In einem Rundgespräch in der Freien Bozner Universität ging es um die Frage, ob es einen Vinschgauer Menschenschlag gibt, ob sich die Obervinschgauer durch besondere Eigenschaften auszeichnen würden. Sind diese Menschen mehr künstlerisch oder technisch begabt? Um bei diesem Endlosproblem einigen Halt zu gewinnen, habe ich vorgeschlagen, von prägenden Künstlerpersönlichkeiten auszugehen. Ihr Werk dient als ästhetische Messlatte, als Quelle für Obervinschger Weltanschauung.
Dabei kann Paul Flora mit den heiteren Zeichnungen als Erlöser bezeichnet werden, der mit seinen Einfällen bis in die Stuben hinein wirkt. Die Hausfrauen waren es satt, immerzu Heilige in ihren Hausgängen aufzuhängen.
Jetzt marschieren Musikanten mit klingendem Spiel oder Hochradfahrer mit Gauklern durch die Schlafzimmer. Oder magere Tiroler kämpfen gegen fassförmige Bayern ... das macht er besonders gern, den Wichtigtuern der Weltgeschichte, den Königen und Generälen, den im Pomp fast erstickenden Bischöfen, den eitlen Gattinnen ... denen läßt er die Luft aus. Oder der Paul beginnt mit spitzer Feder sein Heimatstädchen Glurns auf ein Hochhaus zu setzen, als Penthouse, als idyllische Insel mitten in der Riesenstadt. Links und rechts Abgründe, Häuserschluchten. Dort oben aber geht das Glurnser Leben weiter. Die Dämonen der Jugend sind immer gegenwärtig. Als Gespenster und Geister lauern sie überall ... Raben beobachten das menschliche Treiben. Was sich in ihren schwarzen Köpfen an Erkenntnis über das kuriose Wesen Mensch ansammelt, gestaltet und übersetzt der Paul mit kratzenden Strichen.
Die Kunst ist demokratisch geworden, volksnah und vor allem erschwinglich. Farbdrucke und Graphiken wirken aufklärend, erlösend. Der Maler Karl Plattner verwandelt Vinschgauer Dorfbilder ins Monumentale. Einfache Hütten und Städel fließen ineinander, vereinen Unvereinbares und machen aus kotigen Gassen vertraute Heimat. Tiere schauen uns verwundert ins Gesicht; es sind fremde Wesen. Die grellen Farben verbergen mit Mühe die Schwermut des weitgereisten Künstlers. Plattners Sichtweise hat Schule gemacht, sodaß er als Entdecker der Vinschgauer Landschaft gilt.
Karl Plattner, 1919 in Mals geboren, gestorben 1986 in Mailand, und Paul Flora, 1922 in Glurns geboren und 2009 in Innsbruck gestorben ... Was hat das alles mit Karl Grasser zu tun? Da ist einmal die altersmäßige Nähe dieser Künstler und ihre lebenslange Freundschaft. Plattner vermittelt mit seinen Bildern des Stadtmilieus die Verlorenheit des einsam gewordenen Menschen.
Flora verwandelt sich in einen Raben und betrachtet mit großer Verwunderung die aus allen Nähten platzende Menschenwelt ... eine Zeichnung trägt den Titel „Geplatzter König“. Karl Grasser kennt all diese Probleme, hat sie wiederholt thematisiert, betrachtet sie aber unter dem Gesichtspunkt der göttlichen Schöpfung, deren Herold er ist. Es ist der einfache Glaube, der Glaube an die Natur, an die Kraft des Bewahrens, der Glaube an die schützende Liebe der Frau.
Deshalb kommen die vielen Leute, um deinen Geburtstag zu feiern, lieber Karl!
Hans Wielander
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