Um 9.00 Uhr zeigt uns Senator Pinzger seine römische Bleibe. Nicht schlecht – ein „offenes“Kloster direkt gegenüber dem Senatsgebäude – ruhig, aber nicht gerade billig, aber jedenfalls nach meinem Geschmack. Zuerst will ich aber wissen, wo mein zukünftiges Büro sein wird. Erst dann werde ich mir eine Bleibe suchen.
Um 9.30 Uhr erwartet uns schon unser Freund Siegfried Brugger. Er zeigt uns die Büros unserer Parlamentsgruppe, des sog. „Gruppo Misto“ und stellt uns das Personal vor. Es sind viele Frauen und zwei Männer, aber erschreckend, wie eng sie alle untergebracht sind. Da bekommt man Platzangst. Unser zukünftiger Redenschreiber begnügt sich aber schon seit 12 Jahren mit einer Büroecke von 2x2 Metern und fährt übrigens täglich 120 km aus Umbrien an. Also muss die Arbeit in Rom, neben den oder für die Abgeordneten, doch interessant und reizvoll sein. Die meisten wissen aber nicht, ob sie bei uns bleiben können… aber hoffen es zumindest, denn Siegfried hatte als „Presidente“ alles vorbildlich geregelt und organisiert. Das Arbeitsklima scheint gut, trotz der Enge und Unsicherheit. „Onorevole hin, Onorevole her“ - das klingt für mich komisch… wir werden ja erst morgen vereidigt. Auch ich werde mich gewöhnen müssen.
Danach kommt unser zukünftiger – von Siegfried Brugger und Karl Zeller- auserkorener Präsident der „Gemischten Parlamentsgruppe“: Pino Pisicchio. Ein väterlicher Typ aus Bari - ein alter Christdemokrat - Professor in Verfassungsrecht und Journalist, ein alter Fuchs , der mit kurzen Unterbrechungen schon seit 1987 im Parlament sitzt und auch schon Unterstaatssekretär war. Er wirkt aber vertrauensselig.
Siegfried will uns mit diesem Pisicchio und seiner Gruppe (sie sind übrigens zu 6.) eine Mehrheit in der gemischten Parlaments-Gruppe organisieren, damit wir bei den Strukturen und Kommissionen nicht zu kurz kommen. In der gemischten Gruppe sind die „Fratelli d´Italia“ des Ex-Verteidigungsministers La Russa die größte Gruppe (9 und wir von SVP und Patt zu 5.). Siegfried knüpft auch die Kontakte mit einigen „eher linken“ Auslandsitalienern , damit wir eine Mehrheit in der Gruppe sind, da neben den Fratelli auch noch 4 versprengte Sozialisten sind, die niemand bei sich in der Gruppe haben will. Der uns bekannte Giorgio Holzmann wurde nicht mehr gewählt , sonst wäre auch er einer der „Fratelli“.
Am Nachmittag erledigen wir im Parlament unsere organisatorischen Vorarbeiten – Foto – Ausweis, Bankverbindung, E-Mail-Adresse usw.. Alle Parlamentsangestellten reden uns beim Namen an. Sie haben ein Buch mit unserem Foto und den Namen. Dieses haben sie sich seit Tagen eingeübt. Für die meisten ist dies aber sowieso Routine.
Eine Neapolitanerin, die nur über den Mehrheitsbonus ins Parlament gekommen ist, bedankt sich spontan bei mir bzw. bei der Südtiroler Volkspartei. Eine nette Geste. Uns ist der Mehrheitsbonus ja auch zugute gekommen, daher stehe sie nicht in unserer Schuld. Ich wünsche mir aber eine gute Zusammenarbeit.
Am nächsten Tag soll der/die Präsident/in der Kammer gewählt werden. Unsere Koalition hat durch den Mehrheitsbonus eine satte Mehrheit, aber es soll „weiß“ gewählt werden. Erst am Samstag, wenn sich in der „ganz hohen Poilitik“ mit der Gruppe um Premier Monti oder den Grillini nichts tut, dann werden wir jemand aus unserer Koalition wählen.
Vor der Wahl rede ich mit einem Grillino. Ich erkläre ihm die Südtiroler Volkspartei. Er hat erst nach den Wahlen davon gehört. Ich erzähle ihm von der Basiswahl, vom persönlichen Wahlerfolg und von der Erwartungshaltung meiner Wähler in Bezug auf meine zukünftige Arbeit. Der Grillino ist aus Umbrien. Dort hat er gerademal 34 Stimmen erhalten, wahrscheinlich von seinem engsten Verwandtenkreis. Er hat sich aber über „web“ der „No-TAV“-Bewegung angeschlossen und wurde durch seinen „virtuellen“ Wahlkampf im Internet gewählt: Er kennt zum Unterschied von mir seine Wähler aber nicht. In diesem Detail liegt der große Unterschied. Sonst ist es ein ganz normaler Typ, mit dem man auch über die Berge und die Jagd reden kann. Über seinen „politischen Ziehvater“ Beppe Grillo will er nicht reden, dieser wird schon alles richten.
Die Wahlprozedur ist langwierig. Jeder kann noch sitzen, wo er will, da die Parlamentsgruppen noch nicht definitiv sind. Kollege Alfreider kommt als einer der Ersten dran. Ich schaue dem Vorgang interessiert zu. Nach Alfreider kommt Bersani, dann Biancofiore, dann unser Freund aus Bozen vom Partito Democratico Gianclaudio Bressa, später der Trentiner Landeshauptmann Lorenzo Dellai… Der Vorgang ist höchstinteressant, man kann viele Kollegen kennen lernen.
Nach zwei Stunden komme ich dran. Sie sprechen meinen Namen korrekt aus. Der Stimmzettel bleibt weiß, obwohl ich in meiner Gruppe erklärt habe , den Patt-Kollegen Mauro Ottobre zu wählen und ihm somit in die Zeitungen zu verhelfen. Eine Wahl ist aber doch eine ernste Sache. Ich lasse diesen Blödsinn und werfe den leergebliebenen Wahlzettel in die Urne.Der erste Amtsakt ist gesetzt.
Wie wird es weitergehen? Ich bin grundsätzlich ein Optimist. Solche Vorgänge gehören höchstwahrscheinlich zum „politischen Spiel“, das vielleicht „die Grillini“ ändern können – aber nicht ich als Vertreter des Vinschgaus - zum Guten oder auch noch tiefer ins Chaos.
Wer weiß: Morgen bei der richtigen Wahl ist vielleicht alles anders.
Albrecht Plangger,
SVP-Kammerabgeordneter