Natur & Landschaft: Die Mobilität der Zukunft in Südtirol - Umstiege und Ausstiege

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Der Vinschger Zug am Laaser Bahnhof unter dem historischen Marmorkran.  Der Vinschger Zug am Laaser Bahnhof unter dem historischen Marmorkran.

Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Ambrosius, 7. Dezember 2024

Im Vinschgau sind wir froh, dass die Vinschger Bahn von Meran nach Mals seit dem 5. Mai 2005 wieder verkehrt und dass die Bahnlinie derzeit elektrifiziert und damit zukunftsfähig gemacht wird.
In Zeiten als es noch wenige Privatautos gab, war am 1. Juli 1906 die Eisenbahnlinie Meran - Mals nach 15-jähriger Verhandlungs-, Planungs- und Bauzeit in Betrieb gegangen, als Südtirol noch Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie war. Am 9. Juni 1990 war der Betrieb der Vinschger Bahn als so genannter „dürrer Ast“ im Netz der italienischen Staatsbahnen dann eingestellt und das Eigentum in der Folge vom Staat an das Land Südtirol übertragen worden. Danach folgten zehn Jahre Überzeugungsarbeit der Bezirksgemeinschaft Vinschgau und verschiedener Interessensgruppen, auf dass die Südtiroler Landesregierung die notwendigen Sanierungsarbeiten in Auftrag gäbe und die Bahn wieder in Betrieb nähme. Gottlob ist in der Stehzeit – entgegen anderslautenden Vorschlägen wie etwa die Nutzung der Bahntrasse als Radweg – die Geleistrasse erhalten geblieben. Landeshauptmann Luis Durnwalder hat mit seiner Landesregierung die Bedeutung der Eisenbahn als zukunftstaugliches Verkehrsmittel für den öffentlichen Personen-Nahverkehr erkannt und die Sanierung und Wiederinbetriebnahme der Vinschger Bahnlinie befürwortet und unterstützt. Talschaften mit vormaligen Bahnlinien wie das Grödnertal oder das Überetsch wären heute froh, wenn die Geleistrasse ihrer vormaligen Bahnen nicht überbaut und heute noch verfügbar wären.

Nachhaltige Mobilität in Südtirol
Die beiden Techniker Markus Lobis und Philipp Kleewein stellen in ihrem Fachbeitrag „Mobil sein unter neuen Prämissen – Die Herausforderungen der Zeit (publiziert vom Herausgeber Thomas Benedikter in „Klimaland Südtirol? Regionale Wege zu konsequentem Klimaschutz“, arcaedizioni Lavis/Eppan 2022) fest, dass Südtirols Verkehrs- und Mobilitätsinfrastruktur vom Motorisierten Individualverkehr (MI) geprägt ist. Das private Automobil ist der bedeutendste Mobilitätsträger im so genannten „Modal Split“ der Mobilitätsformen. Dabei ergeben die Geomorphologie und die Nachbildung des Meilensteines an der römischen Via Claudia Augusta beim Hanswirt in RablandSiedlungsstruktur unseres Landes klar definierte Hauptachsen in den Tallagen. Es haben sich Ballungsräume herausgebildet. Rund 50 Prozent der Südtirolerinnen und Südtiroler leben und wohnen im Etschtal zwischen Meran, Bozen und Salurn. Rechnet man die Städte Brixen, Sterzing und Bruneck und deren näheres Umfeld dazu, leben rund zwei Drittel der Einwohner unseres Landes in diesen Räumen. Für die Mobilitätsplanung bedeutet dies, dass auch in diesen Bereichen die höchsten Effekte bei der Senkung klimarelevanter Emissionen von Treibhausgasen erreicht werden können. Markus Lobis und Philipp Kleewein beschreiben Südtirol als ein potentielles Fahrradland. Ihre Berechnungen haben ergeben, dass zwischen 60 und 70% der Südtirolerinnen und Südtiroler in einer sogenannten „Radgunstlage“ leben. Dies bedeute nach den beiden Autoren, dass die geomorphologischen, klimatischen und ortsräumlichen Verhältnisse die Nutzung des Rades nahezu ganzjährig zulassen.

