Natur&Landschaft: Alte Sorten zurück in unsere Gärten - Kultur-Pflanzen-Vielfalt erhalten

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Die beiden Samen-Hüterinen Sabine Schrott-Prenn (li.)  aus Uttenhaim-Gais und Martha Lochmann aus Völlan bei ihrem Vortrag in Stilfs am  18. Jänner d.J. Die beiden Samen-Hüterinen Sabine Schrott-Prenn (li.) aus Uttenhaim-Gais und Martha Lochmann aus Völlan bei ihrem Vortrag in Stilfs am 18. Jänner d.J.

Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Blasius, 3. Februar 2025

Die Vielfalt der Kulturpflanzen erhalten ist eines der Ziele des Vereines Arche Südtirol EO. Am Samstag, 18. Jänner hielten Sabine Schrott-Prenn und Martha Lochmann dazu im Rahmen der Aktivitäten „Stilz“ einen interessanten und sehr praxisorientierten Vortrag. Verena Wopfner von der Steuerungsgruppe in Stilfs moderierte den Abend. Martha Lochmann ist Saatgut-Hüterin am Hof Bilderheim in Völlan. Sabine Schrott-Prenn ist Biobäuerin am Felderhof in Gais/Uttenheim und studierte Absolventin der Hochschule in Weihenstephan. Sie erhielt 2024 zusammen mit anderen fünf Frauen aus Asien, Afrika und Südamerika den „Internationalen Preis für die Kreativität der Landfrauen“. Martha und Sabine sind mit anderen 2-3 Frauen wesentliche Impulsgeberinnen der „Arche-Höfe“ in Südtirol, welche sich überzeugt, begeistert und begeisternd dem Erhalt von lokalen Sorten unter den Kulturpflanzen als Kulturgut verschrieben haben.

Warum heutzutage Saatgut vermehren?
Es gibt vier wesentliche Gründe, heute altes Saatgut zu erhalten und zu vermehren:
1. Saatgut ist Kulturgut
2. eigenes Saatgut bringt Unabhängigkeit
3. eigenes Saatgut ist klima- und standortangepasst
4. Saatgutvermehrung bringt und erhält Vielfalt

Heute verschwinden nicht nur Tier- und Pflanzenarten, sondern auch viele Sorten von Kulturpflanzen. 1920 gab es in Tirol noch 400 Getreidesorten. Heute täuscht das Angebot an exotischen Früchten und Gemüsen in den Regalen der Supermärkte über die Sortenverarmung hinweg. Zum Erhalt der Biodiversität gehören drei Ebenen: der Erhalt von Lebensräumen, der Erhalt von Arten und der Erhalt von Genen (eben in möglichst vielen Sorten z.B. von Kulturpflanzen).

1. Saatgut ist Kulturgut
Gerste, Weizen und Dinkel sind seit Jahrtausenden ununterbrochen im Anbau. Ötzi, der Mann vom Tisenjoch, hatte zwei Samen vom Einkorn bei sich. Kulturpflanzen spiegeln den Wunsch und das Interesse der Gesellschaft im Wechselspiel mit der Natur wider. Jede Kulturpflanze hat ihre Geschichte, die Vielfalt von Kulturpflanzen entsteht und verschwindet.

Alter der Kulturpflanzen:

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Erhalt in situ und ex situ
Lokale Sorten können „in situ“ und „ex situ“ erhalten werden. In situ bedeutet, die Sorte wird im Garten, auf dem Feld oder Acker immer wieder ausgesät und angebaut. Ex situ heißt, die Sorte wird in einer Genbank konserviert. Werden Kulturpflanzen in einer Genbank konserviert, so sind sie zwar als Genpool noch vorhanden, nicht jedoch als lebendiges Kulturgut, das klima- und standortangepasst ist. Beim Anbau im Feld erhält sich die Sorte einer Kulturpflanze in ihrem jeweiligen Ökosystem, in welchem sich die Pflanze als Sorte entwickelt hat, natürlich vorkommt und immer wieder an neue Umwelt- und Standortbedingungen anpasst. Deswegen ist der Anbau im Feld eines der großen Anliegen der Samen-Hüterinnen auf den Südtiroler Arche-Höfen: Sie tragen dazu bei, Saatgut als lebendiges Kulturgut zu erhalten. Die „Samen-Damen“ geben gerne und bereitwillig das Wissen weiter, wie einzelne Pflanzen vermehrt werden können. Lokale Sorten passen sich an die Gewohnheiten der Bäuerin/des Bauern an sowie an Boden und Klima. Sie haben sich im Laufe der Jahrtausende und Jahrhunderte auch durch spontane Mutationen verändert. Martha Lochmann hat während des Vortrages in Stilfs ausgeführt, dass es beispielsweise vom Schlaf-Mohn (Papaver somniferum) fast in jedem Südtiroler Tal eine eigene alte Sorte gibt.

