Kultur: Karl Plattner und die Pietà von Alsack

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Detail der Pietà  auf der Rückwand des Familiengrabes in Mals. Detail der Pietà auf der Rückwand des Familiengrabes in Mals.

Eine Kostbarkeit befindet sich in der Kapelle „Maria Schnee“ in Alsack/Mals. Die Kapelle steht an der Stelle einer Laurentiuskapelle aus dem 18. Jahrhundert, die wegen ihrer Baufälligkeit 1959 abgerissen und 1960/1961 neu errichtet werden musste. Der Kunstschatz, der sich in der Kapelle befindet, ist das Tafelbild „Die Beweinung Christi“, geschaffen von Karl Plattner, dem wohl erfolgreichsten, international bekanntesten Südtiroler Maler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

von Peter Tscholl

Karl Plattner wurde am 13. Februar 1919, als letztes von zehn Kindern, in Mals geboren. Als er vier Jahre alt war, starb sein Vater. Karl wuchs in sehr einfachen Verhältnissen auf. Diese nicht einfache Kindheit hat ihn wohl geprägt und sein Leben lang begleitet. Karls Traum war schon immer Maler zu werden. Aber um zu studieren, hätte er müssen „Pater“ werden, und „Pater“ werden wollte er nicht. So wurde Karl nach der Volkschule in eine Anstreicherlehre nach Brixen geschickt, wo er drei Jahre blieb. Von Brixen ging er für zwei Jahre nach Trient. 1939 rückte er zum italienischen Heer ein. Durch die Option der Südtiroler kam er wieder zurück nach Mals. Viele Optanten wollten ein Andenken an ihre Heimat mitnehmen. Karl Plattner hat in dieser Zeit viele Aquarelle und Ölbilder von den Höfen gemalt, die von den Südtirolern verlassen werden mussten. 1940 wurde Plattner in Innsbruck gemustert und musste in den Krieg. Nach Kriegsende kam er sechs Monate in amerikanische Gefangenschaft. Dort fiel für ihn die endgültige Entscheidung, Maler zu werden. Es folgte ein bewegtes Künstlerleben zwischen Mailand, Paris, Brasilien und Südtirol. Der Vinschgau blieb seine Heimat und immer wieder kehrte er gerne hierher zurück. Vor allem die Landschaft des Obervinschgaus, der Konatkt mit der Natur, mit der Struktur dieser Landschaft, mit den Menschen, mit den Farben, war und blieb für Karl Plattner der Nährboden, aus dem er schöpfte und auf den er nie verzichten konnte.
„Südtirol ist für mich eine Haßliebe.Wenn ich länger dort lebe, sind mir manche Sachen unsympathisch, mit denen ich einfach nicht zurechtkomme. Andererseits kann ich ohne Südtirol nicht leben“, sagte Karl Plattner in einem Interview mit Wolfgang Pfaundler (in: das Fenster 34/35, Innsbruck, 1984).

3 Muttergottes DetailWenn sich Karl Plattner im Vinschgau aufhielt, war er meistens beim Mohrenwirt in Burgeis. In der naheliegenden Pension Plavina hatte Plattner ein Zimmer und sein Atelier, wo er ungestört arbeiten konnte. Theiner Sepp, Mohrenwirt, verstorben 2014, erzählte: „Hier war Karl zuhause. In der letzten Zeit kam er immer öfters hierher. Lange blieb er aber nie. Karl war ein ganz normaler Mensch. Ich hätte in ihm nie den Künstler gesehen, den man heute in ihm erkennt. Wenn er alleine war, ohne Frau, war er immer ganz anders. Seine Frau hatte immer etwas auszusetzen. Das oder jenes durfte er nicht essen. Wenn er aber alleine war, sagte unsere Mutter einfach: Gell Karl, heint mochn miar an Schmorrn! Und Karl aß ihn gerne. Auch machte er nach dem Essen gerne ein Karterle“. Sepp Theiner konnte sich auch noch gut erinnern an den 8. Dezember 1986. „Es war um Mitternacht. Seine Frau rief mich an und sagte: Jetzt ist es passiert! Cosa faccio? Ich habe ihr geantwortet: Portalo a casa! Obwohl sie ihre Bedenken hatte, brachte sie Karl nach Mals, wo er im Familiengrab bei Vater und Mutter beigesetzt wurde“.
Einige Jahre zuvor hatte Karl Plattner ebenfalls eine Darstellung einer Pietà auf die Rückwand des Familiengrabes in Fresko gemalt.
Der heutige Besitzer des Mohrenwirt, Rudi Theiner, hat Karl Plattner so in Erinnerung: „Karl war eigentlich immer ein ernster Mensch. So richtig kontaktfreudig war er nicht unbedingt. Mit Äußerungen war er immer zurückhaltend. Bei uns hier war er wie in einer Familie. Da war er ganz offen. Mir kommt auch vor, er hatte immer Sehnsucht hierher zurückzukommen. Was ich an ihm besonders geschätzt habe, er war ein einfacher, nicht abgehobener Mensch, trotz seiner vielen Erfolge“.

Die Pietà von Alsack

In Plattners Autobiografie, erschienen in der Tiroler Kulturzeitschrift „Das Fenster“ Nr. 34/35, Innsbruck, 1984, ist keine Rede von einem Gemälde in Alsack und auch in Alsack selber weiß man leider nicht viel, was dieses Bild betrifft. Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, wie das Bild dorthin gekommen ist. Manche sagen, das Bild wäre eigentlich für Mals bestimmt gewesen, aber die Malser wollten es nicht. Somit hätten die Malser einen anderen, geeigneten Platz gesucht und ihn in Alsack, in der neu errichteten Kapelle „Maria Schnee“ gefunden. Doch auch bei den älteren Alsackern soll das Bild nicht so richtig willkommen gewesen sein. Plattners moderner Kunststil mit den ungewohnten, kubistischen, kantigen und klobigen Figuren, kam damals hierzulande nicht gut an. Was manchen vielleicht auch störte, war die melancholische, dunkle Aura des Bildes und/oder die Figur der Madonna. „Es scheint für Karl Plattner und seine Werke geradezu schicksalhaft zu sein, dass auch dieses Wandgemälde keine begeisterte Aufnahme bei seinen Mitbürgern gefunden hat. Man hielt es als zu wenig religiös.“ (aus dem Buch: die öffentlichen Arbeiten von Karl Plattner, herausgegeben vom Museion, Bozen). So soll das Bild für eine Weile weggekommen und später wieder nach Alsack zurückgekommen sein. Mittlerweile haben sich auch die Alsacker damit angefreundet und lassen das Gemälde nicht mehr her, sagt man.
Kunsthistoriker und jene, die Karl Plattner persönlich kannten und mit seiner Lebensgeschichte vertraut sind, sind überzeugt, dass das Wandbild immer schon für Alsack bestimmt gewesen sei. Dies bestätigen unter anderem ein Briefwechsel zwischen Karl Plattner mit der Trientner Kurie bzw. der Brixner Kurie (im Buch von Fulvio Vicentini „Karl Plattner100“, erschienen 2018), in dem es unter anderem um die Pietà von Alsack geht und der im MART aufbewahrte Text, in dem Plattner den Reiz des Ortes und die Gründe für die Entstehung des Wandbildes beschreibt.

Das Gemälde

Die Pietà von Alsack zählt mit Sicherheit zu den ausdrucksstärksten Sakralwerken Karl Plattners. Das Thema der Pietà taucht bei Plattner im Laufe der Jahre immer wieder auf. Das Gemälde in Alsack ist allein schon vom Format her (250 x 440 cm) eine der wichtigsten Arbeiten Plattners im Vinschgau. Es ist ein tief religiöses Bild, mehr als nur ein religiöser Auftrag. Es ist das Ergebnis einer Auseinandersetzung Karl Plattners mit sich selbst als Mensch und dem Geheimnis von Leben, Leiden und Sterben, gleichzeitig auch Ausdruck der geistigen und geistlichen Bewältigung seiner Situation.

Links im Bild, hinter der Muttergottes, ist ein altes Vinschger Bauernhaus, in der Wand noch ein typisches Vinschger Kellerfenster und sogar ein Stück schwarzes Vordach ist zu sehen. Die helle weiße Fläche (Linie) ist Teil des Hauses, in der Gesamtansicht ein typisches, altes Bauernhaus im Oberland. Rechts unten im Bild steht eine Bahre, ein Holzgestell, auf der Christus liegt. Der Körper des toten Chrsitus hebt sich von der Art der Malerei vom Rest des Bildes ab: Plattner hat die Farbe zum größten Teil bis auf die Leinwand abgeschabt. Spannend ist die Verbindung vom toten Christus zur Muttergottes, dargestellt durch ein weißes Leichentuch. In der Figur Mariens erkennt man Plattners Mutter, der er sein Leben lang verbunden war und die er öfters porträtiert hat. Im Gegensatz zu den 4 Die PatroziniumsfeierDarstellungen der Muttergottes in der Renaissance und im Barock, wird Maria in den Bildern von Karl Plattner meistens als ältere Frau dargestellt (in der Pietà von Michelangelo in St. Peter ist die Madonna eine junge Frau).
Das ockerfarbige Feld im Hintergrund ist mit größter Wahrscheinlichkeit das, was man im Oberland die Multen nennt. Plattner kannte die Multen gut, hatte er doch als Kind schon auf der Malser Haide die Schafe gehütet. In der großen Fläche sind Bäume und dann noch ein Haus zu sehen. Schwarz sind die gegenüberliegenden Berge. Über den Bergen ist noch ein kleiner, heller Keil vom Himmel sichtbar.
Im Bild der Pietà von Alsack benützt Plattner eine sehr reduzierte Farbpalette: Ocker, Umbra, Schwarz und Weiß, in all ihren Schattierungen. Die große Fläche der Multen ist in Ocker gehalten, hinzu kommen Umbratöne und Schwarz und Weiß in allen Abstufungen.
Das Bild ist typisch Plattner. Die Grundschemata der Malerei Plattners sind erkennbar: einmal bestimmte Muster in der Darstellung von Körpern (kantige, rechteckige Gesichter, enge Augenstellung, sowie feine, lange Hände) und dann, wie beschrieben, eine reduzierte, dunkle Farbpalette.

Karl Plattner zum Gemälde

In dem Dokument, welches im MART aufbewahrt ist, sagt Karl Plattner anläßlich der Verwirklichung der Pietà von Alsack:
„Als Hirte hatte ich in meiner Kindheit Gelegenheit, diese Landschaft auf besondere Art zu erleben. Bei Regenwetter waren die Tage lang und einsam, jedoch sehr eindrucksvoll - der Horizont verschwindet und die Zwiesprache ist auf die unmittelbare Umgebung beschränkt, die Stimmung ist sehr intim. Zugleich verliert man durchaus nicht das Gefühl der Größe und Weite, welches bei Sonnenschein diesen Landstrich charakterisiert. Wenn ich heute diese Landschaft erlebe, so wiederholt sich derselbe Eindruck wie vor 30 Jahren. Es ist naheliegend, daß der Kompositionsgedanke mit diesen Jugenderinnerungen eng verknüpft ist und dort seinen Ausgangspunkt fand. Die emotive Ursache steht mit der Landschaft und ihren Menschen in enger Verbindung. Hingegen hat sich meine Einstellung und Interpretation inzwischen geändert, liegt doch eine zu große Spanne Zeit dazwischen, in welcher sich die Auffassung über Leben und Kunst geändert hat. (...) Zugleich ward mir eine Verpflichtung zuteil, welche mir vom Gewissen diktiert wurde und einen moralischen Ursprung hat: Eine Sprache zu finden, welche meiner ästhetischen Erkenntnis und künstlerischen Verpflichtung Genüge leistet, (aber auch) der zweckentsprechenden Aufgabe des Wandbildes, welches für eine kleine Berggemeinde bestimmt ist (...)“.

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