Handlungsfelder und -empfehlungen für eine klimaverantwortbare Mobilität
Meines Erachtens sind wir in Südtirol in der Potenzierung des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs auf dem richtigen Weg, aber der Umstieg vom Privatauto auf die öffentlichen Verkehrsmittel muss noch beschleunigt werden.
Philipp Kleewein und Markus Lobis sehen in ihrem oben erwähnten Fachbeitrag folgende Handlungsfelder:
1. Schluss mit der Verkehrsplanung: Wer Verkehrsprobleme mit Verkehrsplanung lösen will, schafft neue Verkehrsprobleme. Vermeintliche Verbesserungen im System des Motorisierten Individualverkehrs führen nach Meinung der Autoren im besten Fall zu einer Verlagerung der Probleme. Die Planungsaufgabe der Zukunft besteht in einer integrierten Mobilitäts- und Raumplanung. Auch in Südtirol müsse ein ganzheitlicher Planungsansatz gesucht werden. Ein Start in diesen ganzheitlichen Ansatz wurde mit dem Landesgesetz Nr. 9/2018 „Raum und Landschaft“ gesetzt. Hoffentlich bleibt das Gesetz in seinem Kern erhalten. Derzeit kann beobachtet werden, wie die Ansprüche von Interessensgruppen mit jenen der Gesellschaft als solcher unter den geänderten Bedingungen und Erfordernissen (auch aus dem Klimawandel) kollidieren.
2. Mobilitätsplanung mit klaren Zielen: In Südtirol gibt es einen Landesmobilitätsplan. Nach Lobis und Kleewein bilde dieser lediglich die Planungen der Landesverwaltung im Bereich des Tartsch, Laatsch und ein Teil von MalsÖffentlichen Personen-Nahverkehres (ÖPNV) ab. Das ist nur eine Teilplanung. Eine integrierte Mobilitätsplanung müsse alle Mobilitätsmodalitäten miteinander vernetzen. Das Thema „Nachhaltigkeit“ finde im Finanzhaushalt des Landes Südtirol noch zu wenig Niederschlag: Entscheidungen über den Einsatz öffentlicher Finanzmittel im Bereich Mobilität sollten jene Investitionen bevorzugen, die konkrete Umstiegszahlen in Richtung Umweltverbund Zu-Fuß-Gehen, Radfahren, ÖPNV bewirken.
3. Raumordnerische Prinzipien: Die Qualität und die Ausstattung des Raumes sind von unterschiedlicher Bedeutung für die Wahl des Verkehrsmittels. Bei der Planung von Infrastrukturen sollten nicht nur hohe Standards für den Motorisierten Individualverkehr durchgesetzt werden, sondern auch die anderen Mobilitätsmodalitäten wie Zu-Fuß-Gehen und Radfahren berücksichtigt werden. Bei der Ausweisung und Weiterentwicklung von Wohngebieten und bei der Nutzung von Flächen im öffentlichen Raum sollten die Bebauungen hohe Durchlässigkeiten von Rad- und Fußwegen gewährleisten. Autofreie Wohngebiete werden inzwischen in ganz Europa errichtet und bieten hohe Wohnqualitäten. Die 23,5 Stunden am Tag herumstehenden Stehzeuge Autos müssen aus dem öffentlichen Raum entfernt werden. In Städten und Ortschaften sollte umgehend und im gesamten Gebiet Tempo 30 eingeführt werden. Schlagwort: Mensch vor Auto.
4. Bessere Anbindungen an den internationalen Schienenverkehr: Südtirol liegt im Herzen von Europa und zwischen gut ausgebauten Bahnnetzen, an die das Land nur ungenügend angeschlossen ist. Ein besserer Anschluss an das europäische Verkehrsnetz der Eisenbahnen ist sinnhaft. Im Rahmen der Mobilitätswende können gute Nachtzugverbindungen dem Tourismusland und Wirtschaftsstandort Südtirol Vorteile in seiner wirtschaftlichen Positionierung verschaffen. Zu den Strukturanforderungen zählt dabei auch die Gestaltung und Nutzungsfreundlichkeit der Bahnhofsareale und der Räume und Flächen für den Mobilitätswechsel. Die Zunahme der Nutzung von E-Bikes bedingt auch einen höheren Diebstahlschutz für Fahrräder.
5. Letzte Meile, Digitalisierung und Zusatzdienste: Die Bereitschaft zur Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nimmt ab, je höher die Umstiegsschwellen in Richtung ÖPNV empfunden werden und welches Verkehrsmittel für die sogenannte letzte Meile zwischen Wohnsitz und Mobilitätsziel eingesetzt werden kann. Lückenlose und zeitnahe Informationen verringern die Umstiegsschwelle, ebenso die Fahrplangestaltung und das Ticketsystem. Das Tarifsystem ist in Südtirol zweckmäßig ausgeprägt. Die Südtirol-Mobil-Card sollte auf möglichst viele Zusatzanwendungen ausgedehnt werden.
Die Digitalisierung hat die Arbeitswelt verändert und wird sie weiter verändern. Die neuen Technologien machen uns mobil, ohne dass wir uns physisch von der Stelle bewegen. Telearbeit und Home Working lassen neue Formen der Arbeitsorganisation zu.
6. Potenzierung der Radmobilität im Alltag: Viele Südtirolerinnen und Südtiroler benützen heute schon das Fahrrad als Fortbewegungsmittel. Das Fahrrad birgt aber weiteres Umstiegspotential. Rund die Hälfte aller Wege, die mit dem Auto zurückgelegt werden, sind unter 5 km lang und die Hälfte davon wiederum nicht länger als 2 km. Bei angemessener Infrastruktur für das das Fahrrad kann man in der Einschätzung von Lobis und Kleewein davon ausgehen, dass die genannten Kurzstrecken mit dem Fahrrad schneller, günstiger und vor allem auf gesündere Art und Weise zurückgelegt werden können als mit dem Automobil.
Und das Fazit von Markus Lobis und Philipp Kleewein in Sachen Mobilität der Zukunft lautet: „Die menschliche Zivilisation tritt in eine neue Ära, die entweder ihren letzten kurzen Abschnitt darstellt oder als Zeitalter der Verantwortung in ihre Entwicklungsgeschichte eingeht. Eine tiefgreifende ökologische und gesellschaftliche Transformation ist nicht nur unerlässlich, sondern auch möglich und wünschenswert.“

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