Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Zeno, 12. April 2022
Dass Pflanzen- und Tierarten im derzeitigen Klimawandel mit Erwärmung der Erde horizontal immer weiter nach Norden und vertikal in den Bergen immer weiter nach oben ziehen, ist eine schon an vielen Arten und durch viele Studien belegte Anpassung.
Feldhase und Schneehase
Forscher an der Universität für Bodenkultur in Wien haben aufgezeigt, dass der Feldhase (Lepus capensis) immer öfter in den angestammten Lebensraum des Schneehasen (Lepus timidus) aufsteigt. Evolutionsbedingt paaren sich Häsinnen bevorzugt mit großen Rammlern. Feldhasen sind größer als Schneehasen. Schneehäsinnen paaren sich deshalb auch mit Feldhasen. Und die beiden Arten sind noch so nahe miteinander verwandt, dass die Jungen als Nachkommen aus dieser Hybridisierung fertil sind. Auf diese Weise wird das genetische Gut des Schneehasen zunehmend verdrängt.
Kitzsterben beim Steinwild
Eine andere Folge des Klimawandels ist die sich verschiebende Synchronisierung zwischen dem Wachstum der Futterpflanzen und der Setzzeit der Steingeißen. Die verfrühte Phänologie der Gräser und Kräuter auch in den größeren Höhen der Berge ab Mai stimmt mit der Geburt der Steinkitze ab Mitte Juni nicht mehr optimal überein. Im Nationalpark Stilfserjoch haben wir aus längeren Zählreihen feststellen können, dass der Anteil der Kitze an der Gesamtpopulation von Steinwild abnimmt. Wenn die Geißen fett- und eiweißreiche Milch produzieren sollen, haben die Futterpflanzen dieses reinen Vegetariers ihr Nährwertoptimum schon überschritten. Dies könnte eine Erklärung für das beobachtete Kitzsterben sein. Eine Krankheit scheidet als Erklärung derzeit aus.
Das Haselhuhn
Von den vier einheimischen Arten der Raufußhühner war das Haselhuhn (Tetrastes bonasia) als Bewohner des unteren Wald- und Heckengürtels bekannt. Inzwischen steigt es z.B. in Lawinenrunsen mit Grünerlen bis in den Zirbenwald auf und es wurden in diesen Höhenlagen auch Küken führende Hennen beobachtet.
Rotwild und Gämsen
Schon vor zwanzig Jahren haben die almbewirtschaftenden Bauern z. B. im Martelltal gemeldet, dass sie Rothirsche immer öfter im Lebensraum der Gämsen beobachten. Wird das Rotwild durch den Klimawandel zum Konkurrenten für die Gämse?
In den Bergen unserer Alpen steigt das Rotwild (Cervus elaphus) immer weiter und immer länger in den angestammten alpinen Lebensraum der Gämsen (Rupicapra rupicapra) auf. Vor allem im Sommerhalbjahr überschneiden sich die Lebensräume der beiden Huftierarten immer stärker und über einen immer längeren Zeitraum. In ihren Wintereinständen wechseln die Hirsche dann in tiefere Lagen, während die Gämsen auch zu den windaperen Graten aufsteigen, um dort zu äsen, oder im oberen Bergwald überwintern.
Beide Arten, Rotwild und Gämse, sind Paarhufer und Wiederkäuer. Ob die Nutzung sich überschneidender Lebensräume zu Konkurrenzsituationen zwischen beiden Arten führt, die zu Lasten einer der beiden Arten geht, wird in einer wissenschaftlichen Studie im Trentino untersucht, welche 2019 begonnen wurde und derzeit noch läuft. Luca Pedrotti, der Koordinator für die wissenschaftliche Forschung und das Artenmonitoring im Nationalpark Stilfserjoch, untersucht mit anderen Wissenschaftlern die möglichen Interaktionen zwischen Rotwild und Gämse. Ausgangspunkt und Ansatz für dieses Projekt ist die Beobachtung, dass in den Trentiner Tälern von Rabbi und Pejo der Bestand an Gämsen sinkt und jener an Hirschen steigt. Dabei sind die Gämsen etwa nicht von einer bestandsreduzierenden Krankheit oder Seuche befallen.
Das Forschungsprojekt bearbeitet zwei Stränge:
Erstens werden historische und aktuelle Zähldaten aus langen Zeitreihen für beide Arten ausgewertet, um Trends in der Entwicklung beider Arten zu erkennen und beispielsweise in Relation mit scharfen natürlichen Auslesen nach strengen Wintern zu setzen.
Zweitens werden Kotproben beider Arten auf Pflanzenfasern als Futterreste untersucht, um z. B. festzustellen, ob es eine direkte Nahrungskonkurrenz zwischen beiden Arten durch hauptsächliche Nutzung vorwiegend gleicher Futterpflanzen gibt. Zusätzlich kann man aus Hormonanalysen des Stresshormons im Kot auch den Stresspegel beider Arten erkennen. Gibt es direkte Nahrungskonkurrenz oder anderen Druck und Stress? In der Konkurrenz zwischen Rotwild und Gämse würde wohl die Gämse der Verlierer sein.