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Maerchenherbst24

 
 
Dienstag, 29 November 2011 00:00

„…mitn Radl zun Organischt“

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Michael Wallnöfer, genannt  „ Brunner Michl“, Jg 1931

s15_3484Über drei steile Treppen erreicht Michl die Orgel, die wie ein Nest an der Nordwand der Pfarrkirche klebt. Seit sechzig Jahren entlockt er den Orgelpfeifen harmonische Töne und begleitet die Sängerinnen und Sänger, die eng nebeneinander  neben ihm stehend ihre Köpfe wegen der Gewölbe-Schräge einziehen müssen. Seine Begeisterung für Kirchenmusik entdeckte er als Ministrant im Alter von sieben Jahren. Lateinisch war damals die Kirchensprache. Der Pfarrer Michael Wieser lehrte ihn nicht nur lateinische Gebete, sondern sang mit ihm auch Psalmen. „In di Festtag hoobm miar lateinische  Vesper gsungan“, erzählt er. Mit zwölf Jahren war er Lektor für die deutschen Texte. Und das obwohl in seiner Schulklasse der faschistische Geist herrschte und nur Italienisch erlaubt war. Deutschunterricht genoss er heimlich. „Miar hoobm lei s`Notwendigste lernan kennt“, sagt er. Deshalb besuchte er 1946 die „Bürgerschule“ in Prad. Wie viele andere Jugendliche aus dem Raum Obervinschgau, wanderte er täglich zu Fuß dorthin.

 

Beschäftigt war er auf dem elterlichen Hof und  einige Male auch der Alm, so auch 1948. Das Jahr ist ihm in Erinnerung geblieben, weil ihn eine akute Nierenentzündung beinahe das Leben gekostet hätte. Mit dem Pfarrer tauschte er sich oft aus. Da dieser einen Kirchenchor aufbauen wollte, stellte er Michl dem Organisten Franz Schöpf in Schleis vor, mit der Bitte ihn auszubilden. „Oa Johr long bin i mitn Radl zun Organischt“, betont er. Daheim übte er auf dem Harmonium und auf der Kirchenorgel. Dem Pfarrer half er bei der Suche nach Sängerinnen und Sängern. Rund 20 Leute meldeten sich, und im Herbst 1950 begann Michl mit den Proben für eine Weihnachtsmesse. Als Organist war er gleichzeitig Chorleiter. Trotz großer Anspannung  gelang der erste Auftritt am Weihnachtstag überzeugend. Von da an gehörten die Proben zu Michls Wochenrhythmus.

Schon bald kamen neue Aufgaben auf ihn zu. Nach einer Singprobe überraschte ihn der Pfarrer mit der Botschaft, dass man ihn zum neuen Fraktionsvorsteher wählen wollte. Michl nahm das Ganze nicht allzu ernst. In Abwesenheit  wurde er dann mit 90 Prozent der Stimmen gewählt. Er war erst 23 Jahre alt. „Selm bin i überrascht gweesn“, sagt er. 30 Jahre lang stand er im Dienst der Fraktionsverwaltung. Laufend übernahm er neue Aufgaben. Er war Mitbegründer der Viehversicherung,  Bonifizierungs-Vorstand, Katastervertreter, Milch-Messer, Strom-Ableser und Stromgeld-Kassier. Weltoffen und mit einer guten Portion Hausverstand setzte er sich für die Dorfgemeinschaft ein, immer interessiert an fortschrittlichen Entwicklungen. 1957 kaufte er sich als Erster im Ort eine Mähmaschine.  „Di Oltn hoobm zerscht glocht, norr hon i für olle maien kennt“, lacht er. Sein privates Glück fand er mit seiner 16 Jahre jüngeren Frau Annelies Dietl, die er 1964 heiratete und die ihm vier Kinder schenkte. Kurz nach der Hochzeit wurde er gebeten, die Mesnerei zu übernehmen. „Als Organischt geht sell in oan, hots ghoaßn“, erklärt er. Er übernahm die Aufgabe nach langem Zögern. Acht Pfarrer betreute er im Laufe der Zeit, und das fast täglich. Mittlerweile hat Lichtenberg keinen eigenen Priester mehr. Michl ist meist nur noch an den Sonntagen gefordert, wenn der Prader Pfarrer kommt.

Am vergangenen Sonntag übernahmen andere die Regie, in der Sakristei und an der Orgel. Michl stand im Mittelpunkt und wurde für die 60-jährige Organisten-Tätigkeit geehrt. Inzwischen hat ihn der Mesner- und Organistenalltag wieder eingeholt. Für ihn ist kein Ersatz in Sicht.  „I bleib holt so long is drpock unt so long ma miar will“, erklärt er. Die Dorfbevölkerung wünscht ihm, dass er die Kirchentür noch lange aufsperren und die drei Treppen zur Orgel hinaufsteigen kann.

 

Magdalena Dietl Sapelza

Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau


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