreckt Esca auf.

Beim Anblick der bewaffneten Polizisten schreien die Menschen. Sie weint und klammert sich an der Mutter fest. Die Angst vor dem Krieg ist wieder da. Es droht Panik auszubrechen. Die Dolmetscherin hat alle Mühe, die traumatisierten und völlig übermüdeten Flüchtlinge zu beruhigen und sie zu überzeugen, dass sie in Sicherheit und die Polizisten ihre Beschützer sind. Zaghaft steigen die Businsassen aus. In der Mensa wartet ein Frühstück auf sie. Langsam schöpfen sie Vertrauen. Mitarbeiter der Caritas und Freiwillige kümmern sich um sie. Esca, ihre Mutter und die zwei jüngeren Geschwister beziehen ein Zimmer, legen sich auf die Militär-Stockbetten und ruhen sich aus.  „Ich war glücklich, in Sicherheit zu sein“, erinnert sie sich.
Mitten in der Nacht verließen Esca und ihre Familie mit wenigen Habseligkeiten das Heimatdorf Visoko, 30 Kilometer von Sarajewo entfernt. Sie flohen vor den Schüssen, die überall zu hören waren, vor den Granaten, die nahe der Garage einschlugen, in der sie sich versteckt hielten. Escas Vater hatte die Familie verlassen und ihr älterer Bruder kämpfte als Soldat. 500 Euro bezahlte die Mutter für die gefährliche Busfahrt durch feindliche Linien über Berg und Tal in Richtung Adria. Das Geld hatte sie von Verwandten geliehen. Die Angst plötzlich angegriffen und getötet zu werden fuhr ständig mit. In einer Turnhalle in Split kamen sie erstmals zur Ruhe. Monatelang waren sie dort mit vielen Frauen und Kindern einquartiert. Irgendwann konnten sie entscheiden, ob sie nach Amerika, nach Deutschland oder nach Italien gebracht werden möchten. Escas Mutter wählte Italien, wie viele andere, um der Heimat nahe zu sein. Ein Schiff brachte die Flüchtlinge nach Ancona, wo Busse warteten, die nach stundenlanger Fahrt in Mals erreichten. „Uns hat kein Mensch gesagt, wohin es geht“, erinnert sich Esca.
Die Flüchtlinge durften das Kasernen-Areal anfangs nicht verlassen. Später erhielten sie Passierscheine. Esca genoss die Stunden in der Freiheit. Schule besuchte sie keine, denn sie war nicht mehr schulpflichtig. Mit Hilfe eines Italienisch-Wörterbuches schlug sie sich sprachlich durch. „Nach einem Jahr habe ich ein bisschen Italienisch gesprochen“, erklärt sie. Als sie 15 Jahre alt war, verdiente sie in einem Obstmagazin ihr erstes Geld. Sie liebäugelte mit einem Job als Kellnerin. Doch ihre dürftigen Sprachkenntnisse ließen das nicht zu. Die Arbeit im Obstmagazin wechselte sie mit dem Äpfel-Klauben ab. Schließlich bekam sie in Glurns eine Stelle als Kellnerin. „Der Luis vom Steinbock und seine Frau Liesl haben mir die Chance gegeben und mir auch sonst viel geholfen“, betont sie. Kontaktfreudig nutzte Esca die Begegnungen, um den Vinschger Dialekt zu lernen. Als hübsche, tüchtige und schon bald sprachgewandte Frau standen ihr mehrere Türen offen. In einer Pizzeria verliebte sie sich in den Chef und träumte von einer glücklichen Familie. 1999 brachte sie ihren Sohn Samuel auf die Welt. Die Freude über das Wunschkind war groß. Doch in der Beziehung ging Esca schon bald durch ein Tal der Tränen. 16 Jahre hielt sie durch, ihrem Sohn zuliebe. Dann zog sie aus. „Ich stand ohne nichts da und musste bei null beginnen“, sagt sie. Eine Arbeit im Gastgewerbe im Oberland eröffnete ihr eine neue Perspektive. Kurz darauf lernte sie ihren Fancesco kennen. „Er ist der Mensch, den ich mir immer erträumt habe“, schwärmt sie. Die kleine Giulia krönte 2013 das Glück. Der Vinschgau ist für Esca Heimat geworden. Seit kurzem hat sie neben der bosnischen auch die italienische Staatsbürgerschaft. Auch ihr Bruder und ihre Schwester leben hier. Wie Esca besuchen diese die alte Heimat nur hie und da. Die Mutter pendelt hin und her, denn sie ist sehr stark mit ihren Wurzeln verbunden. Mit großer Dankbarkeit denkt Esca an jene Menschen, die ihr einst Schutz und Zuwendung geschenkt haben. Und sie betont:  „Das was die Caritas und die vielen Einheimischen für uns getan haben, werden wir ihnen nie vergessen.“

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