Bestand
Im Nationalpark Stilfserjoch gibt es ca. 1.200 Stück Steinwild, im gesamten Alpenbogen sind es 48.000 Tiere, davon 16.000 im italienischen Anteil der Alpen. In der zoologischen Systematik gehört das Steinwild zu den Wildziegen. Weltweit gibt es 8 Arten von Steinwild, wenn man auch die Bezoarziege und die Schraubenziege mitzählt. Einzelne Arten, so der Iberische Steinbock, sind leider in den letzten Jahren ausgestorben.
Anpassung an das Hochgebirge
Der Steinbock ist ein Huftier mit robustem Körperbau: Eine große Muskelmasse auf kurzen Läufen bei gedrungenem Rumpf und mit einem kurzen aber massigen Hals, um Hörner von bis zu 4 kg Gewicht tragen zu können. Mit dieser Körperausformung ist der Steinbock gut an den Extremlebensraum Felswand im Hochgebirge angepasst. Die Gämse ist dagegen ein gewandter Läufer in den Geröllhalden und alpinen Matten, der mit weit abgespreizten Klauen auch auf der winterlichen Schneedecke nicht einsinkt. Der paarige Huf des Steinwildes ist zweischichtig ausgeformt: Die äußere Kante ist hart, scharf und griffig, die innere Schale ist weich und als Verschleißschicht nachwachsend. Wir Menschen haben auch hier von der Natur abgeschaut: In der Bionik wird dieses zweischalige Prinzip mit harter Kante und weichem, verformbarem Innenteil bei den Kletterschuhen für die Bergsteiger im Fels nachgebaut.
Brunft
Die Paarungszeit des Steinwildes fällt in die Wintermonate Dezember und Jänner. Daher seien ein paar Details zur Brunft zusammengefasst, weil sie sich gerade in diesen Wochen ereignet. Das ganze Jahr über leben die Geißen mit den Kitzen und die Böcke in geschlechtergetrennten Rudeln. Nur während der Brunft kommen Geißen und Böcke zusammen. Auch beim Steinwild gibt es unter den Böcken eine strenge Hierarchie. Zur Ausfechtung dieser Rangordnung gibt es zwischen Gämsen und Steinwild einen interessanten Verhaltensunterschied: Die Gamsböcke definieren ihre Rangordnung auch noch während der winterlichen Brunft durch Hornkämpfe und anstrengende Laufduelle bis zur Erschöpfung und mit dem Aufgeben eines der Kontrahenten. Der Steinbock leistet sich einen solchen Energieaufwand und –verlust während der nahrungsknappen Winterzeit nicht mehr. Ihre Rangordnung legen die Steinböcke schon während des Sommers fest. Rangordnungskämpfe laufen bei den allermeisten Tierarten übrigens nach festen Ritualen ab. Dieses ritualisierte Verhalten vermeidet schwere oder tödliche Verletzungen unter den Rivalen. Bei den Steinböcken bestehen die Duelle aus Stirnstoßkämpfen. Die Kontrahenten richten sich auf die Hinterbeine auf und stürzen aufeinander zu. Dieses gleiche Verhalten ist auch bei den Hausziegen beobachtbar und aus diesem Verhalten lässt sich die zoologische Verwandtschaft von Haus- und Wildziegen-Art erkennen.
Winteraufenthalt und -ernährung
Der Kalender Ibex 2013 zeichnet das Steinbockverhalten im Jahreslauf nach. Daher seien im Wintermonat Dezember hier auch noch ein paar Hinweise zum Lebensraum und zur Ernährung des Steinwildes gegeben. Der begrenzende Faktor für das Überleben von Tier- und Pflanzenarten im Hochgebirge ist der Winter mit Kälte, Schnee, Windstürmen, langen Dunkelphasen, Nahrungsknappheit, Lawinenabgängen. Während die Gämse windapere Grate aufsucht, um dort die ausgeaperte karge Äsung zu erreichen, bezieht das Steinwild im Winter die sonnenexponierten und sehr steilen Südhänge. Dort rutscht der Schnee wegen der großen Hangneigung ab und die Sonneneinstrahlung beschleunigt zusätzlich sein Abschmelzen. Neben angenehmeren Temperaturen bieten die Südhänge wegen ihrer Exposition und Ausformung dem Steinwild leichteres Futter. Aber die Äsung bleibt auch hier kärglich in ihrem Nährwert. Der Standortwechsel von den Sommer- in die Wintereinstände allein sichert das Überleben des Alpen-Steinbocks noch nicht. Im Laufe der Evolution dieser Wildziegen sind noch weitere anatomische, morphologische und physiologische Anpassungen entstanden. Einige Anpassungen betreffen zum Beispiel den Verdauungstrakt. Im Winter besteht die Nahrung des Steinwildes vorwiegend aus dürren Resten von abgestorbenen, krautigen Pflanzen mit einem hohen Anteil an Rohfasern wie der schwer verdaulichen Zellulose. Zellulose ist für andere Pflanzenfresser-Arten kaum oder nicht verwertbar. Der Steinbock ist ein Wiederkäuer mit einem Magen, der aus mehreren Kammern gebildet wird. Der Abbau von schwer verdaulichen Rohfasern wird bei den Wiederkäuern von den Magen-Darm-Bakterien unterstützt.
Haarwechsel
Der Fellwechsel vieler Tiere der Gebirgsregion ist eine weitere Anpassung an den Jahreszeitenwechsel mit den großen Temperaturschwankungen in unserer Klimazone. Das Fell oder die „Decke“ ist im Sommer kurzhaarig und rötlichgrau bis braungrau. Im Herbst wird das Sommerfell vom leichteren Winterfell überwachsen. Dieses Winterhaar ist wesentlich dichter und wolliger (Wollhaar) und legt sich über das Sommerfell. Im ausklingenden Winter fällt das Winterhaar in Büscheln ab, die dem Steinwild zeitweise ein zottiges Aussehen geben.
Wussten Sie übrigens, dass das Steinwild keine Schweißdrüsen besitzt und daher im Sommer die Körpertemperatur nicht über die Abgabe von Schweiß regulieren kann? Der Ersatz für die fehlenden Schweißdrüsen besteht daher, in größere und kühlere Höhen aufzusteigen. Und wie wird es bei der zunehmenden Erderwärmung für den Steinbock in Zukunft aussehen, wenn er nicht weiter nach oben ausweichen kann, weil er allmählich schon ganz oben in den Bergen angekommen ist?
Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau