Im Rahmen des Bormianer Kongresses wurde auch der 34. Jahresbericht „infogipeto“ vorgestellt, der das Jahr 2017 betrifft. Die für die Zentralalpen wesentlichsten Ergebnisse aus Symposium und Jahresbericht fasse ich im heutigen Beitrag zusammen.
Bruterfolge in freier Natur
Das Jahr 2017 war für die Bartgeierpopulation in den Alpen ein Erfolgsjahr. In 47 Territorien haben 42 brütende Paare insgesamt 31 Jungvögel bis zum Ausfliegen aufgezogen. Dabei stellten sich der Nationalpark Stilfserjoch, das Engadin und die Mont Blanc-Region als die Gebiete mit der höchsten Brutdichte heraus. Die Produktivität der Bartgeier in den Alpen ist seit Jahren signifikant höher als in den Pyrenäen. Im Jahr 2017 hat die Bartgeierpopulation in den Alpen jene in den Französischen Pyrenäen zahlenmäßig überholt. Dies bedeutet auch, dass der alpinen Bartgeierpopulation im gesamteuropäischen Kontext eine immer größere Bedeutung für den Erhalt der Art zukommt.
In Bezug auf die Verluste von Bartgeiern zeigt sich immer deutlicher, dass die Verwendung von Bleimunition in der Jagd Ursache von letalen Bleivergiftungen von Bartgeiern, aber auch Steinadlern und Uhus ist. Das Blei kommt aus nicht aufgefundenen Jagdbeuten und Aufbrüchen in die Vogelkörper und führt in deren Entgiftungsorganen Leber und Nieren zu akuten und, eingelagert in die Knochen, zu chronischen Vergiftungen. Auch Stromschläge an nicht isolierten Hochspannungsmasten von Freilandleitungen und Kollisionen mit Seilen und Kabeln von Aufstiegsanlagen haben wieder zu Bartgeierverlusten geführt.
Bruterfolge in den Aufzuchtstationen
Auch in den Zoos und Aufzuchtstationen war das Jahr 2017 ein außerordentlich erfolgreiches: Von den 39 verfügbaren Brutpaaren stammen 67 Eier, aus denen 27 Junge geschlüpft sind. 25 davon sind flügge geworden. Davon sind 18 für Freilassungen im Rahmen des Wiederansiedlungsprojektes zur Verfügung gestellt worden. Die Freilassungen erfolgten im letzten Jahr in den Alpen, in Andalusien, im französischen Grand Causses und auf der Insel Korsika. Die Freilassungsorte im Bereich der Westalpen wurden dabei mit dem strategischen Ziel eines Brückenkopfes gewählt, damit sich die Populationen der Bartgeier in den Alpen und in den Pyrenäen wieder zusammenschließen. Bei der Zucht in Volieren-Haltung wird besonders auch auf seltene genetische Linien geachtet. Dies, um die genetische Variabilität der Freilandgeier durch verschiedene Blutlinien möglichst zu verbreitern. Derzeit leben in etwa 40 Zoos und 5 europäischen Aufzuchtstationen 163 Bartgeier in Volieren. In den 40 Jahren zwischen 1978 und 2017 wurden insgesamt 512 Junggeier bis zum Flüggewerden gezüchtet. Ab 1986 wurden für das Wiederansiedlungsprojekt in Europa insgesamt 288 Junggeier zur Verfügung gestellt: 216 in den Alpen, 50 in Andalusien, 15 in Grand Causses, 4 auf Korsika, 3 auf Sardinien. Die restlichen 224 der 512 gezüchteten Junggeier wurden hingegen für das Nachzuchtprogramm in den Volieren reserviert.
Zur Erinnerung
Die 1. Freilassung von Bartgeiern in den Alpen ist 1986 erfolgt, die 1. Naturbrut 12 Jahre später 1998 im Bormianer Brauliotal. David Jenny von der Schweizerischen Vogelwarte Sempach hat nach tage- und stundenlangen Beobachtungen den aufregenden Sensationsfund des Horstes gemacht. Zwischen 1998 und 2017 sind in den Alpen insgesamt 204 Junggeier aus Naturbruten ausgeflogen.
Die Situation in den Zentralalpen
Die positive Entwicklung der Bartgeier in den Zentralalpen hält an: Konnten im Jahr 2012 9 territoriale Brutpaare gezählt werden, so waren es 2017 20 Paare. Diese 20 Paare verteilen sich: 12 auf das südliche Graubünden und 8 auf den Nationalpark Stilfserjoch und den Vinschgau.
Im Jahr 2017 haben die drei „historischen“ Paare Bormio, Livigno und Valfurva wieder erfolgreich gebrütet.
