Natur&Landschaft: Der Tourismus in Südtirol auf dem Prüfstand - Sonnen- und Schattenseiten

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Am Grödnerjoch:  Stoßstange an Stoßstange von privaten PKWs Am Grödnerjoch: Stoßstange an Stoßstange von privaten PKWs

Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Valentin, 14. Februar 2025

Gleich vorweg: Es ist nicht meine Absicht, eine Polemik zu entfachen. Was ich aber mit dem heutigen Beitrag versuchen möchte: Ein paar Fakten beizusteuern zu einer immer öfter aufkommenden Diskussion, ob unser Land Südtirol im Sektor Tourismus seine Obergrenze erreicht hat oder noch entwickelt werden soll. Schon diese erste Frage zwingt objektiverweise zur Differenzierung zwischen sogenannten „Tourismushochburgen“ und noch aufnahmefähigen und strukturschwachen Gebieten in unserem Land.
Außer Frage steht, dass der Tourismus in den letzten 50 Jahren so wie auch die Intensivierung in der Landwirtschaft Wohlstand in unser Land gebracht hat. Der Anteil des Sektors Beherbergung und Gastronomie an der gesamten Bruttowertschöpfung Süd-
tirols betrug im Jahr 2023 11 %.
Der Tourismus ist Segen und Fluch zugleich. Oder, um Josef Rohrer, den Journalisten und Mitgestalter des Drehbuches für das „Touriseum“ als Landestourismus-Museum in Schloss Trauttmansdorff, zu zitieren: „Tourismus ist wie Feuer. Du kannst damit deine Suppe kochen, aber auch dein Haus abbrennen.“

Südtirol ist jene Region der Zentralalpen, welche touristisch am stärksten genutzt ist.
Südtirol ist u.a. wegen seiner Landschaft und seines Klimas begehrt. Die Jahressumme der Sonnenscheinstunden beträgt in München 1.777 Stunden, in Bozen 2.935. Zum weiteren Vergleich: Im Jahr 2011 betrug die Sonnenscheindauer über das ganze Jahr in Schlanders 2.159 Stunden, in Naturns 2.036 und in Eyrs 2.065. In den letzten fünf Jahrzehnten hat sich Südtirol zu jener Region der Zentralalpen entwickelt, die zusammen mit dem Bundesland Tirol am stärksten touristisch genutzt wird. Im Jahr 2022 hatte Südtirol eine Wohnbevölkerung von 533.000 Menschen und eine „touristische“ Bettenanzahl von 152.936 in den gastgewerblichen Betrieben ohne die Angebote von Privatzimmervermietern und von „Urlaub auf dem Bauernhof“. Der Index der Beherbergungsdichte war mit 20,7 der höchste im Alpenraum. Als Beherbergungsdichte ist die Bettenanzahl pro Quadratkilometer Fläche definiert. Also: 152.936 Betten geteilt durch die Südtiroler Landesfläche von 7.400 km² ergibt 20,7. Zum Vergleich: Die Beherbergungsdichte in Tirol beträgt 16,6, in Salzburg 19,4, im Trentino 14,7, in Sondrio 5,7, in Belluno 5,0, in Graubünden 5,6, in Bayern 8,5.
Auch in der Tourismusintensität liegt Südtirol über dem zentralalpinen Durchschnitt. Die Tourismusintensität betrug 2022/23 in Südtirol 18,5. Als Tourismusintensität ist die Anzahl der Gästenächtigungen pro 100 Einwohner definiert. Index 18,5 bedeutet also, dass auf 100 Einwohner 18,5 Übernachtungen von Gästen gezählt werden. Im tourismusintensivsten Monat August erreicht die Tourismusintensität südtirolweit 35,3, im Pustertal gar 71,3.

Herkunftsländer und Anreise
Drei Viertel aller Südtirol-Urlauber stammen aus nur zwei Ländern: 43% aus Deutschland und 32,1% aus Italien (ASTAT- Info 19/2024). Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Urlaubsgäste in Südtirol beträgt 4,3 Tage im Vergleich zu den 3,5 Tagen in den Zentralalpen. In anderen Beherbergungsangeboten in Südtirol beträgt die Aufenthaltsdauer: Urlaub auf dem Bauernhof 6,3 DSC 4537Tage, „Residence“ 5,8 Tage, in Privatzimmern 5,2 Tage. Bei der Bettenauslastung hat Südtirol im Jahr 2023 einen Prozentsatz von 40,8 % erreicht.
Die Gesamtzahl der touristischen Anreisen nach Südtirol betrug 2023 8.440.000, die Gesamtzahl der touristischen Übernachtungen 36 Millionen. Zum Vergleich: Gesamte Schweiz, eine Top-Destination auf globaler Ebene: 58 Millionen Übernachtungen.
85,5 % der Südtirol-Urlauber reisen mit dem eigenen PKW oder Motorrad an. Aus einer Befragung der Universität Bozen (2023) zu den Reisegewohnheiten in Italien und in Deutschland ist bekannt, dass die italienischen Gäste zu 84 % mit dem eigenen Auto, zu 7,2 % mit der Eisenbahn und zu 3,8 % mit dem Flugzeug anreisen. Von den deutschen Urlaubsgästen kommen 78 % mit dem eigenen PKW, 7,7 % mit der Bahn und 3,9 % mit dem Flugzeug.

Die systemische Gesamtbelastung
Rechnet man die 36 Millionen touristische Nächtigungen in Einwohner-Äquivalente um, erhöht sich die Anzahl der wohnansässigen Bevölkerung Südtirols von 535.000 (2023) im Jahresdurchschnitt um 107.463 Bewohner auf 642.000. Diese Steigerung der Bevölkerung ist nicht unwesentlich, entspricht sie doch in etwa der Einwohnerzahl der Stadt Bozen. In einer seriösen systemischen Gesamtbelastung, etwa hinsichtlich des Verkehrs, der Wasserversorgung, der Abwasser- und Abfallentsorgung, des Energieverbrauches und der Kohlenstoff-Emissionen muss dieser Mehrbelastung Rechnung getragen werden. Beim Wasserverbrauch beispielsweise wurde im Tourismus 2022 ein neuer Höchstwert von 7,9 Millionen Kubikmetern verzeichnet. Wohnansässige benötigen 241 Liter Trinkwasser pro Tag, Touristinnen und Touristen 448 l/Tg. Während die Urlauber für 36 Millionen Nächtigungen 16 Millionen m³ Trinkwasser pro Jahr verbrauchten, kommt die ansässige Wohnbevölkerung mit 40 Millionen m³ aus. Insgesamt ist Südtirols Tourismus quantitativ sehr weit entwickelt und ressourcenintensiv.

Arbeitskräftebedarf und Entlohnung
Laut Arbeitsmarktbericht Südtirol 2023/2 (Amt für Arbeitsmarktbeobachtung) waren von Oktober bis Mai 2023 37.178 Arbeitnehmende im Tourismus beschäftigt. Der Anteil der Beschäftigten im Gastgewerbe an der Gesamtzahl der Beschäftigten betrug 2022 14,2 %.
Im selben Jahr 2022 betrug die durchschnittliche Jahresbruttoentlohnung im Gastgewerbe 26.800 Euro, während diese im Durchschnitt aller Sektoren bei 31.100 Euro lag. Damit gehören die Löhne im Tourismus zu den niedrigsten Löhnen. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass das Gastgewerbe der Sektor mit dem höchsten Anteil an befristeten Arbeitsverhältnissen ist. 52 % der abhängig Beschäftigten im Tourismus stammen aus Südtirol, 48 % aus anderen Provinzen Italiens und aus dem Ausland.

