Vinschgau/Südtirol - Die Eigenverwaltungen Bürgerlicher Nutzungsrechte, im Volksjargon als „Fraktionen“ bezeichnet, verwalten rund ein Fünftel der Waldfläche und ebensoviel Weidefläche Südtirols. 117 Eigenverwaltungen werden von einem Komitee verwaltet und rund 70 von Gemeindeausschüssen. 2020 hat man den Verband der Eigenverwaltungen gegründet, um mehr Gewicht im politischen Geschehen zu erlangen.
von Erwin Bernhart
Eigenverwaltungen Bürgerlicher Nutzungsrechte (EBNR) haben nicht nur einen sperrigen Namen, sie sind auch äußerst komplexe Gebilde. Ihre Geschichte reicht bis tief ins Mittelalter zurück, ist mit Streitigkeiten in Gerichtsprotokollen dokumentiert. Grundsätzlich ging und geht es um gemeinsame Wald- und Weidenutzung, gemeinsame Nutzung von Wegen, Brücken und Zufahrten, von Wassernutzungen.
Das Wirrwarr in den verschiedenen Gemeinschaften hat sich durch die Jahrhunderte hinaufgezogen und war vor allem vom Geist der lebensnotwendigen Erhaltung von Höfen geprägt.
Nach dem 1. Weltkrieg blies mit der Annexion Südtirols durch Italien und dem Aufkommen des Faschismus ein anderer Wind durch das Land. Mit der Zwangsfusion von Gemeinden in den 20er Jahren ging die Frage nach einer gesetzlichen Regelung der Gemeinschaftsgüter einher. Der Faschismus ging dabei von allen Bürgern aus, so dass Gemeinschaftsgüter nicht nur der örtlichen Bauerngemeinschaft zur Verfügung stehen sollten, sondern eben allen Gemeindebürgern. Das zu den Gemeinnutzungsgütern erlassene Gesetz von 1927 ist in Teilen noch in Kraft. Mit der Abtrennung Südtirols haben die drei Landesteile Tirol, Südtirol und das Trentino bis heute verschiedene Wege in den Regelungen der Gemeinnutzungsgüter genommen. In Nordtirol hat es nach dem ersten Weltkrieg zu einer starken Privatisierung in Richtung Zuteilung der Nutzungsrechte an einzelne Bauern gegeben, im Trentino ist die Anzahl der Gemeinnutzungsrechte geschrumpft und bekommt durch die jüngsten Gemeindefusionierungen wieder Aufschwung. In Südtirol hat sich trotz politischer Verwerfungen eine beachtliche Anzahl von Fraktionsverwaltungen bis heute erhalten.
Im Corona-Jahr 2020 wurde aus dem bis dahin bestehenden und 2009 gegründeten Arbeitskreis Eigenverwaltungen Bürgerlicher Nutzungsrechte ein Verband gegründet. Eine Genossenschaft ist entstanden, nach dem Vorbild des Gemeindenverbandes. Von den 117 Eigenverwaltungen Südtirols sind mittlerweile 80 Mitglied im Verband. Verbands-Präsident ist seit Anbeginn Oswald Angerer, der 2022 bestätigt worden ist. Angerer, seit 2012 Fraktionspräsident der Eigenverwaltung Laas, weist darauf hin, dass es in Südtirol mehr als 100.000 Fraktionisten gibt. Denn alle, die 4 Jahre in einer Fraktion ansässig sind, sind auch „Fraktionisten“ und damit aktiv und passiv wahlberechtigt. Das ist eine erhebliche Anzahl von Nutzungsberechtigten in Südtirol.
Die Gründung eines Verbandes für die Eigenverwaltungen lag länger in der Luft, aber es gab so etwas wie einen Brandbeschleuniger. LH Arno Kompatscher hatte zu Beginn des Jahres 2020 mit einem Gesetzesvorschlag die Eigenverwaltungen in Alarmbereitschaft gesetzt. Knackpunkt in Kompatschers Vorschlag war, dass die „Fraktionen“ Güter unentgeltlich an die Gemeinden abführen sollten, wenn der Bedarf gerechtfertigt war. Kompatscher kommt als ehemaliger BM aus einer Gemeinde, war Präsident des Gemeindenverbandes. Seine Sichtweise auf das „Unentgeltliche“ kann nur aus dieser Optik verstanden werden. Für die Fraktionen im Lande war Kompatschers Vorschlag ein NO-GO und ein Warnsignal. Der Verband der Eigenverwaltungen wurde schneller als geplant gegründet, um gemeinsam Stärke gegenüber der Landespolitik zu demonstrieren.
Aber: Weil die Fraktionen statistisch, flächenmäßig, statutarisch, juridisch, rechtlich nicht leicht fassbar, einordenbar und übersichtlich sind, will sich in der Landesverwaltung niemand recht um die Gemeinnutzungsgüter kümmern. Die Anlaufstellen sind auf diverse Landesstellen verteilt, es fehlt an einer kompetenten und verlässlichen und möglichst umfassenden Struktur. Der Verband der Eigenverwaltungen möchte das ändern, möchte im besten Falle finanzielle Zuwendungen für eine solche Struktur von Seiten des Landes. Ähnlich dem Gemeindenverband, sagt Oswald Angerer, der jährlich mit rund 3 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt finanziert wird. Dieses Anliegen hat der Verband der Eigenverwaltungen von Beginn an formuliert. Mit mehr als 100.000 Fraktionisten im Rücken.
Wie schwer man sich mit den Eigenverwaltungen tut, beweist ein Briefwechsel zwischen dem Bauernbund und dem damaligen Landesrat Arnold Schuler aus dem Jahr 2015. Der Bauernbund, der 2009 bei der Gründung des Arbeitskreises Bürgerliche Nutzungsrechte entscheidend mithalf, ersuchte den damaligen Bauern-Landesrat Schuler, er möge doch dafür Sorge tragen, eine „einzige Anlaufstelle in der Landesverwaltung, die den Fraktionsverwaltungen in allen Belangen weiterhilft“ zu schaffen.
Schuler lehnte damals mit „leider sind die Personalressourcen in der Abteilung Landwirtschaft bis an die Grenzen ausgeschöpft“ despektierlich ab.
Offensichtlich will die „Fraktionen“ niemand recht haben. So muss man sich selbst behelfen. Derzeit wird der Verband der Eigenverwaltungen mit solidarischen Mitgliedsbeiträgen finanziert, gestaffelt nach Fraktionsgrößen. Mit den rund 63.000 Euro jährlich können eine Sekretariatsstelle finanziert und einige Fortbildungen organisiert werden. „Wir sind damit am Limit. Außerdem bräuchten wir Juristen, wir benötigen gediegene Rechtsberatung“, sagt Oswald Angerer. Denn die Verwaltung von Wälder und Weiden ist das eine. Das Potenzial ist ein anderes, ein weitaus lukrativeres.
Die Eigenverwaltung von Laas, der Oswald Angerer vorsteht, als Beispiel, welches sich mit vielen anderen Fraktionen überschneidet und doch einen wesentlichen Unterschied ausmacht: Die Waldbewirtschaftung ist auch aufgrund des Borkenkäfers derzeit höchst defizitär, „eine Katastrophe“, wie es Angerer formuliert. Die Weidebewirtschaftung, im Falle Laas die Bewirtschaftung der Almen im Laaser Tal, aufgrund des Wolfes höchst bedroht. „Spätestens dann, wenn sich ein Wolfsrudel gebildet hat, ist die Zeit von derzeit rund 1.000 Schafen, 130 Geißen und 100 Rindern im Laaser Tal vorbei“, sagt Oswald Angerer voller Sorge. Auch immer wieder vorbeiziehende Bären sind höchst problematisch. Die Jahrhunderte alten Almkulturen sind durch die Anwesenheit von Wolf und Bär akut bedroht.
Auf der anderen Seite sind die Marmorbrüche im Laaser Tal im Eigentum der Eigenverwaltung, mit erheblichen Einnahmen. Unterm Strich ermöglichen diese Einnahmen die Ausschüttung von rund 50.000 Euro pro Jahr an die Laaser Vereine. Laut Landesgesetz von 1980, welches die Eigenverwaltungen regelt, können die Fraktionen bis zu 10 % der laufenden Einnahmen an lokale Vereine abgeben und 30% des Verwaltungsüberschusses sind der Landwirtschaft vorbehalten.
Dass das Landesgesetz von 1980 überarbeitet und in Teilen angepasst werden soll, ist nicht nur ein Wunsch des Fraktionsverbandes, sondern auch notwendig. Denn das 1980-er Gesetz müsste auch dem Staatsgesetz von 2017 angepasst werden, Und dieses Staatsgesetz hat es in sich. Denn dieses „beißt sich“, so Angerer, an einigen Stellen mit dem Landesgesetz. So heißt es im Staatsgesetz, dass die Eigenverwaltungen „personalitá giuridica di diritto privato ed autonomie statutaria“ haben. Laut Landesgesetz 1980 sind die Eigenverwaltungen aber öffentliche Körperschaften. Oder noch eine „Bombe“: Das Staatsgesetz definiert als Gemeinschaftliche Güter auch „i corpi idrici sui quali i residenti del comune o della frazione esercitano usi civici“. Also wem soll das Wasser in einer Fraktion bzw. in einem Gebiet gehören, welches grundbücherlich als Gemeinnutzungsgut angemerkt ist? Das hätte dann auch mit den Umweltgeldern zu tun, die von den Betreibern der Großableitungen abzugeben sind. Wem gehören dann die Umweltgelder?
„Das sind Dinge, die in einem neuen Landesgesetz genau definiert werden müssen“, sagt Oswald Angerer. Angerer stellt sich auch andere Dinge vor, die geregelt werden sollten. Etwa, dass den Fraktionen neue Einnahmequellen ermöglicht werden sollten. Schließlich fallen mit der Verwaltung von Wald und Weide mehr Spesen als Einnahmen an. Angerer denkt dabei an Wohungsvermietungen, wenn eine Fraktion über ein geeignetes Gebäude verfüge. Oder an eine von der Fraktion ausgeübte Parkplatzbewirtschaftung, wenn geeignete Flächen zur Verfügung stünden.
Schließlich haben es einige Fraktionen geschafft, in den Genuss von Erträgen aus E-Werken oder aus Photovoltaikanlagen zu kommen. Dafür musste das eigene Statut geändert und angepasst werden.
Oder eine andere Überlegung von Angerer: Derzeit werde mit bis zu zwei Vorzugsstimmen die Fraktionsverwaltung gewählt. Ob man dies nicht der Entscheidung der einzelnen Fraktionen überlassen sollte? Jedenfalls ist man im Fraktionsverband dabei, eine Mustersatzung auszuarbeiten.
Weil viele der derzeitigen Landtagsabgeordneten keine Ahnung von der kulturhistorischen Bedeutung der Eigenverwaltungen haben, sei es unumgänglich, entsprechende Lobbyarbeit zu leisten, sagt Angerer. Durch Aufklärung wolle man ein Verständnis dafür wecken, welche Verankerung die Eigenverwaltungen in der Bevölkerung hätten und welchen Bedarf an Erneuerung sie anmelden, damit Dorfgeschichten und ihre Gemeinnutzungsgüter in die Neuzeit überführt werden können.