An der Baum- und Waldgrenze färben jetzt die sommergrünen Lärchen von grün auf gelb um. Die Bäume ziehen das wertvolle Blattgrün aus ihren Nadeln ein. Jetzt lässt sich wegen der Herbstfärbung besonders leicht der Anteil der Lärchen und der immergrünen Nadelholzarten am Waldbild unseres Bergwaldes abschätzen.
Alle einheimischen Wildpflanzen, welche die natürliche Vegetation bilden, aber auch unsere ausdauernden Kulturpflanzen sind an die Winterkälte angepasst. Dabei sind ihre Strategien verschieden. Einige dieser Anpassungen an den Winter als die auslesende Jahreszeit unserer Klimazone möchte ich heute beschreiben.
Sommergrün versus immergrün
Unter den waldbildenden Baumarten sind bekanntlich Fichte, Zirbe, Rot- Schwarz und Legföhre immergrün, ebenso wie Weißtanne oder Eibe. Die Lärchen sind sommergrün. Blattwerfend sind auch die meisten Laubbaumarten wie etwa Birke, die Weiden-, Pappeln- und Erlenarten, Esche, Buche und Eiche sowie alle unseren Obstgehölze. Durch den Blattabwurf vermeiden die Bäume Frostschäden an ihren empfindlichsten Organen, aber auch Frosttrocknis. Sie reduzieren auch massiv ihre Verdunstung. Wasserverlust bei gefrorenem Boden über die oberirdischen Organe bei langanhaltender winterlicher Sonneneinstrahlung mit einem hohen Anteil von Ultraviolettstrahlung bringt die aus dem Schnee ragenden Pflanzen unter Umständen an ihre tödliche Dürregrenze. Eis im Boden ein für die Pflanze nicht verwertbarer Aggregatzustand des Wassers. Nicht so sehr die Frostkälte, sondern die Frosttrocknis verursacht daher das Absterben von Ästen oder Gipfelpartien z. B. von Zirben knapp oberhalb der Schneedecke.
Nadeln als Blattausformung wie eben bei Fichte oder Zirbe, aber unter den Sträuchern auch bei den Wacholder-Arten stellen eine extreme Reduzierung der Blattflächen dar. Diese Verkleinerung der Blattspreite auf schmal lanzettliche Formen verringern die Wasserverluste durch Verdunstung, lassen aber noch die überlebensnotwendige Aufnahme von Kohlendioxid als Photosynthese-Gas über die Spaltöffnungen der Nadeln zu. Manche Nadelhölzer wie z.B. Zirbe, Tanne oder auch Wacholder haben an ihren Nadeln zusätzlich noch Wachsstreifen, um die Transpiration weiter zu verringern.
Erhöhung der Frostresistenz
Jene Gebirgspflanzen, welche mit oberirdischen Organen überwintern, haben einen ausgesprochenen Jahresgang ihrer Kälteresistenz. Ihr Fortpflanzungszyklus von Wachsen, Blühen, Fruchten und Samenreife liegt im frostfreien Sommer. Die Frostresistenz der Pflanzenart ist in diesem Entwicklungsstadium gering, im Winter ist sie in Anpassung an die tiefen Außentemperaturen hoch. Die winterliche Unempfindlichkeit gegen Frost wird durch die Einlagerung von Glykol als Alkohol in den Zellsaft möglich. Der Alkohol entsteht aus den Zuckern der Photosynthese und wirkt Gefrierpunkt erniedrigend. Dieses Prinzip der Absenkung des Gefrierpunktes von Wasser unter 0° C nutzen wir Menschen bei der Verwendung von Streusalz auf winterlichen Schneestraßen oder mit dem Frostschutzmittel im Autokühler. Die erhöhte winterliche Frostresistenz von Pflanzen können Sie in einem kleinen Experiment selbst ausprobieren. Wenn Sie im Winter eine kleine Rosette einer Hauswurz aus Ihrem Steingarten für ein paar Tage in das Gefrierfach Ihres Kühlschrankes legen und es anschließend eingetopft hinter das warme Stubenfenster stellen, wird die Pflanze nach einer bestimmten Aufwärmzeit wieder austreiben.
