Mittwoch, 22 Februar 2012 00:00

Nationalpark Stilfserjoch: Das 4. Paar – Das Bartgeierjahr 2011

Artikel bewerten
(0 Stimmen)

Wolfgang Platter, am Faschingsdienstag, 21. Februar 2012

026B2-Giacomo-AlboDas Jahr 2011 war ein erfolgreiches für die Wiederansiedlung des Bartgeiers in den Alpen: Die Brutpaare im Freiland haben insgesamt 14 Junge bis zum Ausfliegen gebracht und  die 33 Brutpaare in den Aufzuchtstationen und in den Zoos haben weitere 21 flügge Junggeier beigesteuert. Die Bemühungen zur Vergrößerung der genetischen Variabilität der Vögel wurden durch den Austausch von Tieren in den Zuchtstationen verstärkt. Im italienischen Teil des Alpenbogens ist das Beobachtungsnetz RIMANI im Aufbau. RIMANI steht für Rete Italiana Monitoraggio Avvoltoi Nord Italia.  Vom 11. – 13. November 2011 fand in Mallnitz im Kärntner Anteil des Nationalparks Hohe Tauern die Vollversammlung 2011 der Internationalen Bartgeier-Stiftung statt. Dort wurde Bilanz gezogen über das Projekt zur Wiederansiedlung des Bartgeiers, das im Jahre 1986 begonnen hat und demnach im letzten Jahr 25 Jahre alt geworden ist. Der heutige Beitrag ist daher wieder einmal den Bartgeiern gewidmet.

82 Junggeier aus Naturbruten
Im Jahre 1997, also 11 Jahre nach der Freilassung der ersten Bartgeier in den Alpen aus Zoozuchten, ist der erste Junggeier aus einer Naturbrut erbrütet worden und flügge geworden. Seither sind in den Alpen 82 Bartgeier aus Naturbruten geboren worden, 40 davon in den lombardischen Tälern des Nationalparks Stilfserjoch und in den angrenzenden Graubündner Tälern der benachbarten Schweiz. Das ist die Hälfte aller Naturbruten! Damit erweisen sich die Zentralalpen rund um das Ortler- Cevedale-Massiv als besonders geeigneter Lebensraum. Eine Erklärung dafür liegt im guten Nahrungsangebot aus Fallwild und aus Weidentieren, welche während der Almsömmerung verunfallen.
uova_gipetoZu den 14 Jungvögeln aus Naturbruten in den Alpen 2011 kamen noch 9 Junggeier aus den Zoos und den Aufzuchtstationen, welche aus insgesamt 21 erfolgreich in Gehege-Haltung  aufgezogenen Tieren für Freilassungen zur Verfügung gestellt worden sind. Die Freilassungen von Junggeiern sind im Jahre 2011 im italienischen Naturpark Alpi Marittime (2 Geier), im französischen Naturpark Vercors (2), im österreichischen Nationalpark Hohe Tauern (2) und im schweizerischen Calfeisental im Kanton St. Gallen (3) erfolgt.

Satelliten-Telemetrie mit Solarzellen
Seit dem Jahre 2004 sind insgesamt 28 Junggeier freigelassen worden, welche vorab mit Satelliten-Sendern ausgestattet worden waren, um ihre Wanderbewegungen und Ortswechsel aufzuzeichnen. Nach verschiedenen technischen Verbesserungen wurden 2010 erstmals Satelliten-Sender mit Solartechnik eingesetzt, was das Problem der Entladung der Batterien gelöst hat und eine wesentlich größere Anzahl von Ortungen zulässt. So konnten die 7 im Jahre 2011 besenderten Vögel zwischen zwischen 700 und 1.700 Mal geortet werden.

Ingenius und Sardona
Interessant und weiter aufschlussreich sind die Flugbewegungen der beiden Bartgeier Ingenius und Sardona. Beide Vögel waren im Jahre 2010 im Calfeisental im Kanton St. Gallen freigelassen worden.
Ingenius wurde bis zum November 2011 6.600 Mal geortet. In den Sommermonaten konnten dank Solartechnik bis zu 24 Ortungen pro Tag vorgenommen werden. Dies ist ein sehr hoher und aufschlussreicher Grad an Detailierung. So konnte zum Beispiel erhoben werden, dass Ingenius in nur 6 Stunden vom Freilassungsort im Calfeisental in der Ostschweiz 220 Kilometer nach Westen an den Genfer See geflogen ist. Die mittlere Fluggeschwindigkeit betrug demnach rein statistisch berechnet 37 km/h.
Beispiel 2 für die Flugbewegungen: Der Junggeier Sardona. Zwischen dem 30. Mai  und dem 14. Juni 2011 ist der Vogel vom Calfeisental in St. Gallen an die Nordsee nach Belgien geflogen: Am 1. Juni war er in Offenburg, am 3. Juni 50 km südlich von Paris, dann hat er eine Woche in der Normandie verbracht (4.-10. Juni), ist anschließend 50 km nördlich von Paris (12. Juni) nach Bruge an der belgischen Nordsee (14. Juni) geflogen, um danach wieder in das Calfeisental in der Ostschweiz zurückzukehren.

Landbrücke
Sieht man diese Flugdistanzen von Bartgeiern, so wird vorstellbar, was sich die Projektinitiatoren erhoffen: Dass die Bartgeier der Alpen über die Festlandbrücke jene der Pyrenäen erreichen und sich wieder vereinen. Dies ist eines der Ziele des Wiederansiedlungsprojektes. In den Pyrenäen ist der Bartgeier nie ausgestorben und es gibt in der spanisch-französischen Gebirgskette noch eine vitale Population mit ca. 110 Brutpaaren.

Monitoring im Nationalpark Stilfserjoch 2011
Alle drei Brutpaare, welche sich  innerhalb der lombardischen Täler des Nationalparks Stilfserjoch gebildet haben, haben auch im Jahre 2011 erfolgreich gebrütet und je einen Jungvogel zum Ausfliegen gebracht. Die beiden Paare „Bormio“ und „Livigno“ haben sich im Laufe der Jahre als die erfolgreichsten Brüter erwiesen. Sie haben bisher 11 (Paar Bormio) bzw. 10 Jungvögel (Paar Livigno) großgezogen.

img066Erfolg und Verlust
Für das Jahr 2011 ist die Bildung eines neuen  4. Brutpaares in den lombardischen Tälern zu vermelden! Das neue Paar „Foscagno“ hat in seiner 1. Brut ein Junges erfolgreich aufgezogen.
Auch ein Verlust war zu verzeichnen: Das im Mai 2010 in der Nähe von Bormio tot aufgefundene adulte Bartgeier-Weibchen konnte mit Hilfe der genetischen Analyse als „Königin von Livigno“ identifiziert werden. Der Vogel war am 28. März 2003 aus einer Naturbrut im Horst Livigno geschlüpft. Todesursache: Eiterndes Abszess in der Kloackengegend nach einer Flugattacke durch einen Steinadler von unten und Verletzung durch die Krallen des Adlers an den Weichteilen des Bauches. Die Steinadler sind besonders in der Brutzeit sehr territorial und verteidigen ihren Horst aktiv und aggressiv gegen Eindringlinge in ihren Luftraum.

Webcam im Horst Zebrù
Die Filmkamera im Bartgeier-Horst im Zebrù-Tal hat auch im Jahre 2011 viele und gute Bilder geliefert. Die Auswertung der Bilder lässt unter anderem wissenschaftliche Aussagen über das Zeitbudget der Altvögel bei der Aufzucht des Jungvogels zu, aber auch über das Wachstum und Verhalten des Jungvogels.

Die Bartgeierpopulation in den Zentralalpen
Wie oben gesagt, hat die Wiederansiedlung der ausgestorbenen Bartgeier in den Alpen im Jahre 1986 begonnen. Seit der 1. Bartgeier-Geburt aus einer Naturbrut in den Alpen im Jahre 1997 sind bis im Jahre 2011 insgesamt 82 Junggeier aus Naturbruten flügge geworden. Im Jahre 2006/07 hat die Anzahl der Bartgeier aus Naturbruten erstmals die die Zahl der freigelassenen Junggeier überstiegen.
Für das Jahr 2011 wurde errechnet, dass die derzeitige Bartgeier-Population in den Alpen zu 32 % aus Naturbruten stammt. In Relation zu den Freilassungen gesetzt, bedeutet dies auch, dass die Population in weniger als 10 Jahren einen Zuwachs von ¼ erfahren hat. Dies ist ein hervorragendes Ergebnis für das Wiederansiedlungsprojekt.
Noch etwas zu den Brutorten und-erfolgen in das Detail gehend, kann gesagt werden, dass die Bruterfolge in den Zentralalpen (mit 71 %) deutlich höher sind als in den Ostalpen (14 %) und in den Südwest-Alpen (14 %). Zwei Begründungen werden von den Experten zur Erklärungen dieses  Umstandes in Erwägung gezogen: Neben der Qualität der Lebensräume mit dem hohen Angebot aus Aas von Huftieren unter den Wildtieren und verunfallten Almtieren ist die Erfahrung der Brutpaare ausschlaggebend: In den Zentralalpen ist das Lebensalter der Brutpaare bisher deutlich höher als in den Randalpen.

 

Nationalpark Stilfserjoch

Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau


Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /www/htdocs/w00fb819/vinschgerwind.it/templates/purity_iii/html/com_k2/templates/default/item.php on line 248
Gelesen 2846 mal

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.