Mehrere Vinschger Architekten und Architektinnen haben dem Vinschgerwind die
folgenden Überlegungen und Gedanken zugesandt. Weil es sich um eine wichtige kulturelle Diskussion handelt, drucken wir diese vollständig ab.
Der Ensembleschutz des Landesraumordnungsgesetzes ist neben dem Denkmalschutz und dem Landschaftsschutz ein sehr wichtiges Werkzeug, um in unserer schnelllebigen und dem Wandel unterworfenen Zeit das bauliche Erbe unserer Vorfahren und unsere kulturelle Identität zu wahren. Der Ensembleschutz wurde in die Hände der Gemeinden gelegt, welche dieses politische Instrument mit größter Sorgfalt und Verantwortungsbewusstsein anwenden sollten, um den Charakter von Straßen, Plätzen und Ortsbilder zu wahren. Ziel ist es, den individuellen Charakter eines Dorfes zu wahren und der Gefahr von Vereinheitlichung und dem Identitätsverlust entgegenzuwirken.
Im Gegensatz zum Denkmalschutz, ist der Ensembleschutz kein starres und statisches Instrument. Er verbietet keine Anbauten, Erweiterungen oder Teilabrisse. Es dürfen sogar gesamte Gebäude entkernt und einer neuen Nutzung zugeführt werden. Er erlaubt somit eine Anpassung bestehender Gebäude an die heutige Zeit und eine inhaltliche Weiterentwicklung. Dorfzentren sollen nicht nur Fassade sein, sondern leben und blühen.
Wie kann der Ensembleschutz also umgesetzt werden? Die Schwierigkeit liegt ja genau darin, zu definieren was erhaltenswert ist, welche baulichen und natürlichen Elemente es zu schützen gilt. Wer diese Entscheidung trifft trägt also eine große Bürde und ein hohes Maß an Verantwortung.
Der Fall Hallerhof
Im Falle des Hallerhofes ist man in der glücklichen Situation, dass sich dieses wunderschöne Gebäude im Besitz der Gemeinde befindet. Man muss es nicht gegen Immobilienspekulationen verteidigen und nicht einem privaten Investor gerecht werden. Man hat also die allerbesten Voraussetzungen, das wunderbare Ensemble des Hallerhofes mit dem angebauten und unter Denkmalschutz gestellten Oberhof zu schützen und mit neuem Leben zu füllen.
Kann eine Kopie dem Original gerecht werden?
Der Vorschlag der Gemeinde Latsch ist der Abbruch und Wiederaufbau des Hallerhofes, um geförderten Wohnraum zu schaffen. Die fehlende Mindesthöhe der Räume und die technischen Schwierigkeiten einer Sanierung führten zu diesem Entschluss. Ob eine Kopie dem Original gerecht werden und somit den Ensembleschutz gewährleisten kann, das sei dahingestellt. Venedig ist in keiner Weise mit seiner Imitation in Las Vegas vergleichbar und wenn die Chinesen einfach mal ganz Hallstatt in Tirol nachbauen, ruft dies in unserer Bevölkerung Unverständnis und Schmunzeln hervor. Diese Beispiele sind zwar weit hergeholt, bringen die Situation aber überspitzt auf den Punkt.
Interpretationsspielraum Ensembleschutz
Wenn es eine Gemeinde schon nicht vermag, die sich in ihrem Besitz befindlichen baulichen Schätze zu schützen, wie soll es je möglich sein, diese vor privaten Interessen und Spekulationen zu bewahren? Es gibt in Südtirol leider sehr viele Beispiele, wo der Ensembleschutz nicht das Papier wert ist, auf dem er niedergeschrieben wurde.
Zur Erinnerung das sogenannte Marzadrohaus in Schlanders, welches im Dezember 2012 unter Ensembleschutz gestellt worden war und nach nur wenigen Monaten wieder freigestellt wurde, was die Schaffung einer ganz neuen Zone mit sich brachte, einzigartig in ihrer Dichte und Höhe. Der Ensembleschutz kann also nicht nur bis zu seiner Bedeutungslosigkeit ausgehöhlt werden, sondern auch ganz einfach ausgenommen werden, bis jede Erinnerung an den vorher bestandenen Bebauungen gelöscht wird und einzelne bauliche Übrigbleibsel skurril in einer neuen Umgebung stehen.
Sanieren zahlt sich aus
Sanieren alter Gemäuer erscheint auf den ersten Augenblick kostenintensiver, zahlt sich aber aus. Beispiele dazu gibt es zur Genüge.
Man möchte es heute z.B. kaum für möglich halten, aber die berühmten Sassi di Matera, die seit 1993 zum UNESCO-Welterbe zählen, standen kurz davor abgerissen zu werden. Die als „Schande der Nation“ bezeichneten Höhlenbauten, in denen hygienisch untragbare Zustände herrschten, sollten gemäß einem Gesetz aus dem Jahr 1952 unter dem Minister Alcide de Gasperi als unbewohnbar erklärt und demoliert werden. Gott sei Dank kam es nicht dazu und die Höhlen werden sukzessive saniert. Eine Entscheidung, die wirtschaftlich positive Auswirkungen hat. Matera verzeichnete eine Zunahme von 176% der Nächtigungen zwischen 2012 und 2019.
Auch Glurns profitiert wirtschaftlich von der Sanierung. Verschiedenen Umständen ist es zu verdanken, dass sich die mittelalterliche Stadt seit dem 16. Jahrhundert kaum verändert hat und das malerische Stadtbild erhalten geblieben ist. Die sanfte Sanierung seit den 1970-er Jahren ging mit einem wirtschaftlichen Aufschwung einher und so ist Glurns heutzutage ein beliebte Tourismusdestination.
Klares Nein zum Abbruch des Hallerhofes
Von Seiten mehrerer renommierter Vinschger Architekten und des Heimatpflegeverbandes kommt ein klares nein zum Abbruch des Hallerhofes. Die Gemeinde Latsch könnte mit gutem Beispiel vorangehen und ihre Pläne zum Abriss und Wiederaufbau nochmals überdenken und sich an die Vorgaben des Ensembleschutzplanes halten, welcher klar die Sanierung des Bestandes vorsieht.
Der Präsident der Architektenkammer Bozen, Dr. Arch. Johann Vonmetz empfiehlt den Gemeinden in solchen schwierigen Situationen Ideen- und Planungswettbewerbe auszuschreiben, um neue Ideen zu sammeln und eine lebhafte Diskussion auf Gemeinde-ebene anzuregen. Besser eine Entscheidung betreffend den Ensembleschutz mehrmals zu prüfen, denn Abgerissenes ist unwiderruflich zerstört und den Preis, den wir dafür zahlen, hoch.
Der Hallerhof mag zwar ein Beispiel von vielen sein, ist aber Symptom einer gesetzlichen Schwachstelle und eines kulturellen Problems, was über kurz oder lang zu einem schrittweisen und leisen Verlust unseres baulichen Erbes und zu einer Austauschbarkeit der Ortschaften führt.
Architekten und Architektinnen im Vinschgau