Überleben unter der Erde
Sich mit allen oberirdischen Organen zurückziehen und mit Wurzeln, Rhizomen, Knollen oder Zwiebeln überwintern ist eine weit verbreitete Überlebensstrategie, die nicht nur das Überleben der Art in der Kälte sichert, sondern auch bei lang anhaltender Trockenheit und Dürre v.a. auch in den heißen Klimazonen unserer Erde wie in den Wüsten, Steppen, Savannen. Alle Arten von Gräsern und die krautigen Pflanzen und damit auch die Stauden überdauern mit diesem Verhaltensmuster.
Stauden und Sträucher
In unserem Dialekt bedeutet „Stauden“ etwas anderes als in der botanischen Fachsprache. Botanisch versteht man unter „Staude“ eine krautige, nicht verholzende Pflanze. Beispiele aus unsere Gartenblumen wären Akelei, Rittersporn, Feuerlilie, Pfingstrose, Rhabarber. Umgangssprachlich verwenden wir den Begriff „Staude“ für eine verholzende, strauchförmige Pflanze, etwa wie Hecken: Hagebutte, Weißdorn, Sanddorn, Berberitze, Pfaffenhütchen, Wacholder. Unsere dialektale Verwendung von „Staude“ ist botanisch falsch. „Stauden“ botanisch sind unverholzte, krautige Pflanzen ohne oberirdische Überwinterungsorgane.
Sich unter der Decke wärmen
Im Schutz der wärmenden Schneedecke überwintern ist eine weitere Überlebensstrategie von Gebirgspflanzen. Bei ausreichender Schneehöhe wird die unterste Schicht des Schnees kaum kälter als 0° C. Almrosen, Preisel- und Schwarzbeeren und noch weitere Zwergsträucher betten sich unter der schützenden Schneedecke warm. Weil der vergangene Winter 2017/18 sehr schneereich war, haben die Almrosen gut überwintert, sind nicht vertrocknet oder erfroren und haben im Sommer 2018 kräftig geblüht.
Alles in den Samen packen
Eine weit verbreitete Strategie vieler Pflanzenarten in allen Klimazonen ihre Art zu erhalten, ist die Einjährigkeit: Die Pflanze schließt ihren gesamten Reproduktionszyklus von der Blüte bis zur Samenreife in der Vegetationszeit ab und packt die gesamte Erbinformation und Energie in ihre Samen. Samen sind im Gegensatz zur vegetativen Vermehrung mit immer identischen Erbanlagen das Produkt von Bestäubung und Befruchtung und damit auch von Austausch von Erbinformation. Mit dem Verbreiten der Samen und deren Auskeimen beginnt die Erhaltung der Art im nächsten Frühjahr neu. Beispiele aus dem Garten und dem Acker: Die Sonnenblume und der Weizen.
Weil der Hochgebirgssommer kurz und zudem auch von Kälteeinbrüchen mit Frost unterbrochen sein kann, fahren verschiedene Gebirgspflanzen die Doppelstrategie: fertile Vermehrung durch Samen und vegetative Vermehrung durch Wurzelsprosse, Ausläufer, Brutknöllchen. Beispiel: Alpen-Petersbart, Lebendgebärendes Rispengras.
Extremstandort Windgrat
Kuppen, auf welchen der eisige Bergwind den Schnee verweht, sind im Winter die extremsten Wuchsstandorte für Gebirgspflanzen. Austrocknende Sonnenstrahlung, verdunstungsfördernden Wind und scharfer Bodenfrost stellen höchste Anforderungen an die pflanzlichen Überlebenskünstler. Sich eng als Spalierstrauch an den Boden anschmiegen, teilweise im wärmenden Humus mit verholzenden Kriechsprossen wachsend und mit kleinsten, ledrigen Rollblättchen wachsend, trotzen diese Windgrat-Spezialisten dem Bergwinter. Reservestoffe aus dem Sommer, Spaltöffnungen nur an der Sonnen abgewendeten Blattunterseite vermindern den Wasserverlust durch Transpiration, lassen aber noch die überlebenswichtige Photosynthese zu. Die Alpenazalee oder Gämsheide (Loiseleuria procumbens) ist so ein Überlebenskünstler. Wie der Name schon sagt, ist die Gämsheide am aperen Windgrat die winterliche Notration für die Gämse und das Schneehuhn.
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