Das Paar Bormio
Das Paar Bormio mit dem genetisch identifizierten Männchen Tell und dem ebenfalls identifizierten Weibchen Stift gehört seit Jahren zu den Frühbrütern: Die Eiablage erfolgte in den letzten Jahren zwischen 13. und 17. Dezember und damit deutlich früher gegenüber dem Legetermin der anderen Paare. Im Winter 2017/18 hat das Weibchen gar schon am 26. November ein Ei abgelegt und mit der Brut begonnen. Das Weibchen Stift war übrigens am 1. Juni 2002 im Rahmen der 2. Freilassung im Marteller Schludertal freigelassen worden. Seinen Namen erhielt es vom inzwischen verstorbenen Senator Hans Rubner, damals Präsident der Stiftung Südtiroler Sparkasse, Sponsor des Vogelankaufes und der Satellitentelemetrie. Das Weibchen war am 2. Mai 2002 in der Zuchtstation von Professor Hans Frey in Haringsee bei Wien geschlüpft und ist inzwischen also 16 Jahre alt. Seit Jahren brütet es mit seinem Partner erfolgreich und gehört zu jenen Paaren, die am meisten Junge zum Ausfliegen gebracht haben. Stift bestätigt auch das Phänomen der sogenannten „Patrophilie“: Bartgeier zeigen eine bestimmte Heimatverbundenheit zum Geburts- oder Freilassungsort.
Die Paare Livigno und Valfurva
Das Paar Livigno hat sich 1999 gebildet und besteht aus dem Männchen Cic (in Gefangenschaft geboren 1993) und dem Weibchen Moische (geboren 1991 ebenfalls in Volieren-Zucht).
Das Paar Valfurva (erstmals gebildet 2002) besteht derzeit aus dem Männchen Heinz (geb. 2007) und dem Weibchen Felix (geb. 2001). Beide Paare, Livigno und Valfurva, gehören seit Jahren und in unterschiedlicher Zusammensetzung zu den erfolgreichsten Brütern: Sie haben bisher jeweils 15 Jungvögel zum Ausfliegen gebracht.
Die vier Vinschger Bartgeierpaare
Das Paar Martell hat sich 2015 gebildet, seither dreimal erfolgreich gebrütet und 2017 sein drittes Junges (Martell Plima) zum Ausfliegen gebracht. Vom Marteller Paar ist das Weibchen identifiziert: Temperatio ist am 28.2.2006 im Zuchtzentrum Haringsee bei Wien geboren, am 27.5.2006 im Schludertal in den Kunsthorst freigelassen worden und am 9.7.2006 ausgeflogen. Im Alter von 11 Jahren hat das Weibchen 2015 mit ihrem Partner das Marteller Paar gebildet. Temperatio bestätigt die Patrophilie der Bartgeier.
Das Paar Ortler hat sich 2016 in Trafoi gebildet. Nach einem erfolglosen Brutversuch mit später Eiablage 2016 ist 2017 der Junggeier Bergl ausgeflogen. Das Weibchen des Ortler-Paares ist genetisch als Jo identifiziert. Es hatte in den Jahren zwischen 1999 und 2010 im benachbarten Brauliotal gebrütet.
Das Paar Obervinschgau hat in den vergangenen Jahren wiederholt gebrütet. Leider waren die Bruten bisher nicht erfolgreich. Die Ursachen für das Scheitern der Brut sind derzeit nicht benennbar.
Das Territorium Schnals war nach dem Verschwinden eines der beiden Paarpartner im Sommer 2014 seit 2017 wieder von einem adulten und einem subadulten Vogel besetzt. Die Vögel wurden 2017 bei Nestvorbereitungen beobachtet, ohne dass eine Eiablage erfolgt ist. Für 2018 konnten die Brutvorbereitungen des Paares bestätigt werden.
Bartgeier aus Marteller Freilassungen
Bartgeier aus Marteller Freilassungen brüten u.a. auch in der Schweiz: Das Weibchen Raetia, geboren im März 2000 in Haringsee und im Schludertal freigelassen am 3.6.2000, hat mit seinem Partner im Jahr 2017 in Buffalora am Ofenpass ein Junges zum Ausfliegen gebracht. Vorher hatte Raetia jahrelang in einem anderen Horst am Ofenpass gebrütet und zwischen 2007 und 2014 5 Junge aufgezogen. Treffender könnte der Name, der dem Junggeier im Geburtsjahr 2000 unbewusst gegeben worden war, für eine eingebürgerte Schweizerin nicht sein! Von den Bartgeiern Ortler 1804 (geboren und freigelassen 2004) und Ikarus (geboren und freigelassen 2008) wissen wir, dass sie sicher tot sind. Ortler wurde verwest im Matschertal aufgefunden. Ikarus starb zweijährig an Bleivergiftung im Herbst 2009.
Zur Erinnerung: In den Jahren 2000-2008 hatten wir im Marteller Schludertal insgesamt 11 Junggeier aus Volieren-Zuchten freigelassen.
Gleichzeitigkeitszählung und Bestand
Seit dem Jahr 2004 wurden im Gebiet des Nationalparks Stilfserjoch dank des großen und idealistischen Einsatzes von hunderten Hobbyornithologen und Berufspersonal unter der Koordination von Dr. Enrico Bassi 27 Gleichzeitigkeitszählungen durchgeführt. Im Oktober 2017 haben außerdem 900 Beobachter den internationalen Zähl- und Beobachtungstag (International Observer Day IOD) abgehalten. Die aus 580 Planquadraten eingegangenen Daten lassen die Bartgeierpopulation in den Alpen und im französischen Zentralmassiv auf 220 - 260 Individuen schätzen.
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