Schloss Tirol und Schloss Kastelbell, zwei historische Zentren unseres Landes, in denen es immer wieder „geistert“, nachweisbar in zwei fast gleichzeitig laufenden Ausstellungen.
Beim altösterreichischen Adeligen Fritz von Herzmanovsky-Orlando (1877 bis 1954) verstehen wir das ohne weiteres, beim 1936 in Gröden geborenen Markus Vallazza muss das „Geistern“ näher erklärt werden.
Zuerst der Baron, der lange in Meran gelebt hat, Künstler und Dichter, der seine Zeichnungen mit FHO signiert und über den wegen der vielen nackten Mädchen eine spontane Äußerung kursiert: Er isch a Fock!
Das ist hier im Land Tirol - und auch anderswo - nicht unbedingt eine Empfehlung. Aber diese Einschätzung wurde auch Anlass für eine vertiefenden Unterredung mit dem Ergebnis, diesem Künstler gelänge es, über das Sexuelle zu lachen, es zu zähmen, ja zu ironisieren. Viele Künstler leiden angeblich unter der Allmacht der Sexualität, oder sie protzen damit, tolle „Hechte“ zu sein, also tolle Liebhaber. Das Erotische wird verdrängt oder verherrlicht - irgendwie wird darunter gelitten. Beim Baron aber wird es heiteres, übermütiges Spiel mit unerwartetem Tiefsinn.
Als Erklärung wird angegeben, er wäre sehr glücklich verheiratet gewesen, hatte also eine kluge, geschickte Frau, die für seine Spielereien Verständnis aufgebracht habe. Das war einleuchtend. Dann aber folgte ein ergänzendes Gegenargument: Die Ehefrau war lesbisch.
Immer verwirrender wurde die Diskussion über die „fockische“ Kunst. Einen möglichen Ausweg bietet im Buch „Forscher im Zwischenreich“ der Aufsatz von Franziska Meifert: Fritz von Hermanovsky-Orlando, der übermütige Matriarch. Darin analysiert sie eine Zeichnung mit einem nackten Mädchen als thronende Mitte, als Herrscherin. Drum herum nur zwerghafte Gnomen, Erdmännchen, Heldenmännchen, dämonische Schmiede.
Das Männliche als Missgeburt. Das Patriarchat, die Männerherrschaft ist vorüber, es beginnt eine neue Zeit: „Das Mysterium des Weiblichen ist das der Seele und des Lebens, der Liebe und der Ewigkeit.“
Eine der wesentlichen Aussagen der Kunst von FHO: Die weibliche Sexualität bricht als Naturgewalt über die Männer herein; sie ist gleichzeitig magnetisch anziehend und Angst einjagend. Die Männer werden zu verzerrten Waschlappen, zu lächerlichen Gestalten, zu Antihelden, zu Gartenzwergen. Widersprüchliches geistert durch das meisterhaft gezeichnete Werk, knabenhafte und füllige Göttinnen, Frauen mit kleinem Glied. Das Panoptikum eines ausklingenden Festes im Prunksaal der Weltgeschichte.
Sichtbar wird hier eine absolut revolutionäre Auffassung über Zwischenformen der Geschlechtserfahrung, über „Neosexualitäten“, wie Volker Sigusch sie nennt. Im Grunde „gibt es nur Fraumänner und Mannfrauen in unendlich vielen Mischungsverhältnissen.“
Ich suche Trost beim sehr männlichen Markus Vallazza. Seine Kunst ist hart und bestimmt, rational und fordernd. Dieser Künstler stürzt sich kämpferisch ins Getümmel aller Weltfragen, tröstet sich mit nackten Frauen, verschlingt sie ... aber was rede ich da? Schon bald kniet er nieder wie vor einem Marienbild und betet es an, als Urmutter. Überall zeigt es sich anders, das Weibliche, dem der Markus folgt wie der Ritter seinem Ideal. Er muss sich immer wieder vergewissern, auf dem richtigen Weg zu sein, bei seiner endlosen Suche nach der wahren Liebe.“L‘amore fa nuovo il sole e le stelle“ schreibt er unter seine Zeichnung, die sich an W. Blakes Weltgericht inspiriert. Also Liebe als Schöpfungskraft, die alles erneuert, Sonne und Sterne. Schöpfung total, sehr männlich – der Weltenrichter aber hat weibliche Züge.
Der mehrsprachige Markus ist ein Weltreisender, Kosmopolit, ein europäischer Minnesänger wie sein Ururonkel Oswald von Wolkenstein, den er immer wieder zeichnet. Buchautor, Preisträger, Umweltschützer, politischer Denker, engagierter Schreiber, stürzt er sich immer wieder ins Getümmel moderner Arenen, auch zu Fragen der Wissenschaft. Hervorragende Naturstudien, „Liebesflöhe“, „Insektenliebe“, aber auch „Blumen für Mariechen“. „Eli Eli Lama“ eine Radierung für die Mutter aus dem Jahre 1974 und ein Selbstporträt aus dem Jahr 1978.
Er zeigt Lebensbilder des hysterisch nach Männlichkeit lechzenden Philosophen Nietzsche und geistert mit ihm und unzählig anderen Geistesgrößen durch das Schloss: Aufsteigend von den niederen Stockwerken nach oben, immer höher, wie der von Beatrice geführte Dante in der Divina Comedia.
In der Radierung „Das Gelübde“ aus dem Jahre 1972 kniet Oswald von Wolkenstein unterwürfig und flehend vor einer nackten, herrschaftsgewohnten Frau, die dem Minnesänger ein Versprechen abnimmt: Er muss seine Waffen ablegen, muss sein Wanderleben aufgeben, muss nach Hause kommen. Muss den einzigen Gott anbeten, den es gibt, die Frau. Dann wird der Mann, der Markus, vielleicht zu sich selbst finden.
Die Ausstellung in den beiden Schlössern Kastelbell und Tirol signalisieren den Übergang von der groben Männerherrschaft zum beginnenden Zeitalter des Matriarchats. Ohne Frau geht überhaupt nichts ... die beiden Künstler haben dies schon lange gewusst - der Fritz etwas früher, der Markus etwas später.
Hans Wielander
Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau