Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Thomas von Aquin, 7. März 2012
Der Nationalpark Stilfserjoch ist ein Gebirgsnationalpark. Ob seiner Höhenlage ist er auch ein Nationalpark der Gletscher und des Wassers. Zumindest heute noch! Denn die Gletscher schwinden massiv. Im ersten Klima-Report der Europäischen Akademie Bozen, publiziert im Dezember 2011, kann man im Kapitel „Auswirkungen des Klimas auf die Umwelt und die Gesellschaft“ unter anderem lesen: „Die Gletscher in den Alpen haben seit 1850 ca. die Hälfte ihrer Masse verloren. Als Folge der immer schneller steigenden Temperaturen schrumpfen sie immer mehr. Allein ein Viertel ihrer Masse verloren sie in der Periode 1975-2000, 10 % in der Periode 2000-2007. Im Hitzesommer 2003 verloren die Alpengletscher im Schnitt drei Meter an Eis, viermal so viel wie in einem durchschnittlichen Sommer. Dieser Rückgang wird weiter rasant zunehmen. Legt man die Klimaszenarien für die Alpen zugrunde, so wären bis 2050 nur noch 30 – 50 % der Gletscherbedeckung vorhanden.“
Auffälligstes Merkmal für den Klimawandel: der Gletscherschwund
Der Gletscherschwund ist das augenfälligste Merkmal für den Klimawandel in unseren Breiten. Wegen ihrer geringen Größe reagieren Südtirols Gletscher besonders auffällig auf die Erderwärmung. Das Hydrographische Landesamt der Autonomen Provinz Bozen Südtirol überwacht vier ausgewählte Gletscher in verschiedenen Landesteilen als Langzeitbeobachtungsflächen besonders intensiv. Es sind dies: Weißbrunnferner, Langenferner, Westlicher Rieserferner, Übeltalferner. Alle vier Gletscher zeigen eine negative Tendenz. Die Beobachtungsreihe reicht für den Weißbrunnferner oberhalb von St. Gertraud in Ulten bis in das Jahr 1961 und damit am weitesten zurück. Für den Weißbrunnferner wurde seit 1961 eine Abnahme seines Volumens um fast 70 % ermittelt.
Die Gletscher im Nationalpark Stilfserjoch
Innerhalb der Grenzen des Nationalparks Stilfserjoch gibt es zum heutigen Zeitpunkt insgesamt 169 Gletscher, davon 66 im lombardischen Parkanteil, 57 auf südtiroler und 26 auf Trentiner Parkgebiet. Alle Gletscher des Nationalparkgebietes zusammengenommen bedecken eine Gesamtfläche von 11.011 Hektar. Diese Fläche vorstellbarer gemacht, bedeutet: Sie entspricht genau der Flächenausdehnung der Gemeinde Laas. Das in den Gletschern des Nationalparks Stilfserjoch gespeicherte Wasser wird von den Fachwissenschaftlern mit 3.027.345.813 m³ angegeben. Auch das Volumen von über drei Milliarden Kubikmetern Wasser können wir uns griffiger und vorstellbarer machen: Der Reschen-Stausee fasst 100 Millionen Kubikmeter Wasser, der Zufritt-Stausee in Martell hingegen 20 Mio. m³. Das in den Gletschern des Nationalparks Stilfserrjoch gespeicherte Wasser könnte den Reschensee 30 Mal und den Marteller Stausee 150 Mal füllen. Das im Gletschereis konservierte Wasser scheint eine ungeheure Menge zu sein. Aber wenn der derzeitige Trend der Erderwärmung ungebremst und unverändert anhält, wird bald das Nährgebiet fehlen: Beim derzeitigen Temperaturanstieg würden die Gletscher in den Alpen in den kommenden 70 – 100 Jahren völlig ausapern.
Die Gletscher in den Alpen
Jürg Alean macht in seiner Publikation „Gletscher der Alpen“, 2010 erschienen im Haupt-Verlag Bern, Stuttgart, Wien zur Anzahl, Fläche und Verteilung der Gletscher in den Alpen folgende Angaben: Um das Jahr 2000 existieren alpenweit rund 5.000 Gletscher mit einer Gesamtfläche von rund 2.400 km², wovon der Löwenanteil mit 43% auf die Schweizer, 23% auf die italienischen, 19% auf die österreichischen und 14% auf die französischen Alpen entfallen. Die Kleingletscher des deutschen und slowenischen Alpenanteils machen zusammen unter 1% aus.
2.400 km² vergletscherter Fläche im gesamten Alpenbogen entsprichen 1/3 der Südtiroler Landesfläche von 7.400 km².
Die Klimaveränderung in den Alpen läuft beschleunigt ab
Die Alpen sind im weltweiten Vergleich besonders stark vom Klimawandel betroffen. So fiel im Alpenraum die Erwärmung in den letzten 100 Jahren mit +2°C doppelt so stark aus als im europäischen Durchschnitt! Die Anzahl der Tropennächte pro Jahr in der Stadt Bozen etwa hat sich im Zeitraum 1956 – 2010 von einer auf 20 Nächte verzwanzigfacht. Als Tropennacht ist in der Wetterkunde eine Nacht definiert, in der das Minimum der Lufttemperatur nicht unter +20°C absinkt. Anhand unterschiedlicher Klimaszenarien haben die Wissenschaftler an der Europäischen Akademie Bozen errechnet, dass die Jahresdurchschnittstemperatur der Luft in Südtirol bis zum nicht allzu fernen Jahr 2050 in einem optimistischen Modell um +1,2°C und in einem pessimistischeren Modell sogar um +2,7°C ansteigen wird. Der Klimawandel wird Auswirkungen haben auf die Umwelt und auf verschiedene Lebens- und Wirtschaftsbereiche wie etwa Wasserwirtschaft, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Naturgefahren, Tourismus, Gesundheit. Detaillierteres, soweit es heute schon abschätz- und beschreibbar ist, in einem zukünftigen Beitrag in einer der nächsten Nummern dieser Zeitung.
Die Gletscher – unsere nachhaltigsten Wasserspeicher
Dass die Gletscher unsere größten und nachhaltigsten Wasserspeicher sind, gehört zum Allgemeinwissen und muss nicht näher ausgeführt werden. Interessanter ist im Zusammenhang mit der zukünftigen Verknappung unserer Wasserressourcen durch den Klimawandel mit dem beschleunigten Abschmelzen der Gletscher die Aufschlüsselung des derzeitigen Wasserverbrauchs in Südtirol. Aus dem Wassernutzungsplan des Landes Südtirol, zitiert im Klima-Report der EURAC Bozen (2011), lässt sich der Wasserverbrauch wie folgt aufschlüsseln:
Jährlicher Wasserverbrauch in Südtirol nach Nutzungen:
Landwirtschaft: 200 Mio. m³
entspricht 65 % des Gesamtverbrauchs
Industrie: 50 Mio. m³ ~ 16 %
Trinkwasser: 52 Mio. m³ ~ 17 %
Kunstschnee: 6,4 Mio. m³ ~ 2 %
Bei knapper werdenden Ressourcen an Wasser braucht man kein Hellseher zu sein, um zu erahnen, dass die Nutzungskonflikte um das Wasser besonders auch im niederschlagsarmen Vinschgau als inneralpinem Trockental in Zukunft noch weiter zunehmen werden. Und wir tun als Gesellschaft gut daran, die Klimaziele der Kyoto-Konferenz ernster zu nehmen als bisher, nämlich den Ausstoß der Treib-hausgase drastisch zu verringern. Es ist ja die erhöhte Produktion von Treibhausgasen in den industrialisierten Ländern unserer Erde die Ursache für die Erderwärmung und den Klimawandel. Und wir tun weiters gut daran, Anpassungsstrategien an die möglichen Folgen des Klimawandels rasch und konsequent umzusetzen. So steckt etwa in der Landwirtschaft ein großes Wassereinspar-Potential durch die Umstellung von Oberkronen-Beregnung auf Tropf-Beregnung.
Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau