Schlanders erzählt... Märchenherbst

Maerchenherbst24

 
 
Dienstag, 16 Oktober 2012 00:00

Ich fühle mich hier pudelwohl, aber nicht zuhause

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Portrait Wieslaw Frelik Polen, Naturns

s15_FrelikZum ersten Mal kam ich 1991 mit Kollegen als Apfelpflücker hierher. Südtirol war für mich wie ein Traumland. Ich liebe die Natur, gehe gerne wandern, Ski sowie Fahrrad fahren; und bin Mitglied beim Alpenverein. In Polen habe ich auch bei einer Tanzgruppe mitgewirkt. Letzteres mache ich hier nicht mehr. 1994 wanderte ich dann alleine von einem kleinen polnischen Dorf namens Kraszewo, das 214 km von Warschau entfernt ist, nach Naturns aus.

 

Meine Gründe waren familiäre und finanzielle. Ich wollte nach meiner Scheidung ein neues Leben beginnen. Zudem haben mich die besseren Verdienstmöglichkeiten angelockt. Hier in Südtirol lernte ich auch meine slowakische Frau kennen. Mittlerweile haben wir zwei Kinder im Alter von sechs und acht Jahren. Mit ihnen spreche ich oft polnisch, jedoch antworten sie mir meist im Südtiroler Dialekt. Meine Frau unterhält sich mit ihnen auf Slowakisch. Diese Sprache beherrschen sie auch besser. Deutsch habe ich mir selbst beigebracht. Daher hatte ich keine großen Schwierigkeiten, mich  zu integrieren. Allerdings bereitete mir der Dialekt anfangs Probleme.
Seit meiner Ankunft arbeite ich als Hausmeister in einem Hotel in Naturns. Eigentlich wäre ich gelernter Ingenieur. Jedoch habe ich nie in diesem Beruf gearbeitet. In Polen arbeitete ich nach dem Gymnasium und dem fünfjährigen Studium als technischer Arbeiter an einer Universität.
Je länger ich hier bin, umso mehr Kontakte knüpfe ich mit den Einheimischen. In Naturns kennen wir Polen uns alle untereinander. Ich versuche auch viel von der polnischen Kultur in den Familienalltag einzubringen. So kochen wir oft landestypische Gerichte. Die polnische Mentalität mit ihrer Offenheit und Gastfreundschaft vermisse ich. Außerdem fehlen mir meine vier Geschwister und meine Mutter sowie meine Freunde, welche noch in Polen leben. Eine Schwester ist auch hier in Südtirol. Ich habe viele Freunde, die auch ausgewandert sind und nun auf der ganzen Welt verstreut, unter anderem auch in New York, leben. Ich halte guten Kontakt über das Telefon, E-Mail und Skype zu meiner Familie und meinen Freunden. Mindestens einmal im Jahr treten wir die zwanzigstündige Fahrt nach Polen an oder wir reisen in die Slowakei. Nächste Woche besuchen wir meine Schwiegermutter, um ihren 70. Geburtstag zu feiern. Danach sind wir zur Hochzeit meiner ältesten Tochter in Polen eingeladen. Sie spricht fließend Deutsch, Französisch und Englisch. Ihr zukünftiger Ehemann ist ein Engländer. Ich freue mich schon sehr auf diesen Anlass, weil wir Polen sehr familiär sind. Vor allem zu Allerheiligen und Weihnachten steht die Familie an oberster Stelle. Bei uns ist es allerdings nicht üblich, dass die Kinder zu Allerheiligen von ihren Paten Geschenke bekommen. Am 24. Dezember fasten wir den ganzen Tag über, erst am Abend wird ein großes Festmahl gegessen. Wer es sich leisten kann, bereitet zwölf verschiedene Gerichte zu. Nach alter polnischer Tradition wird ein Platz für einen unerwarteten Gast freigelassen. Außerdem bringt bei uns Sankt Nikolaus, nicht das Christkind, die Geschenke.
Ich finde es gut, dass ihr ein solches Projekt macht, weil ich es als wichtig erachte, andere Kulturen kennenzulernen. So habe ich bereits in Deutschland, Österreich, Griechenland, Holland und Frankreich gelebt und gearbeitet. Dadurch hab ich viele interessante Erfahrungen gesammelt.
Bis vor einigen Jahren dachte ich, dass ich eines Tages in mein Land zurückkehren werde. Doch nun habe ich mich dagegen entschieden, weil für meine Kinder die Heimat hier ist. Außerdem müsste meine Frau dann die schwierige polnische Sprache erlernen.

Marilena Parth und Kathrin Renner

Dieses Portrait entstand im Rahmen des Projektes „Zuhause in der Ferne“ im Schuljahr 2011/2012 in der 3B des Sprachengymnasiums Schlanders. Das Projekt begleitete die Fachlehrerin für Deutsch Helga Karner. Der Vinschgerwind bedankt sich bei den Schülerinnen, der Fachlehrerin und den Portraitierten, dass sie uns die Portraits – diese und weitere – zur Verfügung stellen.


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