2. Die Unabhängigkeit
Nicht umsonst existiert das Sprichwort „Wer die Saat hat, hat das Sagen!“ Der Saatgut-Produzent bestimmt die Zukunft. Im Jahr 1950 ist für Deutschland das erste Gesetz zum Schutz des Saatgutes erlassen worden. Es fußt auf dem Grundsatz, dass der Sortenschutz geistiges Eigentumsrecht ist. 1972 hat die Europäische Union das sog. Saatgutverkehrsrecht beschlossen: Ab diesem Datum darf nur Saatgut zugelassener Sorten verkauft werden. Für die Zulassung müssen die Sorten die sogenannten Dus-Kriterien erfüllen. Was ist Dus? Dus steht für drei Begriffe: distinct – unterscheidbar, uniform – einförmig, stable – stabil. Seit 2010 gibt es Ausnahmeregelungen für sogenannte „Erhaltungssorten“ bzw. „Amateursorten“. Diese Ausnahmen ermöglichen den Erhalt und die Weiterentwicklung lokaler Sorten, bedeuten damit Vielfalt und Unabhängigkeit von Monopolen. Liegt doch der globale Saatgutmarkt in der Hand von großen Konzernen.

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Die sieben größten Unternehmen haben über 60% des globalen Saatgutmarktes in der Hand. Nur vier (Bayer, Corteva, Syngenta und BASF) beherrschen mehr als 50%. Diese „Big Four“ kontrollieren auch fast zwei Drittel des weltweiten Pestizidmarktes.
(Quelle: ETC-Group 2020)

Industrielle Landwirtschaft führt zum Verlust von Biodiversität durch großflächige Monokulturen. Sie hat Auswirkungen auf die Ökosysteme, die menschliche Gesundheit und die kleinbäuerlichen Strukturen.

3. Angepasste Kulturpflanzen
Die ersten Pflanzenzüchterinnen begannen schon in den urzeitlichen Anfängen des Ackerbaues mit Kulturpflanzen durch einfache Auslese gewisse Eigenschaften zu fördern oder zu unterdrücken, so z.B. die Spindelbrüchigkeit von Getreide oder bei Hülsenfrüchten, dass die Hülsen nicht von alleine aufspringen. Zu Hilfe kamen den Samen-Bäuerinnen auch Spontanmutationen.
Anpassungskriterien waren und sind beim Erhalt lokaler Sorten:
• Ertrag
• Geschmack
• Wuchs
• Gesundheit
• Boden
• Klima (Kleinklima)

Was versteht man unter Resilienz?
Resilienz (vom lateinischen „resilere“ „zurückspringen“, „abprallen“) bedeutet Widerstandfähigkeit. In der menschlichen Psychologie ist die Resilienz die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und sie durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen als Anlass für Entwicklungen zu nutzen. (Quelle: Wikipedia.org).

4.Vielfalt
Vielfalt bei den Kulturpflanzen bedeutet u.a. auch Ernährungssicherheit (Risikoverteilung). Vielfalt bedeutet dann weiters:
• Freude
• Faszination
• Bereicherung
• Genugtuung
• Schönheit
Alte Sorten bieten einen vielfachen Mehrwert: unter dem Gesundheitsaspekt, als Geschmackserlebnis, die Unterstützung der Regionalität.
Die Vision von „Arche Südtirol“ EO
• Südtiroler Lokalsorten erhalten, essen und weitergeben.
• Südtiroler Kulturpflanzengeschichte leben und weitertragen auf unseren Äckern, Feldern und Tellern.
• Lehrfahrten, Saatgutnetzwerk und verschiedene Veranstaltungen. Vielfalt braucht Viele (Samen-Damen).

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