Oft sangen sie gemeinsam, bevor sie dann das lichtspendende Feuer in den Petroleumlampen entfachten. „Im Wintr hoobm miar foscht olla Tog a pissl Hennastund gholtn“, sagt Hermine und ihr Gesichtsausdruck verrät, dass sie diese „Hennastund“ als besonderes gemütlich und wohltuend genossen hatte. Denn viel Zeit zum Rasten blieb ihr nie, weil Arbeit den Tagesablauf auf dem Hof bestimmte. Hermine war die zwölfte von fünfzehn Kindern. Die „ Baurschaft“ warf gerade so viel ab, um nicht hungern zu müssen. „Miar hoobm olm olz aufgessn. Niamt hot gsogg: deis mog i nit“, erklärt sie. Hermine besuchte die mehrklassige Zwergschule nahe ihrem Hof. Im dritten Schuljahr stand plötzlich eine neue Lehrerin vor ihr, die sie nicht verstand. Aus dem Deutschunterricht war über Nacht ein Italienischunterricht geworden. Erst nach und nach lernten die Kinder Wörter der fremden Sprache. „Dr Lehrerin isch-as a nit guat gongan“, meint Hermine. Sie bemühte sich sehr und machte große Fortschritte. Noch heute erinnert sie sich mit Freude an die karierte Wolldecke, die sie und ein Nachbarsbub als Anerkennung für ihren Fleiß überreicht bekamen. Auch die „Befana“ hat sie nicht vergessen. Nach Neujahr erhielten alle Kinder Geschenke. Heute ist ihr klar, dass die Lehrerin diese aus eigener Tasche bezahlt hat. Bereits mit neun Jahren arbeitete Hermine im Sommer in Matsch als „Kindsdiarn“. Nach dem Schulabschluss kam sie als solche zu einem Bauern nach Planeil, wo sie kurz darauf zur „Diarn“ aufstieg.. „Dr greascht Verdianscht isch’s Gwont gwesn, deis ma kriag hott“, erklärt sie. Ihre nächste Arbeitsstelle war beim „Karner“ in Prad, wo sie kochen lernte. Nachdem ihre Mutter erkrankt war, kehrte sie auf den Heimathof zurück. Dort waren regelmäßig Handwerker auf „Stör“, darunter auch der Schuster Josef Januth aus Tartsch. Zwischen dem sechs Jahre älteren junge Mann, der eben aus dem Krieg heimgekehrt war, und Hermine entwickelte sich eine Liebesbeziehung, die 1948 in die Ehe mündete. Das Paar richtete sich in einem alten Haus in Tartsch ein, das viele Mängel hatte und dessen Dach undicht war. „Miar hoobm mit nicht oungfongen unt jedn Knopf in die Renovierung gsteckt“, sagt sie. Josef zog weiter als Schuster umher und Hermine verdiente sich einige Lira mit Stricken und Häkeln. Gefragt waren vor allem „Sarner“ aus Schafwolle. Nebenbei machte sie sich in der eigenen kleinen Landwirtschaft nützlich oder war als Tagelöhnerin bei Bauern beschäftigt. Als der Schusterberuf nicht mehr viel einbrachte, weil günstige Schuhe in Massen auf den Markt kamen, nahm auch Josef Gelegenheitsarbeiten an. Der Kinderwunsch blieb dem Paar verwehrt. Doch die beiden haderten nicht. Die Beziehung verlief harmonisch und war von gegenseitigem Respekt geprägt. Josef starb 2003. Sieben Jahre lang lebte Hermine allein, dann beschloss sie ins Martinsheim zu ziehen. Diese Entscheidung hat sie bis heute nicht bereut. „Wenn ma deis freiwillig tuat, geht’s oam guat, wenn nit, konn ma a droun zerbrechn“, sagt sie. Beweglichkeit trainiert sie mehrere Male am Tag beim Treppensteigen vom Zimmer im zweiten Stock bis ins Parterre. „In Aufzug brauch i nou nit“, erklärt sie. Durch dieses Training und die Teilnahme an den verschiedensten Aktivitäten, wie dem Turnen, Basteln und Kartenspielen hält sie sich körperlich und geistig in Form. Auch allein in ihrem Einzelzimmer fühlt sie nie Langeweile. Jede freie Minute ist sie mit ihren Handarbeiten beschäftigt. Die verloren gegangene Sehkraft auf einem Auge behindert sie zwar, und sie ärgert sich über den vermeintlichen Ärztefehler, doch sie lässt sich nicht unterkriegen. Wie einst die „Hennastund“ genießt sie heute das Stricken und Häkeln.
Magdalena Dietl Sapelza
Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau