Stefan Gruber ist Mitglied und Vorsitzender des Vereins Baubiologie Südtirol, Gabriela Palla ist ebenfalls Mitglied des Vereins. Der Vinschgerwind hat Gruber und Palla für einen Gastbeitrag gewinnen können.
Herr Gruber, welche Kompetenzen hat ein Baubiologe?
Baubiologinnen und Baubiologen sind in unterschiedlicher Funktion beteiligt an einem Bauvorhaben: Sie führen Abklärungen durch und können sowohl in der Planung als auch in der Ausführung von Bauvorhaben eingesetzt werden. Das konkrete Tätigkeitsgebiet richtet sich in der Regel nach dem ursprünglich erlernten Beruf. So wendet jede Berufssparte die Grundsätze der Baubiologie im eigenen Tätigkeitsbereich an.
BaubiologInnen berücksichtigen in ihrer beruflichen Tätigkeit den Stand der Technik, die geltenden Normen und baubiologischen Kriterien (25 Regeln der Baubiologie), die Empfehlungen und Richtwerte, und wenden die Bauphysik und die Materialkunde nach baubiologischen Kriterien an. Sie sind informiert über Neuentwicklungen und bilden sich weiter in allen für die Baubiologie relevanten Bereichen.
Ihr Tätigkeitsfeld umfasst:
- Untersuchung des Bauplatzes
- Planung (Ausrichtung des Gebäudes, Grundriss- und Innenraumgestaltung, Beleuchtung, Akustik….)
- Lebensraumgestaltung
- Auswahl geeigneter Baumaterialien unter Berücksichtigung ihres Lebenszyklus (cradle to cradle, also von der Produktion zur Entsorgung und Wiederverwertung)
- Erhebung von Baumängeln und -schäden, Maßnahmen zu deren Beseitigung
- Elektrosmogmessungen und Gegenmaßnahmen
- Schlafpatzuntersuchungen.
BaubiologInnen verfügen über ein fächerübergreifendes Wissen und erbringen für ihre Klientinnen und Klienten einen Mehrwert in Bezug auf Raumklima, Wohnkomfort und Gesundheit.
Herr Gruber, worauf führen Sie die gesteigerte Nachfrage an einer baubiologischen Beratung zurück?
In den letzten Jahren fand allgemein eine Bewusstseinsveränderung hin zu einer nachhaltigen Lebensweise statt. Zusätzlich hat sich die Art und Weise, unseren Wohnraum zu leben, gewandelt. Bis vor knapp einem Jahr waren viele Paare voll erwerbstätig, sie verließen das Haus am Morgen und kehrten am Abend zurück. Dort wurden dann die meisten Tätigkeiten wie Kochen, Waschen, Duschen etc. ausgeübt, wodurch innerhalb kurzer Zeit hohe Feuchtigkeitsspitzen freigesetzt wurden.
Durch die aktuellen veränderten Gegebenheiten (distance learning, Homeoffice……) wickelt sich das Leben verstärkt in den Innenräumen ab. Die oben genannten Tätigkeiten haben sich vervielfacht, die Belastung der Wohnräume ist stark gestiegen und die Anforderungen haben sich teilweise sehr verändert.
Um einige zu nennen:
- gesteigerte WLAN-Belastung (Elektrosmog)
- schlechte Luftqualität (hoher CO2 und VOC-Gehalt,
Luftfeuchtigkeit…..)
- hygienische Anforderungen an die Luftqualität
- unzureichende Beleuchtung der Arbeitsbereiche (Home-office und Homeschooling)
- Grundrissplanung (Schaffung von Rückzugsorten, Arbeitsbereichen….)
- gesteigerte Anforderungen an die Akustik im Bauwesen
- ökonomische Unsicherheit (z.B. zu geringe Beheizung und daraus folgende Schimmelbelastung)
Frau Palla: Mit welchen Problemen werden Sie am häufigsten konfrontiert?
Ganz eindeutig mit der Schimmelproblematik, und zwar sowohl in Alt- als auch in Neubauten. Hier geht es in erster Linie um die Ursachenerhebung mittels technischer Hilfsmittel und Laboranalysen und in der Folge um Maßnahmen für die langfristige Beseitigung.
Wir beraten auch Menschen, die sich in Bezug auf eine Elektrosmogbelastung Klarheit wünschen. Messungen erheben die Ist-Situation, und unsere Berater zeigen Möglichkeiten zur Reduzierung der Strahlenbelastung auf. Es geht hier auch immer um den selbstgemachten Elektrosmog durch die hauseigene Elektroinstallation oder sorglose Nutzung von Mobiltelefonen, Babyphonen und Ähnlichem.
Frau Palla: Wie sieht das Ganze in der Praxis aus?
Wir werden zumeist von den Betroffenen über unsere Webseite kontaktiert (www.baubiologie.bz.it). Im Fall eines Schimmelbefalls ist der Weg in etwa wie folgt: Der Baubiologe prüft, um welche Art Schimmel es sich handelt und vor allem, wie er entstanden ist (Ursachenfindung). Hat das Gebäude Baumängel? Wird falsch geheizt oder gelüftet? Oder sogar beides? Dies kann anhand verschiedener Methoden überprüft werden – etwa durch Laboranalysen des Schimmels und/oder der Raumluft und mit Messgeräten wie z.B. einer Wärmebildkamera. Gegenmaßnahmen können erst dann getroffen werden, wenn die Ursache zweifelsfrei feststeht.
Frau Palla: Welche Schadstoffe sind sonst noch verstärkt anzutreffen?
Gesundheitliche Probleme können auch flüchtige organische Verbindungen, die sog. VOC´s (volatile organic compounds) verursachen. Diese können beispielsweise in Teppichen, Laminatböden, Farben oder Möbeln enthalten sein. Diese Verbindungen gelangen in die Raumluft, wenn Lösungsmittel beim Trocknen von Produkten verdunsten oder etwa aus Kunststoffen entweichen. Es folgen Reizungen der Atemwege und Augen bis hin zu Langzeitwirkungen auf das Nervensystem. Allergien, Kopfschmerzen, Müdigkeit bis hin zur Schädigung des Erbguts oder auch Krebs können mitunter die Folgen sein. Da gilt es dann herauszufinden, wo die Quelle liegt – oder die Quellen, oft sind es ja mehrere. Jeder kennt zum Beispiel die aromatisierten Raumluftspender aus Glas, in denen die Duftstäbchen stecken. Würde der Konsument den Beipackzettel lesen, dann würde der eine oder andere mit Sicherheit darauf verzichten!
Herr Gruber: Worauf sollte man achten, wenn man einen Baubiologen zu Rate zieht?
Ich rate es jedem Konsumenten dringend an, einen qualifizierten Baubiologen hinzuzuziehen. Hier in Südtirol werden alle baubiologischen Berater in Zusammenarbeit mit der Berufsschule Schlanders ausgebildet. Diese Weiterbildung ist sehr umfangreich, sie umfasst über 240 Ausbildungsstunden, eine Facharbeit und die abschließende Prüfung. Die Berater im Verein der Baubiologen Südtirol (www.baubiologie.bz.it) besitzen die entsprechende Aus- und Weiterbildung. Ihre individuelle Spezialisierung garantiert zusammen mit unserem gut aufgestellten Netzwerk eine kompetente Betreuung.
Schlußwort:
Die aktuell turbulente Zeit hat umso mehr in den Vordergrund gestellt, dass lockales, regionales und bewusstes Handeln unsere gemeinsame Wertschöpfung im Lande nur stärken kann.