Zweitwohnungskauf und Mietpreise
Von den 236.500 Wohnungen in Südtirol sind 14.000 Wohnungen Zweitwohnungen, die zu 24 % Südtirolern, zu 57 % italienischen Staatsbürgern aus anderen Regionen und zu 14% Bundedeutschen gehören. Die Gemeinden mit der höchsten Konzentration an Zweitwohnungen sind Welschnofen, Corvara, Hafling und Abtei. Die Kurzzeitvermietung von Wohnungen über die Plattform Airbnb ist auch in Südtirol stark angewachsen. Die Anzahl der buchbaren Angebote hat im Dezember 2022 erstmals 6.000 überschritten.
Der Südtiroler Immobilienmarkt zieht auch immer mehr auswärtige Investoren an, die in Wohn-Immobilien als Anlagekapital investieren. Dies hat Auswirkungen auf die Baukosten von Wohnungen und auf die Mieten von Mietwohnungen.
Die Maklervereinigung FIAIP (Federazione Italiana Agenti Immobiliari Professionali) hat für 2023 die Preise für die Wohnimmobilien in den 116 Südtiroler Gemeinden erhoben. In Bozen erreichen die Quadratmeterpreise im Zentrum bis zu 7.000 €. Am teuersten ist der Wohnraum in touristischen Gemeinden wie Gröden und Gadertal, wo die Verkaufspreise bis zu 15.000 €/m² erreichen. Aus den Angaben der FIAIP ergibt sich für Jänner 2025 für die 13 Gemeinden im Vinschgau ein Durchschnittswert von 3.097 Euro pro m² für den Kauf einer Wohnung.
Stichwort „Leerstand“ und „leistbares Wohnen“: Laut einer Erhebung des ISTAT von 2022 gelten in Südtirol 24,19 % der Wohnungen als unbewohnt oder so gut wie nicht benutzt.
Verfügbares Bauland ist knapp und somit wertvoll: Von Südtirols gesamter Landesfläche von 7.400 km² gelten nur 6 % als sicheres Bauland, 3 %, also die Hälfte sind allein schon nach dem Zweiten Weltkrieg verbaut worden.
Es gibt einen hohen Bedarf an Mietwohnungen zu erschwinglichen Mieten. Verschiedene soziale Gruppen tun sich schwer: Geringverdiener, Migrantinnen, Studierende etwa. Auch für den sogenannten Mittelstand bleibt der Traum vom Eigenheim immer häufiger ein Traum.
Auch bei gleichbleibender Bevölkerungsanzahl ist die Nachfrage nach Wohnungen besonders in den Ballungszentren mit ihrem Arbeitsplatzangebot immer noch steigend. Dies auch deshalb, weil die Haushalte immer kleiner werden. Während ein Haushalt im Jahr 1990 durchschnittlich noch 2,8 Personen umfasste, ist die Anzahl der Personen pro Haushalt im Jahr 2023 auf 2,3, in Bozen sogar auf 2,1 gesunken.
Das Südtiroler Landesgesetz Nr. 9 vom 10. Juli 2018 „Raum und Landschaft“ regelt den Umgang mit unserer Landschaft und unserem Siedlungsraum. Im Lichte der Entwicklung, dass immer häufiger ausländische Investoren auf dem Südtiroler Immobilienmarkt investieren und die Preise für den Wohnungskauf und die Wohnungsmiete anheizen, ist der Vorschlag von Leonhard Resch sinnstiftend, neue Bauvolumen für Wohnzwecke in Südtirol für Ansässige zu reservieren. Leonhard Resch ist seit 23 Jahren Referatsleiter für die Arche im KVW. Claudia Plaikner, die Vorsitzende des Heimatpflegeverbandes Südtirol, formuliert meines Erachtens zu Recht: „Tourismus in Maßen statt in Massen.“
s46 buchWer mehr zum Thema lesen will, dem sei das Buch „Heimat oder Destination Südtirol?“ empfohlen. Es ist vom Heimatpflegeverband Südtirol und von Politis herausgegeben worden und im Juli 2024 bei arcaedizioni, Eppan/Bozen erschienen.

 

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