Oberflächlich betrachtet kann man heute die ganzen Güter in Privatgüter und Staatsgüter einteilen, in Privatbesitz und Staatsbesitz. Vor der Bildung der modernen Nationalstaaten waren die Adeligen und die Kirche die größten Besitzer. Daneben gab es viele Gemeinschaftsgüter, die Allmende für die Bauern, für das einfache Volk. Dort hatten sie Holzrechte, Weiderechte, Schürfrechte, Jagdrechte, Fischereirechte und Wasserrechte. Dies bildete die Lebensgrundlage für die Bevölkerung. Der Adel hat diese Rechte immer stärker eingeschränkt, was zum Ausbruch des Bauernkrieges vor rund 500 Jahren führte. Heute gibt es wieder eine weltweite Diskussion um die Frage, wem die Welt gehört, was zum Erbe der gesamten Menschheit zählt und wie das erhalten werden kann. Es geht nicht um Weiderechte, sondern um die Gemeingüter, die Gemeinschaftsgüter, die Umwelt als gemeinschaftliches Gut, die Allmendegüter, die Commons, die nicht einzelnen Menschen, sondern der ganzen Menschheit gehören. Es ist die Atmosphäre, die Hydrosphäre, die Biosphäre, die Pedosphäre, also die Luft, der Boden, das Wasser, die Tier- und Pflanzenarten, die materiellen und immateriellen Kulturgüter der Menschheit, die allen gehören. Durch die Klimaerwärmung, die Migrationsströme und die Globalisierung werden diese Fragen immer aktueller. Mit der Freien-Software-Bewegung sehen viele das Ende des „geistigen Eigentums“ und von Patentrechten eingeleitet. Es ist der Beginn einer postkapitalistischen Produktionsweise, der Share Economy. Teilen, nicht Besitzen ist das Zauberwort der neuen Denkweise, Kooperation anstatt Konkurrenz.
Elinor Ostrom und „Die Verfassung der Allmende“
Im Jahre 2009 bekam Elinor Ostrom als erste Frau den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Die US-amerikanische Professorin für Politikwissenschaft (geb. 1933 in Los Angeles und gestorben 2012) war weltweit angesehen als eine führende Forscherin im Bereich der Umweltökonomie. Sie hat gezeigt, wie gemeinschaftliches Eigentum von Nutzerorganisationen erfolgreich verwaltet werden kann. Ostrom befasste sich u. a. mit der Fischereiwirtschaft, mit Bewässerungssystemen, mit Wald- und Weidewirtschaft. Ostrom ist der Frage nachgegangen, welcher Regeln es bedarf, damit es nicht zur Übernutzung von Ressourcen und somit auch zur Selbstschädigung aller kommt. Dazu hat sie Almbauern und Fischer in aller Welt besucht, die seit Jahrhunderten funktionierende Vereinbarungen zur Lösung des Allmende-Dilemmas getroffen haben. Das Allmende-Dilemma besteht darin, dass jeder nur an sein eigenes, fast nie an das gemeinsame Interesse denkt. Um aus dem Dilemma herauszukommen und ökologische Probleme unter Kontrolle zu bringen, sehen viele die Lösung in der Zentralregierungen oder Privatisierung. Ostrom hat festgestellt, dass selbstorganisierte und selbstverwaltete Genossenschaftsformen die bessere Alternative sind. In dem international bekannten Buch „Governing the Commons“ (1990), (deutsch: „Die Verfassung der Allmende“ 1999) führt sie konkrete Beispiele solcher Gemeinschaften an. Es gibt sie seit vielen Jahrhunderten auf der ganzen Welt. Es sind Alminteressentschaften in der Schweiz, japanische Gebirgsallmenden, Fischerdörfer in Kanada, in der Türkei oder auf Sri Lanka, ein Regelwerk zur Grundwassernutzung in Kalifornien, das Ostrom untersucht hat. Das Wassergericht in Valencia gibt es seit über 1.000 Jahren. Es ist ein einzigartiges öffentliches Verfahren, bei dem hauptsächlich Streitigkeiten unter den Bauern und Grundbesitzern des Umlandes über die Bewässerung der Felder geschlichtet werden. In allen diesen Gemeinschaften geht es um ein nachhaltiges Ressourcenmanagement, die Selbstverwaltung durch klare Regeln, die Einhaltung der vereinbarten Regeln, Konfliktlösungsmechanismen und um abgestufte Sanktionen bei Regelverstößen. Oft treten ökonomische, politische, rechtliche oder technische Veränderungen auf, die das alte Regelwerk verändern. Auch bei uns gab es über viele Jahrhunderte ein ausgeklügeltes Rechtssystem der verschiedenen Dorfgemeinschaften, um Weiderechte, Wassernutzungsrechte, Almrechte und Holznutzungsrechte zu regeln, so dass alle leben konnten, aber auch mit den wertvollen Ressourcen schonend umgegangen wurde. Waal- und Alminteressentschaften, die Fraktionsverwaltungen und das Südtiroler Jagdsystem sind Überreste dieses jahrhundertealten gesellschaftlichen Regelwerkes. Auch in den Genossenschaften lebt dieser Geist der Selbstverwaltung weiter. Diese alten Regelwerke der Selbstverwaltung könnten wertvolle Hilfen sein, um aktuelle Probleme durch Beteiligung und Selbstverantwortung basisnäher und befriedigender zu lösen.
Dorfordnungen in der „Sammlung der Tirolischen Weisthümer“
In der „Sammlung der Tirolischen Weisthümer“, herausgegeben von Ignaz v. Zingerle und K. Theodor von Inama-Sternegg im Jahre 1880 im Auftrag der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften sind viele Dorfordnungen aus dem „Vinstgau“ enthalten. Das sind hochinteressante alte Dokumente über die Selbstverwaltung der einzelnen Dörfer. Partizipation und Nachhaltigkeit, zwei moderne Begriffe, waren damals selbstverständlich, zumindest für die männlichen Hofbesitzer. Die Dorfordnungen fast aller Gemeinden aus dem Vinschgau sind in den Weisthümern enthalten und teilweise fast 500 Jahre alt. Enthalten sind u.a. das Dorfbuch der Gemeinde Mals (1538), die Thalordnung Martell (1543), das Dorfbuch der Gemeinde Göflan (1564), Burgeis (1591), die Dorfordnung von Tschengls (1611). Die meisten Gemeindeversammlungen waren am Kässonntag, d.h. am ersten Fastensonntag. Da traf man sich zur „Groaß Gmoan“. Die Gemeindeordnung wurde verlesen, es wurde berichtet und die Ämter wurden vergeben. Die Menschen im Dorf wussten wem ihre Welt gehört, sie waren dafür verantwortlich und haben ihre Verantwortung wahrgenommen und selbst geregelt. Auch wir wissen, dass eigentlich uns allen die Welt gehört. Aber niemand fühlt sich verantwortlich, obwohl es genügend Regeln gäbe. Aber es sind Regeln, die von weit oben kommen. Vielleicht könnte ein Blick in die alten Gemeindeordnungen helfen, mit der Erde und den verschiedenen Ressourcen nachhaltiger umzugehen und Konflikte friedlicher zu lösen, so wie es unsere Vorfahren über Jahrhunderte gemacht haben.
Heinrich Zoderer
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